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Sport: „Ich bin kriegerischer als die anderen“

Christian Wörns über seine Begegnung mit Ruud van Nistelrooy, die Lust am Verteidigen und die Zukunft in Dortmund

Herr Wörns, wie fühlt sich denn Ihr holländischer Kollege Ruud van Nistelrooy an?

Hmm, ich erinnere mich an kein besonders schönes Gefühl. Ich habe bei dieser Szene, auf die Sie anspielen, förmlich an ihm geklebt, er hat den Ball trotzdem zum 1:1 ins Tor bekommen. Alles ging wahnsinnig schnell. Nach dem Spiel hat er mich umarmt. Das passiert selten. Ich glaube, wir haben uns schätzen gelernt.

Gehen Sie schon mal in Interaktion mit Ihrem Gegenspieler, um herauszufinden, wie er drauf ist oder was er in bestimmten Momenten vorhat?

Bei Klassestürmern wie van Nistelrooy ist das zwecklos. Die sind permanent gefährlich, die können in jeder Situation ein Tor schießen.

Wie lautet Ihre persönliche Rangliste der Topstürmer, beginnend mit dem besten?

Der Franzose Henry ist der beste, weil er der schnellste ist. Wenn er mit dem Ball auf dich zuläuft und dribbelt, hast du im Prinzip keine Chance. Danach kommen Ronaldo, weil er eiskalt vor dem Tor ist, und van Nistelrooy. Und mit etwas Abstand der Spanier Raul. Gegen die habe ich alle schon gespielt.

Aber noch nicht gegen Maris Verpakovskis – ein lettischer Stürmer mit kompliziertem Namen und schnellem Antritt.

Ich habe von ihm einige Szenen gesehen, zum Beispiel wie er das Siegtor in den Play-offs gegen die Türken geschossen hat. Ja, er ist schnell. Aber heute werden die Stürmer ja danach ausgesucht. Wenn sie dann noch ein bisschen Technik haben, werden sie was. Ein Abwehrspieler hat es schwerer.

Warum?

Du kannst nicht agieren, immer nur reagieren. Ein Mittelfeldspieler kann während der 90 Minuten auch mal ein Päuschen machen, er hat mehr Platz, und wenn der Ball verloren geht, stehen hinten ja noch welche. Und ein Stürmer verlässt sich auf sein Potenzial und wartet auf die eine Gelegenheit, um sein Tor zu machen oder wenigstens die Vorlage zu geben. Als Abwehrspieler aber musst du immer zu 100 Prozent konzentriert sein.

Wenn Sie so jammern – warum sind Sie überhaupt Abwehrspieler geworden?

Mir gefällt es ja. Ich wollte damit nur ausdrücken, wie schwer diese Position zu spielen ist. Ich habe lange im Mittelfeld gespielt, dann hat mich der Trainer aber hinten reingestellt, das war in der B-Jugend. Glauben Sie mir, in der Jugend habe ich recht viele Tore geschossen.

Ihre Bilanz in der Nationalmannschaft ist dafür recht einseitig. In 57 Länderspielen haben sie kein einziges Tor erzielt.

Sie sagen es, dabei will ich immer mal eins schießen. Das wollen doch alle, stattdessen verhindere ich welche. Und das nicht schlecht, oder?

Worin liegt der Reiz, woraus ziehen Sie als Toreverhinderer Ihre Selbstzufriedenheit?

Für mich geht es darum, Zweikämpfe zu gewinnen. Vielleicht bin ich etwas kriegerischer als die anderen. Dabei bin ich privat ein ganz anderer Mensch. Auf dem Platz erkennt mich manchmal meine eigene Frau nicht wieder. Das habe ich mir angeeignet.

Mussten Sie sich dazu zwingen?

Zwingen? Gewinnen will ich! Dafür tue ich alles, auch gegen Leute, die ich eigentlich mag. Für 90 Minuten streiche ich Freundschaft aus meinem Gedächtnis.

Wie weit gehen Sie dafür? Auf dem Rasen wird gekratzt, gespuckt, der Ellenbogen dem Gegenspieler ins Gesicht geschlagen.

Im Spiel merkt man davon nichts. Bei einem Kopfballduell sind die Arme draußen, aber allein schon deshalb, um Schwung für den Sprung zu holen. Ich gehe aber nicht mit dem Vorsatz in einen Zweikampf, den Gegner zu foulen.

Wie sieht für Sie das Idealbild eines Abwehrspielers aus?

Ein perfekter Verteidiger muss gut stehen, seine Duelle am Boden und mit dem Kopf gewinnen und darüber hinaus einen guten ersten Pass spielen können. So wie Nesta und Maldini. Eine Mischung aus Jürgen Kohler und Frank Rijkaard wäre gut, vielleicht sogar ideal.

Vor zwölf Jahren spielten Sie Ihre erste EM. Die wenigen Höhepunkte der Nationalmannschaft seitdem haben Sie alle ausgelassen.

Stimmt. 1996, als Deutschland Europameister wurde, hat Berti Vogts mir unverständlicherweise René Schneider vorgezogen. 1998 hatte ich eine Formkrise und 2002 war ich verletzt.

Heute bilden Sie mit Jens Nowotny die wohl älteste Innenverteidigung Europas.

Die älteste? Also, wir sind beide um die 30.

Okay, dann erklären Sie uns doch mal, wie der deutsche Abwehrriegel funktioniert?

Wir geben uns kleine Kommandos: Jens, pass auf! Jens, im Rücken! Rechts von dir! Manchmal reicht ein Blick, weil wir uns aus Leverkusen kennen.

Dürfen die jungen Friedrich und Lahm auch Kommandos geben?

Das müssen sie sogar. Anfänglich waren sie ruhig, aber ich habe ihnen gesagt, dass auch sie uns so helfen.

Gibt es ein Geheimnis?

Das nicht, aber wenn wir vorn den Ball verlieren ist es wichtig, dass möglichst alle Spieler wieder hinter den Ball kommen und kompakt stehen. Dann haben wir ein paar mehr, die ausgespielt werden müssen. Gegen Ungarn hat das nicht geklappt, da wurde Rudi Völler, der ja sehr ehrgeizig ist, ungeheuer stinkig. Aber dafür hat es dann gegen Holland geklappt.

Dürfen Sie sich den Stürmer des Gegners aussuchen?

Das nicht, aber wir gucken schon, wer gegen wen besser passt.

Gegen die Letten bekommen Sie vielleicht gar keinen ab. Die spielen ja mit acht Verteidigern und nur einem Stürmer.

Ja, aber ihre Stärke ist ihr Konterspiel. Ich werde schon was zu tun kriegen.

Was wäre für Sie eine erfolgreiche EM?

Das Halbfinale wäre nicht schlecht. Ich würde gern noch länger hier bleiben.

Nur nicht zurück nach Dortmund. Haben Sie nicht ein bisschen Angst um Borussia?

Hier habe ich weniger daran gedacht. Aber als es während der Finanzkrise hieß, Spieler müssten gehen, da habe ich mich schon gefragt, wie es weiter geht.

Und, wie geht es weiter?

Ich werde wohl bleiben. Torsten Frings ist jetzt verkauft worden. Sein Weggang stimmt mich schon nachdenklich.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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