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Inklusion im Fußball lebt immer noch vom Engagement Einzelnen. Nun setzt die Fußball-Bundesliga ein Zeichen.

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Inklusionsspieltag in der Fußball-Bundesliga: "Der Sport kann die verbindende Brücke sein"

Beim Inklusionsspieltag der Bundesliga steht am Samstag das Spiel Bremen gegen Leverkusen im Mittelpunkt. Wir haben Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald vorab zum Thema Inklusion interviewt.

Von Christian Hönicke

Herr Hess-Grunewald, Inklusion im Sport ist gar nicht so leicht. Das weiß man nicht erst seit der Teilnahme des unterschenkelamputierten Weitspringers Markus Rehm an den Deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten.

Inklusion im Sport wird nicht bedeuten können, dass man irgendwann einmal behinderte und nichtbehinderte Sportler gegeneinander antreten lässt. Das wäre unfair. Ein Rollstuhlfahrer kann nicht mit einem 100-Meter-Läufer um die Wette laufen. 

Aber Sport ist doch körperlicher Wettkampf, sich miteinander messen?

Sport hat natürlich etwas mit körperlichem Wettkampf zu tun. Wo es um Titel und Medaillen geht, da werden Sie auch die Wertungen nicht einfach abschaffen können. Das ist ja genau das, wofür die Sportler jahrelang trainiert haben. Aber statt des Wettkampfcharakters muss man zumindest im Breitensport das gemeinsame, das verbindende Element in den Vordergrund stellen.

An diesem Wochenende gibt es den „Inklusionsspieltag“  in der Fußball-Bundesliga. Im Mittelpunkt steht das Spiel Ihres SV Werder Bremen gegen Bayer Leverkusen. Was passiert da genau?

Wir werden versuchen, bei der Durchführung des Spieltags, mit allem, was dazugehört, Inklusion zu leben. Das Ziel ist, mit der Strahlkraft der Bundesliga für das Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten zu werben. Wir werden hier große Banner im Stadion aufhängen, wir haben Aktionen vor und im Stadion. Wir werden Einlaufkids haben, die behindert sind, wir werden Spalierkids haben, die stark gehbehindert sind. Wir werden einen 12-jährigen Jungen mit Down-Syndrom haben, der dem Stadionsprecher assistiert. 

Es fällt auf, dass mehr und mehr Profiligen solche Aktionsspieltage zu verschiedenen Themen durchführen. Für diese Maßnahmen gibt es den Fachbegriff „Corporate Social Responsibility“, kurz CSR. Steigt mit den finanziellen Einsätzen im Profifußball auch der Druck, sich auf der anderen Seite als gemeinnützig zu erweisen?

Ich würde nicht von Druck sprechen. Aber ich denke schon, dass das wichtig ist. Die Leute reden über die Summen, auch wenn nicht jeder Transfer ein De Bruyne mit 80 Millionen ist. Aber natürlich hat sich das Bundesliga-Geschäft in den letzten 15, 20 Jahren verändert, weil einfach viel mehr Geld ins Spiel gekommen ist. Und dann wird eben auch gefragt: Was macht ihr eigentlich sonst so? Spielt ihr nur Fußball und schiebt viel Geld hin und her? Oder engagiert ihr euch auch? Die Bundesliga insgesamt, und die Vereine, haben eine enorme Öffentlichkeit. Und daraus erwächst auch ein Stück gesellschaftlicher Verantwortlichkeit, positiv in die Gesellschaft zurückzustrahlen. Erst vor kurzem wurden wir für unser Engagement mit dem Wirkt-Siegel von PHINEO ausgezeichnet. Das ist für uns ein Ansporn und eine Bestätigung, das selbstverständliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung voranzutreiben und hierzu einen stetigen Beitrag zu leisten.

Werder hat das schon 2002 erkannt und betreibt seit Jahren einen Strauß an CSR-Maßnahmen in Bereichen wie Umweltschutz und Antidiskriminierung. Animieren Sie andere Bundesligisten, da ebenfalls aktiv zu werden?

Ich tue mich immer ein bisschen schwer damit, anderen zu sagen, was sie zu tun haben. Aber ich habe den Eindruck, dass andere Vereine auch so erkennen, dass auch dieses soziale Engagement wichtig ist. Vor allem, wenn Bundesligisten sich als Marken etablieren wollen. Man zeigt: Wir haben nicht nur diese riesigen Ablösesummen, sondern nehmen auch soziale Verantwortung wahr. Wir engagieren uns für Benachteiligte. Und wir bekennen uns auch politisch, gegen Diskriminierung, für eine Willkommenskultur bei Flüchtlingen. Andere Vereine beginnen jetzt auch damit, dort werden nun Mitarbeiter eingestellt, die für diese Bereiche zuständig sind.

Inklusion ist ein ziemlich vages Wort. Was tut Werder konkret?

Wir haben eine Beauftragte, die sich um die Belange von Behinderten im Verein kümmert. Die nimmt zum Beispiel auch bauliche Anregungen auf und gibt sie weiter. Was den Sport betrifft, haben wir verschiedene Projekte, bieten Blindenfußball an und Leichtathletik, es gibt eine Gehandicaptenmannschaft im Handball. Dazu werden gemeinsame Bundesliga-Erlebnisfahrten organisiert. Bei Werder gibt es ein Miteinander von behinderten und nichtbehinderten Menschen.

Bei Werder gibt es eigene Angebote für gehandicapte Menschen. Somit bleiben Menschen mit Behinderung weitgehend unter sich. Wo ist da das Miteinander?

