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Sport: Hymnischer Frieden

Wie Hertha bei der Mitgliederversammlung übt, ein transparenter Verein zu sein

Berlin - Klaus-Rüdiger Landowsky hat einen Essensbon und zwei Getränkebons erhalten, an diesem Abend ist er einfaches Mitglied von Hertha BSC. „Jede Geschäftsführung neigt dazu, nicht transparent genug zu sein“, sagt der langjährige Fraktionschef der Berliner CDU, der über den Bankenskandal stürzte. Im ICC erhalten Vereinsmitglieder für ihren Essensbon ein Würstchen mit Kartoffelsalat. Landowsky steht im Anzug zwischen blau-weiß beschalten Fans, hinter ihm winkt Herthinho einem alten Mann zu. Alles sieht ganz normal aus bei der Mitgliederversammlung von Hertha BSC.

Die Choreographie appelliert an die Herzen. Die Hertha-Hymne wird ein Dutzend Mal eingespielt, verdiente Tischtennisspieler werden bejubelt, die Profi-Fußballer werden präsentiert und Trainer Götz und Spieler Marcelinho – alle Berliner Sportler des Jahres. „Wenn wir eine Frauenmannschaft hätten, hätten wir in dieser Kategorie auch gewonnen“, sagt Präsident Bernd Schiphorst, der mit jovialer Melodie durch die Tagesordnung führt. Eigentlich soll es diesmal ums Geld gehen, die Choreographie müsste an den Verstand appellieren. Doch Hertha tut sich schwer. Als der Abend zweieinhalb Stunden alt ist, beginnt die Aussprache.

Siegfrid Schaller steht zitternd auf der Bühne. 1000 Menschen erheben sich und spenden ihm rhythmischen Applaus. Dazu die Hymne: „Blau-weiße Hertha, du bist unser Sportverein, blau-weiße Hertha, du wirst es für immer sein.“ Schaller wird geehrt, er ist seit 70 Jahren Vereinsmitglied. Bei Herthas letzter Meisterschaft war er noch nicht dabei.

Ingo Schiller geht zum Mikrofon, er ist der für Finanzen zuständige Geschäftführer der Hertha BSC Kommanditgesellschaft auf Aktien. „Ist der Verein überschuldet?“, beginnt er und antwortet schnell selbst: „Klares Nein.“ Im Saal erheben sich mehr als 100 Leute – nicht aus Protest. Sie lösen draußen ihre Bons ein.

Fünfundreißigkommazweimillionen Euro beträgt der Schuldenstand von Hertha BSC. Nun werden Rechte an Tochtergesellschaften übertragen, damit Gewinne in der Bilanz auftauchen; nun werden Geschäfte gemacht, die kurzfristig viel Geld bringen, langfristig aber noch mehr Geld kosten. „Es geht uns nicht gut“, sagt Manager Dieter Hoeneß – selbstkritisch. „Kein anderer Bundesligist ist so transparent wie wir“, fügt er an – nicht so selbstkritisch. Er fordert mehr Nachsicht, mehr Zuschauer („Es sollte gesellschaftspolitische Verpflichtung sein, Hertha zu besuchen“), ja, er räumt sogar Fehler ein. Unter Zeugen schließt Dieter Hoeneß Frieden mit sich selbst.

Die Kritiker sind fürs Erste zufrieden. Sie dürfen ihre Reden halten, ohne unterbrochen zu werden, sie werden nur noch von einem verwirrt wirkenden Wolfgang Holst als Nestbeschmutzer gebrandmarkt, aber viele Zuhörer lachen, als der frühere Hertha-Präsident behauptet: „Wir haben keine Schulden, wir haben nur Verpflichtungen.“ Auch Aufsichtsratschef Rupert Scholz erntet Pfiffe für verordneten Optimismus. „Die Stadt hat nur einen Profiverein“, ruft Scholz, „wir sind die Seele des Sports in Berlin.“

Transparenz ist keine leichte Übung für Hertha. Auf Nachfrage kann Schiller nicht beantworten, wie hoch die Gesamtbelastungen durch die Finanztransaktionen sind. Auf Antrag muss beschlossen werden, dass bei künftigen Versammlungen Saalmikrofone für mögliche Diskussionen zur Verfügung stehen. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Wirtschaftsprüfer Otto Schulz, der Kritik öffentlich äußerte. „Aber leicht wird das nicht.“

Rupert Scholz hat keinen Essensbon mehr. Für einen Euro kauft er sich ein Würstchen mit Kartoffelsalat, „ich zahle das gern“, sagt er. Vor einer Woche hat Herthas Aufsichtsratschef die Schulden seines Vereins mit zehn bis 20 Millionen Euro beziffert, mindestens 15 Millionen Euro zu wenig. Nun, um Mitternacht, setzt er zur persönlichen Bilanz an. Hat Hertha ein Problem mit der Transparenz? „Nein, wirklich nicht“, antwortet Scholz. Ein neuer Tag beginnt. Aus den Boxen dröhnt: „Nur nach Hause geh’n wir nicht.“

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