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© Imago

Innenansicht: Nach dem letzten Schlusspfiff

Warum der Profifußball eine Scheinwelt ist, hart, aber nicht unerbittlich. Eine Innenansicht des früheren Profis Jürgen Rollmann.

Am 17. Oktober 1993, meinem Geburtstag, besiegen wir mit dem MSV Duisburg den Bundesliga-Tabellenführer Eintracht Frankfurt mit 1:0. Als MSV-Kapitän habe ich vielleicht das beste Spiel meines Lebens gemacht und bin am nächsten Tag in Hamburg ran-Studiogast bei Moderator Reinhold Beckmann. Nur zwölf Tage später schreibe ich folgende Sätze in mein Tagebuch: „Warum bin ich so freudlos? Trotz absoluter finanzieller Sicherheit, trotz Gesundheit, trotz blühender Familienstimmung sogar so freudlos, dass Andrea mich anspricht, warum ich so böse bin, obwohl ich selbst meine, gar nicht böse zu sein. Ich bin so freudlos, weil ich den sportlichen Erfolg will. Aber ist diese Freudlosigkeit, dieses Unterordnen von normalen Gefühlen der Preis für den Erfolg? Ist die Gier nach noch mehr Anerkennung, nach noch mehr Geld, nach ,noch mehr’ schon so ausgeprägt, dass sie zu elementaren Verhaltensänderungen bei mir geführt hat?“

Damals wäre ich nie auf die Idee gekommen, diese Grundstimmung in einen Zusammenhang mit einer Depression zu stellen, auch weil ich damals höchstens wusste, wie Depression richtig geschrieben wird. Heute weiß ich mehr darüber, und das nicht erst seit Robert Enke.

2002 nimmt sich Ex-Profi Guido Erhard (1860 München, Mainz) das Leben. Im Offenbacher Hauptbahnhof wirft er sich vor einen Zug. Seit Jahren ist er manisch-depressiv und war deswegen zuvor monatelang in stationärer Behandlung. Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, aber meine Frau Andrea war mit seinem Bruder befreundet und kannte Guido. Obwohl sie ihn schon viele Jahre aus den Augen verloren hat, ist sie total geschockt und kann es nicht fassen, weil sie ihn als lustigen, schlagfertigen Typen in Erinnerung hatte, immer mit einem Spruch auf den Lippen, eine richtige hessische Frohnatur eben.

Erhard sei nach dem Ende seiner aktiven Karriere nicht mit seinem Leben klargekommen, heißt es. Mit dieser Problematik ist er nicht alleine. Es gibt Beispiele von ehemaligen Fußball-Stars, die nach dem letzten Schlusspfiff brutal abgestürzt sind. Weil sie es nicht verkrafteten, von jetzt auf gleich nicht mehr gebraucht zu werden, keine Anschlussbeschäftigung fanden, eventuell sogar finanzielle Probleme hatten, wie eine ganze Spielergeneration Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, die mit windigen Immobiliengeschäften ihr Vermögen verloren.

Später als mit Jan Simak und Sebastian Deisler zwei herausragende, junge Spieler wegen Chronischem Erschöpfungssyndrom beziehungsweise Depression aus dem Profi-Geschäft vorübergehend ausgestiegen sind, wurde ein Umdenken der Vereine und Spieler verlangt. Weil viele Faktoren immer mehr Einfluss gewönnen auf die Verfassung eines Fußballers: Steigende Erwartungshaltung, Druck durch die Medien, auch der zunehmende Konkurrenzkampf durch die erhöhte Arbeitslosigkeit spielten eine Rolle. Darauf müssten die Vereine reagieren, denn die Dunkelziffer der Profis, die Unterstützung brauchten, sei sehr hoch.

