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Sport: Im Abwind

Herthas Spieler glaubten, dass die schwere Krise überwunden sei – nun ist die Stimmung wieder am Boden

Berlin. Wenn aus dem silbernen Mercedes auf dem Parkplatz der Bass dröhnt und die Sambarhythmen trotz geschlossener Fensterscheiben deutlich zu hören sind, dann dauert es nicht mehr lange, bis Marcelinho aus der Kabine tänzelt. Dann dauert es nicht lange, bis die Musik verstummt, drei Herren aus dem Wagen Marcelinhos springen und mit dem brasilianischen Fußballer singend zum Trainingsplatz weiterziehen. Das sind gute Zeichen, weil Marcelinho dann gut gelaunt ist.

Am frühen Montagmorgen saßen die drei Herren still in Marcelinhos Wagen. Kein Bass, keine Sambarhythmen. Und als Marcelinho, der Spielmacher von Hertha BSC, in Richtung Trainingsplatz schlich, tat er dies so leblos wie am Abend zuvor auf dem Rasen des Olympiastadions. Sein Clan lief schweigend hinterher.

Die schlechte Stimmung hatte ihre Ursache auch, aber nicht nur in Herthas 1:2-Niederlage am Sonntagabend gegen Eintracht Frankfurt. Der Brasilianer wirkt schon lange nicht mehr so fröhlich, wie er es früher einmal war. Marcelinho fühlt, wie Hertha spielt. Oder umgekehrt. „Wir haben kein Marcelinho-Problem“ – diesen Satz betet Herthas Trainer Hans Meyer schon seit Wochen herunter. Das mag richtig sein, aber auch nur, weil die Kollegen des Brasilianers dessen Formschwäche durch viel Einsatz und Leidenschaft kompensierten. Vielleicht würden sie Marcelinho sogar mitreißen, hatte Meyer gehofft, dann könnte der Spielmacher wieder lachen und tänzeln. Doch gegen Eintracht Frankfurt spielte Hertha plötzlich genauso wie ihr wichtigster zentraler Spieler seit Wochen. „Ohne Biss“, sagt Meyer.

Dabei schien es, als hätten zumindest Marcelinhos Kollegen verstanden, wie sie sich gegen den drohenden Abstieg von Hertha BSC wehren müssen. Anstatt ständig über Potenziale und ewig platzende Knoten zu philosophieren, kämpfte die Mannschaft gegen Stuttgart und in Freiburg – und gewann so beide Spiele. Gegen Frankfurt nun hatte Meyer „schon nach drei, vier Minuten gesehen, dass wir das nicht hinbekommen“.

Die Berliner ließen am Sonntag Aggressivität und die kämpferische Einstellung der letzten Tage vermissen, sie gingen so emotionslos zu Werke, als würden sie glauben, die Gegner müssten vor Ehrfurcht erzittern angesichts der Serie von zwei gewonnenen Spielen. Vielleicht haben die Berliner die Einstellung für den Abstiegskampf doch nicht verinnerlicht. Meyer erzählte am Montag, er habe in der vergangenen Woche die Stimmung genau beobachtet und Details erkannt, die in ihrer Kombination ein fatales Ergebnis ergaben.

Stürmer Giuseppe Reina etwa sei vor dem Spiel gegen Frankfurt davon ausgegangen, dass „wir 3:0 gewinnen“. Das stand so unkommentiert in der Zeitung, dass sich Meyer anschließend Sorgen machte. Eintracht Frankfurt – „der Außenseiter, die Blinden, die schlagen wir locker!“, sagte Meyer in dem ihm eigenen sarkastischen Unterton. „Wenn das drei, vier Spieler denken, habe ich als Trainer ein Problem.“

Es waren nicht nur die erfahrenen Spieler wie der 31-jährige Reina, sondern auch die jungen, die negativ auffielen. Sofian Chahed und Malik Fathi, beide 20 Jahre alt, sind nach ihren zuletzt guten Leistungen dem lockenden Ruhm verfallen. Beide ließen sich am Hackeschen Markt fotografieren und kamen mit neuen Frisuren zum Training. „Und dann haben sie gegen Frankfurt versagt“, sagt Meyer. Plötzlich war es wie im Herbst bei Hertha. Es schien nicht mehr um das Allgemeine zu gehen, den Kampf des Kollektivs gegen den Abstieg, sondern um individuelle Interessen. „Wir haben nicht gemeinsam gespielt“, sagt Meyer. Stürmer Reina gab nach dem 1:2 gegen Frankfurt zu: „Wir haben gedacht, wir wären weiter.“

André Görke

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