Es geht um die Möglichkeit der gemeinsamen Teilnahme am gesellschaftlichen Ereignis Sport. Mann kann Angebote wahrnehmen, sich im Verein bewegen und damit auch ein Stück Lebensqualität zurückgewinnen. Ein Beispiel: Unsere U 16 war vor kurzem bei einem Turnier in der Schweiz, parallel dazu war ein Werder-Team beim Turnier für Mannschaften mit behinderten Jugendlichen in der gleichen Altersklasse. Die waren auf derselben Anlage. Und da haben sich unsere Mannschaften getroffen, sich gegenseitig angefeuert, da sind persönliche Kontakte entstanden. Die möchten jetzt hier gemeinsame Trainingseinheiten machen, um diesen Kontakt zu vertiefen. Das ist für mich ein Beispiel für ein sportliches Miteinander: dass sie sich nicht voneinander abgrenzen, dass sie die Scheu voreinander ablegen und einen unbefangenen Umgang haben. Das ist das Entscheidende.

Der Jurist Hubertus Hess-Grunewald (55) ist seit November 2014 Präsident des SV Werder Bremen.
Der Jurist Hubertus Hess-Grunewald (55) ist seit November 2014 Präsident des SV Werder Bremen.

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Von 91 000 Sportvereinen in Deutschland bietet bisher nur ein Bruchteil Sport für Behinderte an. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Ich glaube, dass es eine gewisse Unsicherheit gibt, etwas im Umgang mit behinderten Menschen falsch zu machen. Weil man vielleicht glaubt, sich nicht adäquat verhalten zu können oder nicht alle behindertengerechten Voraussetzungen bieten zu können. Das gesellschaftliche Klima hat sich meiner Wahrnehmung nach deutlich geändert. Früher wurden irgendwelche Häuser abseits der Stadtzentren gebaut, wo dann die Menschen mit Behinderung untergebracht wurden. Heute holt  man die Einrichtungen ja wieder in die Städte, um diese Menschen über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wieder mehr zu integrieren. Im Sport müssen da so ein bisschen diese Ängste abgebaut werden, ob man auch mit behinderten Personen und deren Behinderung unbefangen umgehen kann. Das ist ein Lernprozess. Je mehr Sportvereine da positive Erfahrungen machen, umso mehr wird das auch um sich greifen. 

Sollte das Recht auf Sport in Vereinen auch für behinderte Menschen gesetzlich verankert werden?

Das halte ich für schwierig. Wenn Sie das Recht verankern würden, müssten Sie die Vereine verpflichten, Angebote für behinderte Menschen zu schaffen, möglicherweise noch strafbewehrt. Das würde die gesellschaftliche Akzeptanz wohl nicht gerade erhöhen und die vielen ehrenamtlich geführten Vereine eher überfordern. Da sollte man vielleicht lieber für die Bündelung der vorhandenen Kapazitäten werben.

Also eher einzelne Behindertensportzentren?

Ja. Ohne despektierlich zu sein: Nicht jeder Dorfverein, der vielleicht einen Ascheplatz hat, kann auch noch Sport für Menschen mit Behinderung anbieten. Das ist nicht leistbar. Es ist besser, das dort zu konzentrieren, wo die räumlichen und infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben sind oder geschaffen werden können. In den Städten und Landkreisen kann man das eher organisieren.

Inklusion kostet Zeit und Geld. Sie sind ein großer Verein. Was raten Sie den kleinen, die nicht wissen, wo sie anfangen sollen?

Kleine Vereine leben ja vom ehrenamtlichen Engagement. Dieses System darf man nicht überfordern. Ich würde den Rat geben, dass man sich Kooperationspartner sucht. Behinderteneinrichtungen, Behindertensportverbände, mit denen man gemeinsam etwas organisiert, um deren Kompetenz zu nutzen. Und auch deren Mitarbeiter. Man muss das nur zusammenführen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man diese Behinderteneinrichtungen noch intensiver in das gesellschaftliche Leben integriert. Und da könnte der Sport die verbindende Brücke sein.

Und was ist mit den großen Sportverbänden? Müssten die nicht auch mehr tun, wenn sie es ernst mit der sozialen Verantwortung meinen? In der Trainerausbildung etwa spielt Inklusion oft kaum eine Rolle.

Das müsste sich ändern. Die Arbeit mit behinderten Sportlern müsste Teil der Ausbildungsthematik werden, vielleicht auch prüfungsrelevant. Solche Kooperationen wie gerade angeregt funktionieren natürlich nicht, wenn der Übungsleiter nicht dementsprechend geschult ist. Werder versucht auch dabei unterstützende Hilfe anzubieten und fördert die Young Coach-Ausbildung, bei der Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam in Ausbildungstandems zu Fußballtrainern im Behindertensport ausgebildet werden.

Im Fußball könnte der gut gepolsterte DFB sicher auch Budgets für Barrierefreiheit oder zusätzliche Trainer zur Verfügung stellen, oder?

Natürlich ist Inklusion nie zum Nulltarif zu haben. Man wird da auch über Geld sprechen müssen und wie das verteilt werden soll. Infrastruktur und Barrierefreiheit können Vereine nur mit finanzieller Unterstützung herstellen. Ob die jetzt von den Sportverbänden oder von den Kommunen oder Städten kommen sollte, lasse ich mal dahingestellt. Aber ohne Geld wird es nicht gehen.

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