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Inselduell in Berlin: Löwen-Trainer Gudmundsson (l.) und Füchse-Coach Sigurdsson.

© dpa / Montage: Tsp

Island: Eine Insel für den Handball

Island entsendet seit jeher gute Trainer in die Handball-Ligen der Welt – am Sonnatg treffen sich zwei im Bundesliga-Spitzenspiel zwischen den Füchsen Berlin und den Rhein-Neckar Löwen.

Die Ankunft der lebenden Legenden bahnt sich in Form eines gewaltigen Flugzeugs an. Am Himmel über Reykjavik kreist eine Maschine, die unter normalen Umständen allein ihrer Maße wegen nie und nimmer eine Landegenehmigung bekommen würde auf dem kleinen Flughafen der isländischen Hauptstadt. An diesem sonnigen Spätsommertag aber ist die Rationalität außer Kraft gesetzt, in Island im Allgemeinen und in Reykjavik im Speziellen. Die Boeing dreht zunächst ein paar Ehrenrunden und landet schließlich sanft. Draußen hat man bereits den Roten Teppich ausgerollt, 40.000 Isländer wollen ihre neuen Nationalhelden zu Gesicht bekommen. „Als ich den ersten Schritt aus dem Flugzeug gemacht habe, ist mir sofort die Bedeutung dieses Augenblicks bewusst geworden“, sagt Gudmundur Gudmundsson, „ein wahnsinniger Empfang, einmalig.“ Aus gutem Grund.

Vor fünf Jahren hat die seinerzeit von Gudmundsson trainierte Handball-Nationalmannschaft Islands Sportgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal gewann am 24. August 2008 ein Land mit gerade einmal 320.000 Einwohnern eine Medaille in einem der olympischen Mannschaftswettbewerbe, überhaupt ist jene Silbermedaille der Handballer erst die vierte in der Geschichte des Landes, das man aus sporthistorischer Sicht vor allem mit der legendären Schach-WM zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski 1972 verbindet.

Diesmal ist die Stimmung allerdings besonders ausgelassen – weil die Isländer endlich auch mal in ihrem Nationalsport einen bedeutsamen Erfolg feiern dürfen. Im Zentrum von Reykjavik hat man eigens Tribünen errichtet, um dem Ansturm gerecht zu werden. „Es war eine Triumphfahrt“, sagt Gudmundsson. Sie endet standesgemäß mit einem Besuch beim Staatsoberhaupt. In einer feierlichen Zeremonie verleiht Präsident Olafur Grimsson der Mannschaft den Falkenorden, die höchste Auszeichnung des Landes. Nach der Finalniederlage gegen Frankreich (23:28) hatte Grimsson den Tag des Endspiels zuvor bereits kurzerhand zum Nationalfeiertag erklärt. Entsprechend voll ist es nun auf den Straßen Reykjaviks. Auf Gudmundssons Team wartet die Kür, sie fährt zurück ins Party-Zentrum.

Unter den 40.000 Jubelnden befinden sich auch Dagur Sigurdsson und Familie. Der ehemalige Nationalspieler will sich die Feierlichkeiten ebensowenig entgehen lassen wie die Sportler von Valur Reykjavík, dem größten Handball-Verein der Stadt, für den Sigurdsson damals als Geschäftsführer arbeitet. „Die Nationalmannschaft hatte in Peking Großartiges geleistet, das haben die Leute honoriert“, erinnert sich Sigurdsson, „es war vergleichbar mit der Stimmung in Deutschland, wenn die Fußballer im WM-Finale stehen“.

Dass die Isländer trotz geringer Einwohnerzahl ein Weltklasse-Team stellen können – diesen Nachweis hatten sie in den Jahren zuvor erbracht, weshalb sich die Fernsehanstalten des Landes bei Handball-Übertragungen stets auf Rekordquoten freuen durften. „Aber eine Medaille, die hat uns einfach gefehlt. Sie war die Krönung einer langen Entwicklung, für ein herausragendes Team“, sagt Sigurdsson. Gudmundsson spricht vom besten isländischen Handball-Team der Geschichte, große Sportler seien seine Spieler gewesen und „echte Typen“. Angeführt vom brillanten Olafur Stefansson, flankiert von Wurfmaschinen wie Alexander Petersson oder Kreisläufer-Bulldozern wie Sigfus Sigurdsson, dem damaligen Publikumsliebling beim SC Magdeburg. „Trotzdem hatten wir Probleme, ins Turnier zu finden", sagt Gudmundsson.

Härter als in der Vorrunde hätte es die Isländer auch kaum treffen können. In Gruppe B warteten Weltmeister Deutschland, die Dänen und Russen sowie Südkorea und Ägypten. „Eine Todesgruppe“, sagt Gudmundsson, „und genauso verrückt ist sie verlaufen.“ Nach Siegen über Russland und Deutschland lässt sein Team Punkte gegen Ägypten und Südkorea und rettet sich als Dritter ins Viertelfinale, in dem es Vizeweltmeister Polen schlägt. „Da haben wir gemerkt, dass wir eine realistische Medaillenchance haben", sagt Gudmundsson, „andererseits hatten wir zuvor nie ein Halbfinale bei einem großen Turnier gewonnen.“

Am 22. August 2008 tilgen die Isländer diese Statistik unter gütiger Mithilfe des Gegners. „Einige unserer Spieler haben im Kabinengang mitbekommen, dass sich die Spanier über uns als Gegner gefreut haben, leichte Aufgabe und so“, sagt Gudmundsson. Die Lästerei erweist sich als kontraproduktiv, die Isländer ziehen nach einem 36:30-Sieg ins Endspiel ein, in dem sie wiederum gegen Frankreich unterliegen. „Damals haben wir uns darüber geärgert, heute betrachte ich das wesentlich gelassener“, sagt Gudmundsson, „diese Medaille, diese Momente in Reykjavik – das kann uns keiner mehr nehmen.“

Die Frage nach dem Erfolgsrezept des isländischen Nationalsports, der seit jeher gut ausgebildete Spieler und Trainer in die großen Handball-Ligen der Welt entsendet, kann Gudmundsson unterdessen nicht auf den Punkt beantworten. „In erster Linie beschäftigen wir uns mit jungen Leuten und studieren akribisch das Spiel, um dann Schlussfolgerungen aus unseren Beobachtungen zu ziehen“, sagt er ganz akademisch. Jene Akribie auf dem taktischen Gebiet zeichnet auch Dagur Sigurdsson aus, der wie Gudmundsson längst zu den profiliertesten Bundesliga-Trainern gehört. Heute treffen die Coaches mit ihren Teams, den Füchsen Berlin und den Rhein–Neckar Löwen, im Spitzenspiel aufeinander (15 Uhr, Max-Schmeling-Halle, live bei Sport 1). Dann wird auch ein dritter Isländer ganz genau hinsehen: Alfred Gislason, der Trainer von Rekordmeister und Tabellenführer THW Kiel.

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