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Sport: „Ich spiele nicht für die Tribüne“

Dietmar Hamann über seine Rolle in der Nationalelf, den deutschen Nachwuchs und Golf in England

Herr Hamann, die Bayern und Borussia Dortmund wollen künftig möglichst viele deutsche Nationalspieler verpflichten. Von Ihnen ist dabei nicht die Rede. Heißt das, dass Sie nach der Europameisterschaft 2004 Ihre Nationalmannschaftskarriere beenden?

Wie kommen Sie denn darauf? Im Moment habe ich das nicht vor. Natürlich weiß ich nicht, was in zwei Jahren sein wird. Fußball ist ein Tagesgeschäft. Ich wäre 32 bei der WM 2006, das ist ein Alter, in dem man noch auf dem nötigen Niveau spielen könnte.

Und warum wollen die großen Vereine in Deutschland Dietmar Hamann nicht haben?

Wer sagt denn, dass die ihn nicht haben wollen?

Aha, wissen Sie mehr?

Hat sich irgendwer in der Weise geäußert, dass er mich nicht haben will?

Es hat sich aber niemand geäußert, dass er Ihnen ein Angebot macht...

Ich brauche kein Angebot. Ich muss ja nicht in Deutschland spielen. Die deutschen Vereine wissen doch, dass ich noch zwei Jahre bei Liverpool unter Vertrag stehe.

Die deutschen Vereine hätten also gar keine Chance, Sie zu bekommen, selbst wenn sie wollten?

Ich muss ja nicht gewollt werden. Lassen Sie mich mal ruhig in Liverpool. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, überhaupt noch einmal in Deutschland zu spielen.

Vor ungefähr einem Jahr haben Sie mal gesagt: Jetzt fahre ich wieder nach Deutschland zur Nationalmannschaft und kann mir eine Woche lang anhören, was für ein Eierkopf ich bin. Hat das damit etwas zu tun?

Die Meinungen und Urteile wechseln doch ständig. Natürlich ist alles erfolgsabhängig. Nach der Weltmeisterschaft hat sich da einiges geändert, was mit unserem Abschneiden zusammenhängt. Trotzdem wird über die Nationalmannschaft immer noch kritisch berichtet.

Für Ihren Geschmack zu kritisch?

Ich will gar nicht auf die Presse losgehen. Sie müssen ja auch Ihren Job machen. Aber nehmen Sie doch mal das Spiel in BosnienHerzegowina. Auf diesem Platz war doch gar kein richtiges Fußballspiel möglich. Deswegen kann ich die Beurteilung einzelner Spieler nicht verstehen.

Aber im Vergleich zur Europameisterschaft vor zwei Jahren war die Beurteilung ja fast noch harmlos. Sie selbst sind damals auch stark kritisiert worden.

Nicht nur ich. Ich war damals auch nicht der Einzige, der sich Gedanken gemacht hat, ob es überhaupt noch Sinn macht, in der Nationalmannschaft weiterzumachen. Jedenfalls bin ich nicht mehr gern zur Mannschaft gekommen. Aber es wurde natürlich auch viel Unsinn erzählt und geschrieben. Das habe ich ja gemerkt im ersten Spiel nach der EM im Sommer 2000 gegen Spanien.

Inwiefern?

Da bin ich eingewechselt worden und wurde vom Publikum in Hannover gnadenlos ausgepfiffen. Ich glaube, die Begrüßung wird am Mittwoch eine andere sein.

Weil es in der Zwischenzeit mal was zu feiern gab. Aber wie stark ist die Mannschaft wirklich?

Im Sommer waren wir noch die zweitbeste Mannschaft der Welt. Ob wir das wirklich sind, ist eine andere Frage. Aber das ändert sich täglich, wöchentlich, monatlich. Wir müssen jetzt eine gewisse Konstanz reinbringen. Wir sind jetzt in einem Alter, in dem es uns gelingen sollte, immer oben mitzuspielen.

Aber als Vizeweltmeister dürfen Sie sich jetzt keine schlechten Spiele mehr erlauben.

Natürlich ist der Druck größer geworden. Aber ich habe lieber den Druck, weil die Leute sagen, die können was, als dass sie sagen, lassen wir uns mal überraschen.

Mal vorausgesetzt, dass Deutschland sich für die EM 2004 qualifiziert. Was macht Sie so sicher, dass es dort keine Enttäuschung gibt? Ist das Schlimmste tatsächlich überstanden?

