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Sport: „Ich war Goleo“

Keiner wurde mehr veralbert als das WM-Maskottchen. Nur wer steckte eigentlich da drin? Es war – Ernie aus der Sesamstraße

Martin Paas hat es sich auf der sonnigen Gartenterrasse bequem gemacht. Er hat ein weißes Shirt mit „Tim & Struppi“ angezogen, und Martin Paas trägt an diesem Vormittag in Köln – eine Hose.

Das ist ein nicht zu unterschätzendes Detail, schließlich drehte sich ja während der WM 2006 so vieles um diesen Stofffetzen. Das Maskottchen „Goleo VI“ hatte nämlich keine Hose an. Und deshalb frotzelte der Boulevard, blafften Stardesigner, und mittendrin steckte Martin Paas. „Ich war Goleo“, sagt er.

Der Mann mit dem Dreitagebart, der nun mit khakifarbenen Bermudashorts auf dieser Sommerterrasse hockt, war einer der bekanntesten Protagonisten der WM. Jeder kannte das Plüschmonster, nur wer darin steckte, das blieb während der WM ein gut gehütetes Geheimnis des Weltverbandes Fifa.

„Dürfen wir offiziell reden?“, fragt Paas also. Ja, dürfen wir. Martin Paas ist 40 Jahre alt, sein Haar licht, er ist längst kein Student mehr, auch wenn das Franz Beckenbauer einst so mutmaßend daherplauderte, obwohl er mit Goleo doch schon Kaffee trinken war in den Stadienkatakomben.

Martin Paas ist Profi. Puppenspielerprofi. Er hat einst bei „Hurra Deutschland“ Gerhard Schröder gesprochen und später bei Käpt’n Blaubär mitgemacht. Heute leiht er auch Ernie und dem wuseligen Schaaf Wolle seine Stimme in der Sesamstraße. „Pille“, der sprechende Ball im linken Arm Goleos, wurde gespielt von Carsten Haffke. Auch der ist 40 und in der Sesamstraße die Figur Bert. Merke: Ernie und Bert waren Goleo und Pille.

Eingestampft wurde Goleo nicht. Fünf Exemplare mit Schwanz und ohne Hose gab es, zwei stehen auf Etage 1 des neuen Fifa-Hauptquartiers in der Schweiz neben einer Topfpflanze. Ein Goleo ist in Italien bei der SOS-Kinderhilfe, einer in München und einer in Dortmund. Kosten pro Stofftier: 7500 Euro.

Vier Teams waren vor und während der WM im Einsatz; denn Goleo konnte ja nicht um 15 Uhr in Hamburg tanzen und um 17 Uhr schon wieder in Stuttgart johlen. Paas war die Erstbesetzung. Er steckte im teuersten Goleo, der 50 000 Euro gekostet hatte und dem „Wetten, dass..?“-Moderator Thomas Gottschalk beim ersten Auftritt so kräftig vors Knie trat. „Hatte deine Mutter was mit einem Lama?“, spottete Gottschalk. Keiner bekam so viel Kritik ab wie Goleo. Irgendwann dachte Paas: „Gott, was passiert hier? Das ist doch nur ein Maskottchen.“

Im Stadion war es anders. Da haben ihn Kinder fröhlich am Schwanz gezogen und Mexikaner wie wild fotografiert. Die Fans fanden ihn lustig, in streng-seriösen Magazinen dagegen habe es „zum guten Ton gehört, auf mir rumzuhacken. Das fand ich … schwierig“, sagt Paas.

Nur Moritz, sechs Jahre alt, wusste, wer in diesem 35 Kilogramm schweren Kostüm steckt. Moritz ist das Patenkind und keine echte Gefahr. Wenn Moritz im Kindergarten erzählte, wer in Goleo stecke, „dann haben ihn alle anderen Kinder nur verstört angeguckt“.

Gleich nach dem Casting im Herbst 2003 hatte der Puppenspieler mit dem Training begonnen, er musste lernen, die Plüschhülle zu bewegen. Paas ist 1,80 Meter groß – Goleo 50 Zentimeter größer. Da kann man schon mal gegen den Türrahmen laufen. Zumal Goleo schlecht gucken kann.

Paas schaute im Innern der Plüschhülle auf zwei Monitore, die ihm auf die Brust geschnallt wurden. Auf dem einen war das Bild zu sehen, das eine Minikamera in Goleos Auge aufnahm. Das andere Bild lieferte ein unauffälliger Kameramann, der sich stets fünf Meter entfernt befand und die Umgebung filmte von draußen.

Das war längst nicht alles. Der rechte Arm steckte in Goleos Kopf und bewegte auch die Lippen. Der linke Arm von Paas steckte im linken Arm Goleos – und wenn er den linken Arm nun einmal kräftig senkte, hob sich der rechte, eigentlich taube Arm – verbunden über einen dünnen Nylonfaden – rasant in die Luft. Und Goleos Augenlider klappte Paas hoch und runter mit dem Zeigefinger.

Das alles auf einmal? „Pfff“, schnauft Paas. Er schwitzte gewaltig, 52 Grad haben sie einmal gemessen. In Goleo trug er eine dünne, lange Stoffhose. Die sollte den Schweiß aufsaugen.

Am Ende eines Tages mussten sie den Löwen trotzdem immer trocken föhnen.

André Görke

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