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Sport: „Ich dachte, ich fliege“

Magdalena Neuner feiert in Oberhof ihren ersten Weltcup-Sieg – drei Deutsche vorn

Vor dem Rennen steckte sich Magdalena Neuner Stöpsel in die Ohren. Die 19 000 Fans hätten sie sonst mit ihren Tröten und Kuhglocken bei strömendem Regen zu sehr abgelenkt, vor allem am Schießstand. „Ich bin noch nicht so sicher und lasse mich noch zu sehr beeinflussen“, sagte die 19-Jährige gestern nach dem 7,5-Kilometer-Sprint beim Biathlon- Weltcup in Oberhof. Die Strategie, nicht nur auf das richtige Wachs, sondern auch auf die Ohren zu achten, zahlte sich aus. Überraschend feierte die C-Kader-Athletin ihren ersten Weltcupsieg vor ihren deutschen Teamkolleginnen Andrea Henkel und Martina Glagow. Und das, obwohl sie beim Stehendschießen zweimal die Scheibe verfehlte. „Ich bin sprachlos, das ist Wahnsinn“, sagte Neuner, „ich dachte, ich fliege. Ich hatte leichte Beine und die ganze Zeit ein super Gefühl.“

Dabei war die Strecke schwierig und aufgeweicht. Der Blick vom Stadion am Grenzadler geht derzeit ins Grüne. Die Zuschauer sehen viel Gras und Matsch. Zwischendrin verlaufen weiße Farbspuren, auf denen die Biathleten das ausüben, was gemeinhin als Wintersport bezeichnet wird. Die Fans trotzten Regen und Wind mit Gesängen wie „An der Nordseeküste“ – von der Nordsee, genauer von den Bremerhavener Eiswerken, wurde auch der Kunstschnee nach Oberhof gekarrt.

Magdalena Neuner vom SC Wallgau aus der Nähe von Mittenwald ließ sich von dem Aprilwetter nicht beirren. Trotz zwei Strafrunden über insgesamt 300 Meter setzte sie sich gegen die schussstärkeren Konkurrentinnen durch. Glagow traf alle zehn Scheiben und kam doch fast 20 Sekunden hinter Neuner ins Ziel, Henkel leistete sich einen Fehlschuss und hatte 17,3 Sekunden Rückstand auf die 19-Jährige. Der dreimaligen Olympiasiegerin Kati Wilhelm, die mit zwei Schießfehlern Neunte wurde, nahm Neuner eine Minute ab. Ein unglaublicher Vorsprung.

Dabei hatte Neuner sogar Angst gehabt, sich von den brüllenden Fans am Birxstieg, dem steilen Anstieg, zu einem zu hohen Tempo verleiten zu lassen und am Ende einzubrechen. Auch deshalb griff sie zu Ohrstöpseln. „Ich habe die Fans trotzdem noch gehört, aber ich wollte nicht zu schnell werden“, sagt sie.

Magdalena Neuner ist die zweite junge deutsche Biathletin, die in diesem Winter überrascht. Die 20 Jahre alte Kathrin Hitzer war vor Weihnachten in Hochfilzen Vierte geworden und hatte in Oberhof ihr Debüt in der Staffel gegeben. Neuner hat ihre Leistung nun noch getoppt. Schon lange bevor die letzte Sportlerin ins Ziel kam, gratulierte Martina Glagow ihr zum Sieg. Die Zolloberwachtmeisterin Neuner wehrte zunächst alle Glückwünsche ab, „sie hat gesagt, nein, nein, es kommen noch so viele“, erzählte Martina Glagow. Doch irgendwann musste auch Neuner glauben, dass sie gewonnen hatte. So souverän wie auf der Strecke präsentierte sie sich auch in selbstgestrickter roter Mütze bei der Sieger-Pressekonferenz. Strahlend erzählte sie, dass sie schon als Schulmädchen immer gesagt habe, „dass ich Profi werde. Alle haben gelacht, aber für mich gab es nichts anderes.“ Dass sie ob ihrer Laufstärke mit der im Vorjahr zurückgetretenen Uschi Disl verglichen werde, passe ihr gar nicht, sagte Neuner selbstbewusst. „Ich glaube nicht, dass ich mich mit ihr vergleichen muss. Ich bin ich.“

Dass sie beim Schießen noch das eine oder andere Problem hat, findet sie normal. „Ich bin 19. Beim Schießen bedarf es sehr vieler Erfahrung und Nervenstärke. Und Wettkampferfahrung kann man halt nur im Wettkampf bekommen.“ Und derlei Praxis hat sie eben noch vergleichsweise wenig. Mit 16 sollte sie schon ihr Weltcupdebüt geben, weil sie in ihrer Altersklasse so deutlich dominierte. Doch um das Talent nicht zu verheizen, wurde der Start um zwei Jahre verschoben. Neuner wurde zwar mit 16 Profi und trainierte mehr als ihre Altersgenossinnen, doch im Weltcup ging die Juniorenweltmeisterin erstmals vor einem Jahr in Ruhpolding an den Start. Ihr bester Platz war in der Vorsaison Rang vier, in diesem Winter Rang sieben – bis gestern. Nun harrt sie der Entscheidung von Bundestrainer Uwe Müßiggang, ob sie zur Junioren-WM fährt oder zur A-WM Anfang Februar in Antholz.

Beim Sprint profitierte Magdalena Neuner von der niedrigen Startnummer sechs und den noch nicht so schlechten Bodenverhältnissen. Zudem hatte sie bis zum Mittwoch in Bayern trainiert. Dort hatte sie bessere Trainingsbedingungen als die Kolleginnen in Thüringen und die Beine waren gestern nicht vom Staffelrennen schwer. Dennoch sagte Neuner staunend: „Mein Ziel war es, in dieser Saison so viele Weltcuprennen wie möglich zu machen.“ Von einem Sieg hatte sie allenfalls zu träumen gewagt.

Helen Ruwald[Oberhof]

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