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Sport: „Ich habe bei Hertha noch viel vor“

Marko Rehmers Dopingsperre ist abgelaufen: Ein Gespräch über Missverständnisse, Fehler und einen Neuanfang

Herr Rehmer, können Sie sich noch an Ihr schönstes Länderspiel erinnern?

Natürlich: Das 4:1 in Dortmund im WM Relegationsspiel gegen die Ukraine, 50 000 Zuschauer haben uns noch eine halbe Stunde nach dem Schlusspfiff gefeiert. So etwas vergisst man nicht.

Damals haben Sie sich mit der Nationalmannschaft für die WM qualifiziert, bei der Sie bis ins Finale gekommen sind. Heute spricht niemand mehr vom Vizeweltmeister Marko Rehmer, sondern von dem Trottel, der vergessen hat, ein vom Arzt verschriebenes Medikament dem Verein zu melden. Sie sind der erste Dopingfall in der Geschichte von Hertha BSC.

Es ist nun mal in unserer Gesellschaft so, dass Positives sehr schnell vergessen und Negatives akribisch gesucht wird. Ich habe immerhin 35 Länderspiele gemacht und auch für den Verein einiges geleistet.

Vor dem Spiel im Mai bei 1860 München …

… hatte ich furchtbare Ohrenschmerzen. Schmerzen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Aber wir standen im Abstiegskampf, also bin ich zum HNO-Arzt und habe mir etwas spritzen lassen. Die Spritze hat mir geholfen, und ich habe der Mannschaft helfen wollen und gespielt. Ich habe mir leider nichts dabei gedacht, als ich nach dem Spiel zur Dopingkontrolle musste. Das war doch kein leistungsförderndes Mittel.

Aber es muss bei der Liga angezeigt werden, und das haben Sie versäumt.

Ich war in Gedanken bei unserer sportlichen Situation und war froh, dass die Schmerzen weggingen. Das war ein schwerer Fehler, unverzeihlich.

Was war der größere Keulenschlag: die Sperre von neun Spielen oder die zunächst ausgesprochene fristlose Kündigung des Vereins?

Beides war ein Schock. Ich war mit meiner Frau und meinem Sohn im Urlaub an der Ostsee, da habe ich den Anruf bekommen. Ich habe zunächst gar nicht verstanden, worum es ging – dass wir jetzt vielleicht absteigen würden, welcher Schaden entstanden ist und so weiter.

Man könnte bösartig vermuten, dass Hertha die Gelegenheit nutzen wollte, einen sehr teuren Spieler von der Gehaltsliste zu streichen.

Nein, der Verein hat so gehandelt, wie er handeln musste.

Mit dem Spiel am vergangenen Samstag in Bielefeld ist Ihre Sperre abgelaufen, theoretisch können Sie am Dienstag gegen Borussia Dortmund wieder spielen. Wo sehen Sie Ihre zukünftige Position bei Hertha?

Am liebsten rechts in der Viererkette. Das war schon immer meine Stärke: einen Zweikampf gewinnen und dann mit Tempo nach vorne gehen.

Da spielt Nationalspieler Arne Friedrich.

Ja, aber der Arne kann auch nach innen rücken. Körperlich bin ich gut drauf, nur die Spielpraxis fehlt mir noch. Mal schauen, was der Trainer so im Kopf hat.

Hat Trainer Falko Götz schon ein längeres Gespräch mit Ihnen geführt?

Nein. Aber ich denke, er wird auf mich zukommen. Ich habe mich auf dieses Gespräch gut vorbereitet, dazu hatte ich ja Zeit genug. Ich habe in jedem Training gearbeitet, als würde ich am Samstag in der Bundesliga auf dem Platz stehen. Aber wenn du am Wochenende auf der Tribüne oder vor dem Fernseher sitzt, hast du schon den Countdown im Kopf: noch vier Spiele, noch drei, zwei …

Wenn die Profis weg waren, mussten sie bei den Amateuren trainieren.

Glauben Sie, das ist unter meiner Würde? Ich habe gern bei den Amateuren trainiert, die spielen in der Regionalliga, das ist gutes Niveau. Niko Kovac hat letzte Saison noch eine Klasse tiefer in der Oberliga gespielt und ist dann mit Kroatien zur Europameisterschaft gefahren.

Wie ist es um Ihre Akzeptanz in der Mannschaft bestellt?

