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Sport: Im Spiegel des Tages: Geständnis eines Sechzigers

Mehmet Scholls Bäcker muss ein brutaler, furchteinflößender, grausiger Kerl sein. Immer mit herabtriefendem Teig an den dicken Fingern, die allzu gerne einmal einen Fußballerhals umgreifen und dann sehr fest zudrücken würden.

Mehmet Scholls Bäcker muss ein brutaler, furchteinflößender, grausiger Kerl sein. Immer mit herabtriefendem Teig an den dicken Fingern, die allzu gerne einmal einen Fußballerhals umgreifen und dann sehr fest zudrücken würden. Und wenn Mehmet Scholls Bäcker nicht so viele Kunden hätte, die - natürlich nicht wegen der guten Semmeln, sondern wegen Mehmet Scholl - in Strömen in den Laden rennen, dann hätte München seinen ersten von Bäckerhand erdrosselten Bayernspieler schon gehabt. Scholl hat offensichtlich Angst vor seinem Bäcker. Denn jedes Mal vor einem wichtigen Spiel für die Roten vom FC Bayern, meistens vor dem Stadtderby gegen die Blauen von 1860, sagt Mehmet Scholl, dass er unbedingt gewinnen möchte. Weil er sonst Angst hat, am nächsten Morgen zum Bäcker zu gehen.

Ich will zwar nicht, dass Mehmet Scholls Bäcker irgendwann einmal zudrückt. Aber immer, wenn Mehmet Scholl vor lauter Hunger aufwacht und dann noch im Bett die Augen verdreht, die Hände überm Kopf zusammen schlägt und viel darum gäbe, jetzt nicht aufstehen und zum Bäcker gehen zu müssen, dann bin ich glücklich. Denn ich bekenne: Ich bin ein Fan der Sechziger. Einmal habe ich mir sogar überlegt, ob ich Mehmet Scholl auflauern soll. Beim Bäcker, um meinen ersten bei vollem Bewusstsein erlebten Derbysieg von 1860 (bei dem davor war ich sieben Monate alt, und es sollte einige Zeit bis zum nächsten vergehen) in seinem von Gram zerfurchten Gesicht noch einmal zu erleben.

Und dann kamen Manchester United und dieser seltsame 26. Mai 1999. Die Bäcker von Barcelona waren sensibel und sagten keine katalanische Silbe zu Mehmet Scholl. Und ich, ich hatte zwar bei Solskjaers 2:1 die Arme empor gerissen, aber richtig glücklich konnte ich trotzdem nicht sein angesichts des Elends. Und jetzt das sogenannte Revanche- oder Revenge-Spiel. Es war spannend, und ich dachte ja mehr an die Nachspielzeit als an Mehmet Scholls Bäcker. Und als Paulo Sergio dann das Tor für Bayern schoss, musste ich erschreckt feststellen, dass ich den Treffer sogar Scholl gegönnt hätte. Das Schlimmste aber ist (deswegen kurz und am Ende), auch noch zuzugeben, dass der FC Bayern gut gespielt und verdient gewonnen hat.

Julius Müller-Meiningen

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