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© ddp

Interview: „Ich bin gerne ein bisschen prollig!“

Minh-Khai Phan-Thi mag es, gute Filme zu drehen, sie liebt es, über ihr Leben in Vietnam zu sprechen. Doch ihre Zuneigung zum Fußball währt am längsten. Und deshalb schreit sie bei den Spielen für Deutschland.

Minh-Khai Phan-Thi, erinnern Sie sich an den Tag, als Sie zum ersten Mal ein Fußballspiel im Fernsehen angeschaut haben?

Ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt. Mein Vater war damals total fußballbegeistert und ich total begeistert von meinem Vater. So saß ich eines Tages, als die „Sportschau“ lief, mit ihm vor dem Fernseher – er guckte auf den Bildschirm, und ich beobachtete ihn dabei.

Sie teilten seine Faszination anfangs nicht?

Ich war einfach zu jung, um zu verstehen, was sich dort abspielte. Doch je älter ich wurde, desto mehr ergriff mich die Spannung dieses Spiels.

Was mögen Sie am Fußball?

Es kann alles passieren. Das klingt abgedroschen, aber so ist es. Und der Teamgedanke – der gefällt mir. Generell mag ich Mannschaftssportarten viel lieber als Einzelsportarten. Mitte der 80er Jahre wurde Tennis ja ganz groß und Boris Becker der Held aller sportbegeisterten Familien. Zu der Zeit versuchte mein Vater mich jedes Jahr aufs Neue in ein Tenniscamp zu schicken. Ich aber wollte Fußball spielen und vor allem Fußball gucken. Tennis war mir wirklich zuwider.

Hatte Fußball für Sie damals ein bestimmtes Image?

In Kinderjahren war es für mich ganz normal, Fußball zu gucken. Je älter ich wurde, desto mehr realisierte ich, dass dem Fußball das Image des Prollsports anhaftete – jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich würde sagen, dass Fußball erst mit den ersten Public-Viewing-Plätzen gesellschaftsfähig wurde – 1996 war das etwa. Im P 1 in München, in diesem bekannten Schickeria-Laden, zeigten sie damals Spiele auf Leinwänden und großen Fernsehern. Und plötzlich interessierten sich auch meine Freundinnen dafür.

Hat sich der Prollcharakter vom Fußball heute gänzlich verflüchtig?

Nein, ich finde nicht. Ich bin ja auch gerne prollig. Wenn ich etwa bei einem Hertha-Spiel im Stadion bin, gehe ich ab wie ’ne Rakete. Mein Freund ist dann auch gerne richtig prollig. Ich finde, das gehört auch dazu, und das hat im Stadion auch Charme. Bald wird unser dreijähriger Sohn sicherlich den Wunsch haben, in einem Verein Fußball zu spielen, und dann werde ich neben den ganzen Prolleltern stehen. Das wird bestimmt noch mal eine ganz andere Herausforderung, auch wenn ich ein gewisses Prolltum beim Fußball gut finde.

Wie prollig sind Sie während der Europameisterschaft?

Oh, ich glaube sehr. Wir haben eine Autofahne, eine Fahne im Wohnzimmer, tragen alle Trikots – selbst unser Sohn hat eines. Es gibt ja viele Leute, die sich über diese Fahnenschwenker mokieren, doch ich finde das gut, zumindest dieses Wir- Gefühl, das dadurch spürbar wird. Wenn wir zu Hertha-Spielen gehen, habe ich auch einen Schal um.

Hat sich Ihr Verhältnis zur Nation in den letzten Jahren gewandelt? Auch durch den Schwarz-Rot-Gold-Hype seit der WM 2006.

Nicht wirklich. Ein Nationalgefühl war für mich nie negativ besetzt. Es bedeutete für mich immer, dass man sich in dem Land, in dem man lebt, zu Hause fühlt. Seine Wurzeln verneint man ja nicht, aber sie sind in dem Fußballkontext, in dem immer wieder darüber diskutiert wird, wie deutsch oder wie französisch jemand ist, total unwichtig. Podolskis Herz etwa hängt an Polen, aber er spielt für Deutschland, weil dieses Land seine Heimat ist. Das ist bei mir nicht anders, mein Herz hängt an Vietnam, aber ich habe in Deutschland mein Zuhause. Ich würde also bei einem Spiel gegen die Niederlande immer für Deutschland schreien. Und was bedeutet schon Deutschsein? Ich bezeichne mich als Deutsche und fände es total albern, es nicht zu tun.

Welchen Stellenwert hat die EM eigentlich in Vietnam?

Die Vietnamesen sind ein fußballverrücktes Volk. Und das, obwohl sie selbst so unglaublich schlecht spielen. Das sieht bei ihnen zumeist aus wie Standfußball. Doch meine Onkels in Vietnam stellen sich jede Nacht den Wecker, um ja kein EM-Spiel zu verpassen.

Sie können mit Ihren Verwandten in Vietnam richtig fachsimpeln?

Auf jeden Fall. Die kennen sich teilweise besser aus als wir – vor allem die Premier League und die Bundesliga läuft dort fast überall. Es gab mal eine Zeit, da bin ich mit zwei Spielern vom FC Bayern München um die Häuser gezogen, und als ich meinen Verwandten davon erzählte, wollte sie alles über die beiden wissen. Als sie dann noch erfuhren, dass ich mal Modern Talking interviewt habe, war ich endgültig ihre große Heldin. (lacht)

Was sagen denn Ihre Verwandten, wer Europameister wird?

Erst mal sind alle froh, dass solch destruktiv spielende Mannschaften wie Griechenland raus sind. Die meisten glauben, dass es nun Deutschland macht, das hoffe ich auch, doch ich habe die Befürchtung, dass es die Niederlande werden.

Das Gespräch führte Andreas Bock.

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