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Sport: IM INTERVIEW Thomas Bach: "Viele Kräfte versuchen, an Olympia zu zerren"

Das deutsche IOC-Mitglied über die Zukunft der Spiele: "Größte Gefahr ist der Erfolg, größte Chance die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Anerkennung" TAGESSPIEGEL: Die Olympischen Spiele von Atlanta sind als Spiele des Kommerzes und der Pannen in Erinnerung geblieben.Nagano möchte nun die "Spiele des Herzens" ausrichten.

Das deutsche IOC-Mitglied über die Zukunft der Spiele: "Größte Gefahr ist der Erfolg, größte Chance die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Anerkennung" TAGESSPIEGEL: Die Olympischen Spiele von Atlanta sind als Spiele des Kommerzes und der Pannen in Erinnerung geblieben.Nagano möchte nun die "Spiele des Herzens" ausrichten.Was erwarten Sie? BACH: Es werden gute Spiele nicht ohne Schwierigkeiten.Vor allem der Transport ist in den Griff zu bekommen.Auch schnelle Wetterstürze könnten Probleme bringen.Natürlich wird man die Atmosphäre nicht mit Lillehammer, den Winterspielen in einem Wintersportland, vergleichen können.Die Mentalität der Japaner ist eben anders. TAGESSPIEGEL: Trotzdem dürfte Olympia wohl wieder ein Erfolg werden? BACH: Die Nachfrage zumindest ist groß.Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1994 wurden in Deutschland 88 Stunden im Fernsehen übertragen - innerhalb von vier Wochen.Bei den Winterspielen in Lillehammer waren es im gleichen Jahr in zwei Wochen 188 Stunden.Nagano wird wieder eine Steigerung bringen. TAGESSPIEGEL: Sind denn diese Steigerungen noch zu verkraften? Bei den Winterspielen 1972 in Sapporo sahen wir 35 Goldmedaillen-Gewinner.In Nagano sind es nun 68 ... BACH: Das richtige Olympia-Programm käme der Quadratur des Kreises nahe.Aber bei den Winterspielen haben wir noch Luft.Es können noch neue Disziplinen hinzukommen, solange keine zusätzlichen Infrastrukturen geschaffen werden müssen.Warum nicht irgendwann Skispringen für Frauen? TAGESSPIEGEL: Worin liegt denn die größte Gefahr, der Olympia ausgesetzt ist - im Doping, im Übermaß? BACH: Es gibt natürlich große Gefahren.Doping ist eine davon.Die größte Gefahr für Olympia ist aber der große Erfolg.Aufgrund dieses Erfolges versuchen über kurz oder lang zu viele Kräfte, an Olympia zu zerren.Daher ist es eine der größten Aufgaben für das IOC, hier Unabhängigkeit zu wahren und diese Kräfte zu kontrollieren, soweit das möglich ist. TAGESSPIEGEL: Kräfte welcher Art? BACH: Wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Art.Es werden unheimlich hohe Erwartungen in allen Bereichen in die Spiele gesetzt.Hier müssen wir deutlich machen, welche Erwartungen wir erfüllen können und welche nicht.Und wir müssen immer wieder deutlich machen, daß der Entscheidungsträger eben der Sport, im speziellen Fall das IOC ist - und nicht ein Dritter. TAGESSPIEGEL: Kritiker sagen, das IOC habe in der Vergangenheit generell zu wenig gegen Dopingmißbrauch getan, habe nicht genug Druck auf die Sportverbände ausgeübt. BACH: Das IOC hat mit dem "Medical Code", dem Dopinggesetzbuch des olympischen Sports, den richtigen Schritt gemacht.Es werden auch alle Medaillengewinner getestet.Aber wir können Mißbrauch natürlich nicht ausschließen, solange nicht alle 10 000 Olympia-Teilnehmer regelmäßig kontrolliert werden.So lange es Wettkämpfe unter Menschen gibt, wird es immer auch Betrugsversuche geben.Der Kampf gegen Doping ist nicht zu gewinnen.Wir müssen ihn trotzdem führen.Man löst kein Problem, indem man es ignoriert.Das gehört zum ethischen Verständnis des Sports.Was wir tun können, ist, die Kontrolldichte und das Risiko für Dopingbetrüger zu erhöhen. TAGESSPIEGEL: Und das wird über das IOC ausreichend getan? BACH: Wir können mit der Umsetzung des "Medical Code" insbesondere bei den Sommersportarten nicht zufrieden sein.Vieles versickert trotz Unterschriften.Wir haben deshalb erst mit den Wintersport-Verbänden im Dezember Gespräch geführt - mit dem Ergebnis, daß sich alle in vollem Umfang dem Medical Code anschließen wollen.Wir prüfen derzeit die Möglichkeit, den Druck auf die Sommersportverbände zu erhöhen.Aber wir drohen noch nicht.Wir hoffen auf Goodwill und darauf, daß die Gespräche erfolgreich zum Abschluß kommen. TAGESSPIEGEL: Wir dachten eher an Konkreteres als nur an Resolutionen ... BACH: Man muß sich mal in Erinnerung rufen, was das IOC getan hat und tut, um das in die richtige Dimension zu bringen.Das IOC war die erste sportliche Organisation, die überhaupt Dopingregeln aufgestellt hat.Das IOC war die Organisation, die den damals