Sehen Sie, Deutschland hat mehr als zwei oder drei Spieler. Das Jammern über einen fehlenden Unterbau kann ich nicht mehr hören. Bei der WM fehlten uns ja auch fünf wichtige Spieler. Aber wir hatten ein Klima und eine taktische Anordnung, in der sich jeder entfalten konnte. Wenn ich sehe, wie Christoph Metzelder, der kaum Länderspiele vor der WM hatte, jedes Spiel in Asien mit einer tollen Leistung bestreitet, dann spricht das für das Funktionieren der Gruppe. Wenn da mal einer über die Stränge schlägt, dann holen wir ihn da schon wieder runter.

Heißt das, dass die Öffentlichkeit die wahre Qualität der Mannschaft gar nicht wahrnimmt?

Das will ich nicht beurteilen. Aber nehmen Sie das Spiel in Bosnien. Auch wenn es lange danach aussah, dass wir das Spiel verlieren - wir haben es nicht verloren. Wenn wir wollen, verlieren wir solche Spiele nicht mehr.

Trotzdem sind alle froh, wenn am Mittwoch gegen die Färöer Michael Ballack und Sie, die in Bosnien gefehlt haben, wieder auf dem Platz stehen.

Ach, wissen Sie, vermutlich hätte auf diesem Platz jeder von uns spielen können, und es wäre nicht viel besser geworden. Man darf das nicht alles überbewerten.

Aber bei der WM hat sich doch gezeigt, wie wichtig Sie beide für das deutsche Spiel sind.

Das größte Plus war sicherlich, dass wir in Asien bis zum Finale in derselben Aufstellung und Anordnung gespielt haben. Das hängt nicht nur von zwei Spielern ab.

Dennoch kann man manchmal den Eindruck gewinnen, es dreht sich alles nur noch um Michael Ballack.

Wissen Sie, ich lese in England wenig Zeitung. Da bekomme ich nicht viel von dem mit, was in Deutschland los ist. Aber glauben Sie mir, das hat mehr Vorteile als Nachteile, dass ich nicht so sehr im Blickpunkt stehe.

Wie meinen Sie das?

Die Euphorie war sehr groß nach der WM. Und wenn es mal nicht so läuft, geht es auf Kosten der Spieler, auf Kosten ihrer persönlichen Freiheit und ihres Familienlebens. Es hat schon einen Vorteil, wenn du an einem Mittwoch mit der Nationalmannschaft spielst, anschließend ins Flugzeug steigst und Donnerstag schon wieder in England bist. Ich brauche die Schlagzeilen nicht. Meine Befriedigung kriege ich durch die Ergebnisse. Und irgendwann am Ende sollte mal ein Titel rausschauen. Das würde mir Spaß machen.

Könnten Sie es auch ohne Titel aushalten?

Beim Golf vielleicht. Auch wenn ich nicht auf dem Niveau spiele, wie ich mir das vorstelle.

Welches Handicap haben Sie denn?

18.

Da geht es doch noch ein wenig schlechter...

Sicher, aber in England ist das eher unterer Durchschnitt. Ich finde ja kaum jemanden, der schlechter ist als ich.

Sie suchen das perfekte Spiel, was?

Schwer zu sagen. Man muss kein Perfektionist sein, wenn man sich verbessern will. Das ist im Fußball genauso.

Was wäre für Sie das perfekte Mittelfeldspiel?

Ach, ich weiß nicht, ob es das gibt. Als Mittelfeldspieler muss du eh alles gut können.

In Ihrer Position, im defensiven Mittelfeld, ist ein Spieler dann gut, wenn er gar nicht auffällt...

Wenn Sie so wollen, ja. Und doch kommt es darauf an, ob die Mannschaft funktioniert. Wenn du unauffällig spielst, aber in der 90. Minute das 1:0 schießt, sagen alle, prima, der hat den Laden zusammengehalten. Wenn du das 0:1 kriegst, heißt es, der war das ganze Spiel nicht zu sehen.

Ihre Position erfordert viel Organisation auf dem Platz, was mancher auf der Tribüne gar nicht so sieht...

Ich spiele ja nicht für die Tribüne, ich spiele für die Mannschaft.

Kapieren die Engländer Ihre Spielweise eher als die Deutschen?

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in England verkannt werde.

Wie oft hat denn Rudi Völler sich davon überzeugen können?

Er war schon mal drüben, aber nicht oft.

Das heißt, der Teamchef vertraut Ihnen blind. Denn Sie sind bei ihm gesetzt.

Ich weiß auch nicht, woher er seine Informationen hat. Aber er hat sie.

Das Interview führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt

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