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Sport: Immer weiter

Agassi spielt wie in seinen besten Zeiten – und verliert trotzdem gegen Federer

Mit seiner schweren Tennistasche auf der Schulter trottete Andre Agassi in seinem komischen Watschelgang den Flur hinunter, vorbei an den kalten weißen Mauersteinen und den Bildern historischer Tennisgrößen. Am Ende des Ganges wartete seine Frau Steffi Graf. Als Agassi nahe genug war, ließ sie den Kindern freien Lauf. „Daddy hat verloren, Daddy hat verloren“, brabbelte Jaz Elle, zwei Jahre alt, vor sich hin, als ob sie sich bestätigen müsste, was sie gerade miterlebt hatte. Sohn Jaden Gil, vier Jahre alt, erreichte den Vater als Erster und fragte: „Gegen wen hast du gespielt?“ Antwort: „Ein Typ mit langen Haaren.“

Die Geschichte von der Niederlage des Glatzkopfes Agassi gegen den langhaarigen Roger Federer aus der Schweiz hatte zuvor 23 000 Zuschauer im Arthur- Ashe-Stadion aufgewühlt und Millionen an den TV-Schirmen. Tausendfach wurde sie am nächsten Tag nacherzählt. Wie der alte Mann im Finale der US Open kämpfte gegen einen, der die Linien des Feldes nicht als Begrenzung versteht, sondern als Ziel, das er nach Belieben trifft. Wie Agassi im dritten Satz 4:2 und 30:0 führte und dann doch in den Tie-Break musste. Wie dort im ersten Spiel sein Stoppball mit der Eleganz einer Schneeflocke hinterm Netz herunterfiel – und dies sein einziger Punkt bleiben sollte. Danach war der tapfere Kampf vorbei.

6:3, 2:6, 7:6 (7:1), 6:1 lauteten die schlichten Daten des Finaltriumphs von Roger Federer gegen Andre Agassi. Eine Niederlage, die die wunderbare Reise des Amerikaners bei seinen 20. US Open beendete und die ein weiteres Kapitel zur Saga der Unschlagbarkeit des 24 Jahre alten Schweizers hinzufügte. 71 Matches gewann Federer in dieser Saison, der Titel war sein 23. Finalerfolg hintereinander seit Oktober 2003. Wie schon im vorigen Jahr brachte er das Kunststück fertig, Wimbledon und Flushing Meadows in derselben Saison zu gewinnen. Längst tritt er nicht nur gegen die Safins, Nadals und Gasquets seiner Generation an, sondern gegen die Rekorde der historischen Helden.

„Es macht Spaß, nicht nur gegen die anderen Jungs zu spielen, sondern gegen die Geschichte“, sagte Federer. Einen davon hatte er in Fleisch und Blut am Sonntagabend vor sich. Was Agassi zeigte, trotz seiner 35 Jahre und seines schmerzenden Ischiasnervs, wäre einen großen Pokal wert gewesen, und nicht nur einen kleinen Teller. „Aber Federer spielt ein Spiel, das ich zuvor noch nicht gesehen habe“, sagte der Geschlagene später, „jeder hat seinen schwachen Punkt. Pete Sampras hatte seine schwachen Punkte, und man konnte ihn dahin bringen. Aber bei Federer gibt es so etwas einfach nicht. Er ist der Beste, gegen den ich je gespielt habe.“

Sich selbst hatte Agassi wirklich nichts vorzuwerfen, er spielte so klug variierend und so druckvoll wie zu den besten Zeiten seiner Karriere. Die schönste Beschreibung gelang anschließend dem „San Francisco Chronicle“, der von einem „poetischen Schusswechsel“ schrieb, den sich die beiden lieferten: „Agassi musste sich fühlen wie jemand, der sich mit den Fingernägeln am Kliff festkrallt, aber dem immer wieder auf die Hände getreten wird.“ Nur dass Federer seine Gegner viel eleganter in den Abgrund stößt. „Er ist der Einzige, gegen den ich gespielt habe, bei dem man denkt, wenn man seinen Aufschlag zum 1:0 durchbringt: Okay, wie gut! Er kann dir einfach in jeder Sekunde weh tun“, sagte der Amerikaner und beschrieb so seine Qualen. Ob der Schweizer unschlagbar sei, wurde er noch gefragt. Agassi antwortete: „Natürlich ist er schlagbar. Mir gefällt nur die Wahrscheinlichkeit nicht, mit der das passiert.“

Auch mit einem anderen Gerücht räumte Agassi noch auf, bevor er sich zur wohlverdienten Ruhe zurückzog. Weil er sich bei der Siegerehrung bei den Zuschauern für „wundervolle 20 Jahre“ bedankt hatte, waren unverzüglich Spekulationen über seinen bevorstehenden Rücktritt hochgekocht. So sei das nicht gemeint gewesen, versicherte Agassi: „Ich weiß nicht, was ich in einem Monat tun werde, ganz zu schweigen von einem Jahr. Aber ich werde weiter versuchen zu tun, was ich tue. Das Einzige, das besser ist als die letzten 20 Jahre, werden die letzten 21 Jahre sein.“

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