populärsten Athleten der Welt, Ben Johnson, ohne mit der Wimper zu zucken, sofort disqualiziert hat.Das IOC ist die Organisation, die alle offiziell anerkannten Labors weltweit akkreditiert, die also überhaupt für die ganze Glaubwürdigkeit der Logistik bürgt, auch außerhalb von Olympischen Spielen.Wir unterstützen Forschungsprogramme zur Entdeckung von Substanzen, die heute noch nicht entdeckt werden können.Die Gelder, die wir zahlen an Nationale Olympische Komitees und an internationale Fachverbände, können dort natürlich auch eingesetzt werden zur Dopingbekämpfung. TAGESSPIEGEL: In welchen Größenordnungen bewegt sich das? BACH: Wir haben gerade einen Arbeitsauftrag an die medizinische Kommission gegeben, einmal zusammenzustellen, was finanziell insgesamt getan wird.Ich glaube, es wird eine Summe rauskommen, die manchen erschrecken wird, weil sie sehr, sehr hoch ist.Wir machen mit der Europäischen Union zusammen momentan ein Forschungsprogramm zur Entdeckung der EPO-Substanzen.Dieses Programm ist mit mehreren Millionen Dollar dotiert. TAGESSPIEGEL: Kommt man denn mit Geld allein ans Ziel? BACH: Ich sehe unsere Aufgabe auch gar nicht unbedingt in einer Erhöhung der finanziellen Zuschüsse, die wir den Verbänden übrigens angeboten haben und anbieten, sondern eher darin, Überzeugungsarbeit zu leisten, daß es wichtig und notwendig ist, Doping zu bekämpfen. TAGESSPIEGEL: Ist für Sie die Öffnung der DDR-Archive da ein Meilenstein in der Dopingbekämpfung hierzulande oder drehen wir uns letztlich nur im Kreis? BACH: Ich hoffe nicht, daß wir uns im Kreis drehen.Ich kenne die Einzelheiten dieser Unterlagen auch nur aus der Presse.Ob sie uns für die Zukunft faktisch weiterhelfen, weiß ich gegenwärtig nicht.Sie helfen sicherlich, indem sie öffentliche Aufmerksamkeit aufrechterhalten. TAGESSPIEGEL: 1976 in Montreal wurden Sie Fecht-Olympiasieger.Wie hat sich Olympia seitdem verändert? BACH: Die Olympischen Spiele, an denen ich teilgenommen habe, sind mit denen von heute überhaupt nicht mehr zu vergleichen.Weder in der sportlichen Qualität noch in der Qualität der Infrastruktur, der gesellschaftspolitischen Bedeutung, der finanziellen Dimension.Das sind zwei verschiedene Welten. TAGESSPIEGEL: Und ist jetzt eine schöne neue Welt? BACH: Der Sport und die olympische Bewegung haben jedenfalls eines seither erreicht: Man hat sich vom Tropf der Regierungen gelöst und ist damit unabhängiger geworden mit der Folge, daß wir - im Moment wenigstens - die leidigen Boykott-Diskussionen los sind.Die Spiele sind finanzierbar geworden.Ein Desaster wie 1976 in Montreal kann es heute nicht geben durch die hohen Zuschüsse, die das IOC bezahlt.Dadurch, daß heute tatsächlich alle Nationalen Olympischen Komitees (197 in Atlanta 1996, die Red.) weltweit teilnehmen und durch die Tatsache, daß das IOC durch die Erreichung der finanziellen Unabhängigkeit in der Lage ist, den Athleten aus der Dritten Welt zu helfen, hat die gesellschaftpolitische Bedeutung Olympias eine ganz andere Dimension erreicht als früher. TAGESSPIEGEL: Alles eitel Sonnenschein? Gibt es wirklich keine Gefahren? BACH: Nichts im menschlichen Leben ist ohne Gefahr, aber insgesamt ist die Entwicklung positiv.Für die Spiele nach Moskau 1980 gab es keine Bewerbungen mehr.Die Spiele waren tot.Es wollte sie keiner mehr haben.Jetzt kann sich der Sport auf einer ganz anderen Bühne präsentieren.Der Sport wird als gesellschaftspolitischer, als wirtschaftlicher Faktor anerkannt, das ist eine Chance.Aber jede Chance im Leben ist eben auch mit Risiken verbunden. TAGESSPIEGEL: Beneiden Sie ihre Nachfolger - die Aktiven, die auf größerer Bühne stehen? BACH: Nein, nein.Alles zu seiner Zeit.Man darf nicht den Fehler machen, die Vergangenheit zu glorifizieren, aber auch nicht den Fehler machen, sie zu verdammen.Ich hatte eine wunderschöne Zeit als Aktiver, in vielem war ich vielleicht auch viel freier, als heute die Sportler sind.Denn einer der Nachteile ist, daß mit der höheren gesellschaftlichen Bedeutung nun auch viel höherer gesellschaftlicher Druck da ist. TAGESSPIEGEL: Sie gelten als enger Vertrauter von IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch.Ehrt es Sie, als sein Nachfolger gehandelt zu werden? BACH: Es ist natürlich immer gut, in positivem Zusammenhang genannt zu werden.Besser, als wenn man als Verlierer gilt.Aber die Frage der Präsidentschaft stellt sich nicht.Der IOC-Präsident ist gerade erst wiedergewählt worden, deshalb beteilige ich mich an einer Nachfolge-Diskussion mit keinem Wort.

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