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Sport: „Ich mach das heile“

Von Oliver Trust Frankfurt (Main). Im Eiltempo rennen die Menschenmassen über den kalten Gang in der Otto-Fleck-Schneise, wo der Hessische Landessportbund zu Hause ist.

Von Oliver Trust

Frankfurt (Main). Im Eiltempo rennen die Menschenmassen über den kalten Gang in der Otto-Fleck-Schneise, wo der Hessische Landessportbund zu Hause ist. Vorbei am Schaukasten, in dem der Betriebsrat informiert. Im Schulungsraum 5 mit dem n „Fulda“ kommt der Pulk zum Stillstand. Hier veranstaltet der Bund Deutscher Radfahrer zuweilen Seminare zum Kampf gegen Doping. Jan Ullrich blinzelt unsicher und schaut, eingekesselt, irritiert in die Objektive. Der 28 Jahre alte Radprofi tritt einen Schritt zurück, macht aber sofort seinen Rückzug wieder rückgängig. In diesem Moment will er unbedingt mutig sein.

Was Ullrich danach am Samstag bei seiner Pressekonferenz sagt, klingt wie eine Mischung aus Kitschroman und menschlicher Tragödie. Da sitzt der Toursieger von 1997, der Olympiasieger von 2000, und spricht mit stockender Stimme über seine „kleine Lebenskrise“, die mitten in der Nacht des 11. Juni in einer Diskothek, vermutlich in München, ihren Tiefpunkt fand. An jenem Abend nahm er von jemandem, „den ich nicht kannte“, zwei Tabletten und schluckte sie. Am Tag danach wurde er bei einer Dopingkontrolle positiv auf Amphetamine, die eine stimulierende Wirkung haben, getestet.

Die ARD, n-tv und N24 übertragen das Spektakel live aus Frankfurt. Die halbe Nation sitzt vor dem Fernseher und frühstückt. „Ich verzichte auf die B-Probe“, sagt Ullrich. „Ich war tief am Boden, brauchte ein Ventil“, stammelt er und spricht von einem „Riesenochsenfehler". Dann fragt ihn einer, ob er ein Alkoholproblem habe. Ullrich lächelt verlegen und verneint: „Ich habe niemanden betrogen, das war kein Doping." Aber vielleicht hat Ullrich ein Problem mit seiner öffentlichen Rolle. „Ich bin aus Glas“, klagt er. „In meinem Fall kommt immer alles raus.“

Alle versuchen sie an diesem Tag der großen Beichte, den Menschen Ullrich in den Vordergrund zu schieben. Von „menschlicher Schwäche“ redet Olaf Ludwig, der Telekom- Sprecher. Kommunikations-Direktor Jürgen Kindervater stellt den „Fall“ als Fehltritt „einer Privatperson“ dar, die nicht betrügen wollte. Die Kündigungsklausel in Ullrichs Vertrag beziehe sich ausschließlich auf Betrugsversuche im Sport. Aber: „Es geht nicht um Sport.“ Bewusstes Doping oder nur eine harmlose Droge – diese Frage bleibt spannend. Es gibt Wissenschaftler, die Amphetaminen durchaus eine Wirkung zusprechen, auch in einer Nicht-Trainingsphase. Das Mittel gilt zudem als Appetitzügler. Ullrich hat seit Jahren Gewichtsprobleme. Doch er selbst gibt sich ziemlich ahnungslos: „Ich weiß gar nicht, wie Ecstasy aussieht.“

So oder so, die Konsequenzen sind klar. Seit Samstag hat der Radprofi ein Ermittlungsverfahren am Hals. Die Staatsanwaltschaft München leitete ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ein. „Der Pressekonferenz des Herrn Ullrich habe ich entnommen, dass er einräumt, Tabletten genommen zu haben“, sagte Oberstaatsanwalt Eduard Mayer im ZDF. „Dies ist für uns Anlass, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, und das haben wir auch getan.“

Auch sportlich droht Jan Ullrich zunächst das Aus. Der Mann aus Merdingen dürfte trotz Reue gesperrt werden. Zwischen sechs und zwölf Monaten liegt die Frist, wenn das Bundessportgericht des Bundes Deutscher Radfahrer in den nächsten Tagen zusammentritt. Dass es Ullrichs letzte Chance ist, sagt Ludwig noch einmal. Jan Ullrich schluckt.

Sie werden ihn nicht rauswerfen bei Telekom, obwohl sie es tun könnten. „Eine Vertragsauflösung ist kein Thema“, meint Ullrich. Und er schluckt wieder. „Ich hoffe, ich kann aus dieser beschissenen Situation etwas Positives ziehen.“ Der Radprofi wird viel Geduld aufbringen müssen. Sein Knie tut immer noch weh. „Ich mach das heile“, sagt Ullrich nur. Doch an Training und sportliche Wiedergutmachung ist derzeit nicht zu denken. Hubert Hörterer, der Direktor der Reha- Klinik in Bad Wiessee, von der aus Ullrich seinen fatalen Ausflug startete, ist nicht sicher, ob der Star seine Karriere fortsetzen kann.

Später versucht Sylvia Schenk, die Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer, den Menschen Jan Ullrich zu beschreiben. „Er ist ohne Vater aufgewachsen“, berichtet sie. „Er muss damit fertig werden, dass er mit 23 Jahren die Tour gewonnen und seine Lebensleistung schon erbracht hat."

Jan Ullrich will jetzt untertauchen, „bei Freunden“. Die letzten Tage hatte er mit Freundin Gabi auf einer einsamen Berghütte verbracht. Die Tour de France wird er nicht verfolgen. „Ich kann nicht zuschauen, wie die anderen fahren, und ich liege da und muss mit meinen Problemen fertig werden."

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