Ich denke mal, die Jungs merken, dass ich es unbedingt noch einmal wissen will. Im Training spielen wir immer A gegen B. Während der Sperre habe ich natürlich immer in der B-Mannschaft gespielt, und ich bin ordentlich rangegangen. Und B hat nicht selten gewonnen.

Haben Sie sich einen Zeitrahmen für die Rückkehr in die Mannschaft gesetzt?

Den bestimmt der Trainer.

Sie müssen es eilig haben. Ihr Vertrag läuft zum Saisonende aus und verlängert sich nur nach einer bestimmten Zahl von Spielen. Wie viele müssen es sein?

Vertragsgeheimnis. Ich habe bei Hertha noch viel vor, zwei, drei Jahre will ich hier noch spielen. Ich habe schon schwierigere Situationen gemeistert. 1992 hat mir ein Arzt die Diagnose gestellt, dass ich mir wegen eines Knorpelschadens im Knie zu 80 Prozent einen neuen Job suchen darf. Ich saß in der Charité und habe geheult. Hätte ich mich damals nicht zurückgekämpft, würden Sie heute nicht dieses Gespräch mit mir führen.

Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, Sie schaffen es psychisch nicht?

Das sehen sie falsch.

Es gab immer den Vorwurf, Marko Rehmer würde in der Nationalmannschaft besser spielen als im Verein.

Das ist Unsinn. Ich habe immer alles für Hertha gegeben.

Andere machen sich lustig über Ihre chronische Migräne, durch die Sie schon für manches Spiel ausgefallen sind.

Wissen Sie, was Migräne ist? Wenn Sie mitten in der Nacht aufwachen, die Augen öffnen und dieser Schmerz kommt, und Sie wissen, dass Sie den nächsten Tag vergessen können? Dass Sie die Gardinen vor die Fenster ziehen müssen und den ganzen Tag in einem abgedunkelten Raum verbringen dürfen, mit einer Decke über dem Kopf und dass Sie nur hoffen, dass es irgendwann vorbei ist? Jeder, der sich darüber lustig macht, der sollte selbst mal einen Anfall haben. Als ob ich nicht lieber Fußball spielen würde, als mich mit Migräne herumzuplagen.

Ihr ehemaliger Trainer Jürgen Röber hat mal gesagt: Das Gute an Marko ist, dass man ihn nach einer Pause sofort wieder bringen kann, weil er so robust ist. Heute nennt man Sie abschätzig einen verletzungsanfälligen Spieler.

Vielleicht habe ich den Fehler gemacht, zu schnell zu spielen, wenn eine Verletzung noch gar nicht richtig auskuriert war. So ist dann schon mal aus einer Zerrung ein Muskelfaserriss geworden und schon hieß es: Der Rehmer ist aber oft verletzt!

Belastet Sie das?

Nein. Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht, habe gegrübelt und mich hinterfragt. Aber wenn ich jetzt spielen müsste, würde ich im Kopf völlig frei auf den Platz gehen.

Das war nicht immer so. Wir können uns an ein Spiel in Leverkusen erinnern, da war Ihre Verunsicherung bis auf die Tribüne zu spüren.

Ja, ich weiß, da war dieses Gegentor, vor dem ich gestolpert bin. Aber das ist eine Geschichte in 188 Bundesligaspielen. Können Sie mir sagen, wann mir so etwas noch mal passiert ist? Nein, das können Sie nicht, aber in der Öffentlichkeit heißt es nicht: Rehmer, der Vizeweltmeister, sondern: Rehmer, der gegen Leverkusen gestolpert ist. Finden Sie das fair?

Das schmerzt Sie.

Ich sehe das positiv: Nur wer sich einen gewissen Stellenwert erarbeitet hat, bekommt so etwas vorgehalten. An das Stolpern eines x-beliebigen Bundesligaspielers würden Sie sich nicht erinnern.

Vor einem Jahr haben Sie gegen Frankreich Ihr 35. und bislang letztes Länderspiel bestritten. Wird es ein 36. geben?

Zunächst geht es für mich um die Spiele in meinem Verein. Beim Brasilien-Spiel hier in Berlin aber hatte ich ein sehr angenehmes Gespräch mit Jürgen Klinsmann. Das hat mir auch Mut gemacht.

Das Gespräch führten Sven Goldmann und Michael Rosentritt

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