Tatsächlich hat sich auf diesem Gebiet seitdem einiges getan. Etliche Vereine beschäftigen Psychologen oder arbeiten auf Honorarbasis mit Mentaltrainern zusammen, bei der Spielergewerkschaft VdV, deren Präsident ich von 1994 bis 1996 war, wird den Mitgliedern seitdem ebenfalls das Angebot von psychologischer und seelsorgerlicher Hilfe gemacht. Wir müssten dazu kommen, dass im Fußball jeder ohne Angst leben könne, hat DFB-Präsident Zwanziger gesagt und in diesem Zusammenhang noch homosexuelle Fußballer erwähnt, die unter einem ähnlichen Verbergungsdruck stünden wie depressive Spieler. Der Berliner Sportsoziologe Gunter Gebauer bezweifelt allerdings, dass sich der Mikrokosmos Fußball-Bundesliga überhaupt öffnen kann, weil sich der Profifußball zu einer unerbittlichen Welt entwickelt habe, eine maskuline Ellenbogenwelt geworden sei.

Ist das wirklich so? Ich habe mich sieben Jahre in dieser Ellenbogenwelt als Profi aufgehalten und kann mich dank meiner Tagebuchaufzeichnungen gut erinnern, als ich 1988, aus der Dritten Liga kommend, beim amtierenden Deutschen Meister Werder Bremen in diese Scheinwelt eingetreten bin. Es war zu Beginn wie im Schlaraffenland: Nur für das Tragen der Torwarthandschuhe, die ich mir vorher überwiegend selbst gekauft hatte, zahlte mir eine Firma 10 000 Mark – pro Jahr. Als Grundgehalt bekam ich 8000 Mark und war an den Prämien prozentual beteiligt – „da kommst Du bei einem Verein wie Werder leicht auf 200 Mille im Jahr“, sagte der von Vereinsseite involvierte Spielerberater und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. 200 000 Mark im Jahr? Für mich war das eine unvorstellbar hohe Summe. Die Firma mit den Sammelbildchen, die ich zuvor jahrelang selbst geklebt hatte, schickte wenig später einen Scheck über 2000 Mark – Lizenzgebühr dafür, dass nun mein Kopf geklebt werden darf. Videos gab es umsonst, Bier und Wasser lieferte ein Werder-Sponsor monatlich, das Auto durfte bei einem anderen Sponsor gewaschen werden – natürlich alles kostenfrei.

Überwältigt war ich von der plötzlichen Popularität. Fremde Menschen sprachen mich auf der Straße an, beim Postamt, im Supermarkt, wollten ein Autogramm oder Eintrittskarten. Obwohl mein Gesicht ganz neu und jungfräulich war, was große sportliche Erfolge betraf, kam ich mir bald ständig beobachtet vor und wunderte mich beim ersten Heimatbesuch nach der Vertragsunterzeichnung über Verhaltensweisen von Personen, die ich vor meinem Eintritt in die Scheinwelt Profi-Fußball so nicht kannte. Frauen himmelten mich an, Getränke wurden unaufgefordert gereicht, um Autogramme im Festzelt wurde gebeten.

Ende 1991 hatte ich mehr Eigentumswohnungen als Bundesligaspiele und war zutiefst frustriert, weil Trainer Rehhagel eisern an Oliver Reck festhielt, obwohl der wiederholt Fehler machte und ich endlich auf eine faire Einsatzchance drängte. Nach einem 0:5 in Köln kam der Torwart-Trainer des FC auf mich zu und meinte: „Wie schlecht musst Du eigentlich sein, dass Du nicht spielst? Der Torwart ist doch eine Katastrophe.“ Otto und Olli – ein seltsames Paar spottete der Boulevard, aber wer stand im nächsten Spiel im Tor: Reck! Mit der Begründung von Rehhagel, dass er sich als Trainer nicht dem Zeitungsterror beugen wolle.

In diesen Wochen des Jahres 1991 schließe ich nicht nur mit Werder ab, sondern mit dem Fußball als Beruf insgesamt. Der Job als Nummer 2 kotzt mich an, das ganze Umfeld regt mich auf und der straffe Wochenablauf mit Trainingslagern, Reisen, Spielen und Trainingseinheiten kommt mir vor wie ein permanenter Gefängnisaufenthalt. „Jürgen, das macht doch nichts“, pflegte meine Oma zu sagen, wenn ich mich bei Heimataufenthalten wieder so richtig über meine Situation in Rage geredet hatte, „wie viele wären froh, dort zu sitzen“. „Genau“, schob dann meine Mutter hinterher, „so leicht würde ich auch gerne mein Geld verdienen.“

Es waren diese Argumentationsketten, die mich unendlich aufregten und mich noch jahrelang verfolgten. Zählt denn für alle Außenstehenden nur noch Geld, Geld, Geld, fragte ich mich? Ich hatte doch mittlerweile genug Geld! Trotzdem war ich unglücklich mit meiner Situation. Ich wollte raus aus diesem ,Gefängnis’, noch mal studieren, arbeiten, eine sinnvolle Aufgabe finden, verdammt, das Leben muss doch noch mehr zu bieten haben als die in vielen Bereichen infantile Fußballgemeinde! Das Thema Nationalmannschaft war ohnehin erledigt, da stand mein Kumpel Illgner im Tor, mittlerweile Weltmeister, unumstritten, uneinholbar für mich. Ich kündigte Anfang 1992 meinen Vertrag und bewarb mich bei verschiedenen Stellen außerhalb des Fußballs, der mich dann aber doch noch drei Jahre als Profi sah, weil ich meinen zuvor verletzten Stolz als Nummer 1 in Duisburg noch ein wenig pflegen konnte.

Rückblickend darf ich sagen: Ich bin dem Fußball unendlich dankbar. Ich bin durch ihn sozialisiert worden, habe viele schöne Orte auf dieser Welt sehen dürfen, habe gelernt, mit Siegen und Niederlagen umzugehen, durfte viele interessante Menschen kennenlernen, habe ein kleines Vermögen verdient, das mir auf meine ,alten Tage’ ein sorgenfreies Studium erlaubt und mir und meiner Familie bis heute eine finanzielle Unabhängigkeit (auf bescheidenem Niveau) beschert hat. Natürlich gab es auch die Schattenseiten, die eher im Innern stattfanden. Hans-Georg Huber, Diplompsychologe aus Freiburg, hat dazu formuliert: „Die Zeit der Fußballerkarriere, das Alter von 20 bis 35 Jahren, ist gleichzeitig auch eine ganz wichtige Zeit für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Wachsen Bankkonto und Ruhm schneller als die eigene Persönlichkeit, besteht immer die Gefahr, dass der Spieler sich mit dem Bild identifiziert, das die Öffentlichkeit von ihm als Star hat.“

Diese Beschreibung lässt sich problemlos auf alle jungen Menschen in anderen Berufen übertragen, die früh berühmt und reich werden, und auch auf andere Sportarten. Überall sind Manager, Mitspieler, Verbandsverantwortliche, Eltern, Spielerberater, Freunde gefordert, die Entwicklung eines jungen ,Stars’ aufmerksam zu verfolgen und seine Seele im Blick zu behalten.

Der deutsche Profi-Fußball hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend professionalisiert. Mit der Einrichtung von Leistungszentren haben die Vereine Strukturen geschaffen, die den jugendlichen Talenten eine viel bessere Vorbereitung auf den späteren Beruf als Vertragsfußballspieler erlaubt. Die Äußerungen des Sportsoziologen Gebauer halte ich für überzogen. Der Fußball kann hart sein, ist aber mitnichten eine unerbittliche Welt. Bei der Lektüre zur Krankheit Depression muss ich im Nachhinein sagen, ja, auch ich hatte Momente, die als depressiv zu charakterisieren wären. Aber es gab während meiner aktiven Zeit kein einziges Mal den dunklen Gedanken, mein Leben wegzuwerfen. Gott sei Dank.

Der Journalist Jürgen Rollmann spielte von 1988 bis 1994 als Torwart bei Werder Bremen und dem MSV Duisburg in der Bundesliga.

Jürgen Rollmann

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