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Das Rennen seines Lebens. 1970 rast Rindt in Monaco von Platz sieben zum Sieg.

© dpa

Jochen Rindt: Ein Toter wird Weltmeister

Vor 40 Jahren verunglückte der charismatische Deutsch-Österreicher Jochen Rindt in Monza und wurde posthum zum Weltmeister erklärt. Bis heute ist der einzige Tote, der einen Formel-1-Titel gewann.

Von Christian Hönicke

Jochen Rindt wusste, worauf er sich einließ. „Bei Lotus kann ich entweder Weltmeister werden oder sterben“, sagte der Formel-1-Star. Es wurde beides wahr. Am 5. September 1970 verunglückte Jochen Rindt beim Training zum Großen Preis von Italien tödlich; kurz darauf wurde er posthum Weltmeister. Er ist bis heute der einzige Tote, der einen Formel-1-Titel gewann.

40 Jahre ist das jetzt her, doch immer wenn die Grand-Prix-Wagen wie an diesem Wochenende in Monza auf die Parabolica zurasen, dann denkt nicht nur Bernie Ecclestone an Jochen Rindt. Der heutige Formel-1-Boss gilt als knallharter Geschäftsmann, aber wenn man ihn auf seinen früheren Freund anspricht, wird seine Stimme sanft und sein Blick gläsern. „Jochen war ein unglaublich warmherziger Mensch“, sagt Ecclestone in „Jochen Rindts letzter Sommer“, einer von zwei Dokumentationen, die zum traurigen Jahrestag als Doppel-DVD erschienen (bei Arthaus Musik, 29,90 Euro).

Die Filme blicken zurück in eine Welt, die nichts zu tun hat mit der modernen Formel 1 der Playstation-Kids. Es ist eine Zeit, in der Rindt seine Freunde zum Reifenquietschen in der Wiener Innenstadt in den Wagen lädt – das ist den heutigen Piloten per Verhaltenskodex verboten. Es ist eine Zeit, in der Fahrer mit ölverschmiertem Gesicht und Kippe im Mundwinkel in der Boxengasse sitzen. Und auch eine Zeit, in der in den Streckenambulanzen vorsorglich ein Sarg bereitsteht. „Wir hatten immer ein schwarzes Kleid für die nächste Beerdigung dabei“, sagt Rindts Witwe Nina.

Rindt ist ein typischer und doch ungewöhnlicher Vertreter dieser Zeit. Am verwirrendsten ist die Nationalitätenfrage des furchtlosen Einzelgängers. Sein Vater stammt aus Mainz, wo er auch geboren wird, seine Mutter aus Österreich. Er wächst bei seinen Großeltern in Graz auf, nachdem die Eltern bei einem Bombenangriff sterben. Rindt hat die deutsche Staatsbürgerschaft, er selbst fühlt sich „als Europäer“, sein Dialekt und seine Formel-1-Lizenz weisen ihn aber als Österreicher aus.

In seiner Heimat tritt der charismatische Draufgänger einen Motorsportboom los, den er als intelligenter und harter Geschäftsmann („Ich fahre Rennen aus drei Gründen: als Hobby, als Sport und zum Geschäft.“) gleich ausnutzt. Er organisiert Rennwagenshows, bekommt eine eigene Fernsehsendung und initiiert den Bau des Österreichrings. Er freundet sich mit Ecclestone an, der ihn schließlich managt.

Doch auf der Strecke kommt er wegen eines nicht wettbewerbsfähigen Autos nicht voran. Als 1968 Jim Clark, der Held jener Ära, im Lotus verunglückt, gerät Rindt erstmals ins Grübeln: „Wenn nicht einmal Clark sicher ist, was ist dann erst mit uns?“ Clarks Tod bringt ihn aber noch in eine andere Zwickmühle: Ein Platz bei Lotus ist nun frei, Teamchef Colin Chapman fragt bei Rindt an. Der zögert lange, denn Chapman gilt als genialer Hasardeur, der bei seinen Experimenten über Leichen geht. „Vielleicht wäre es besser gewesen, für Brabham zu fahren“, sagt Ecclestone. „Aber wir wussten, dass Lotus schnell sein würde, und Jochen wollte Weltmeister werden.“

In seinem zweiten Lotus-Jahr ist Rindt auf dem besten Weg dahin. Als er aber bei seinem Sieg in Zandvoort seinen Freund Piers Courage verbrennen sieht, spricht er erstmals vom Rücktritt. Ecclestone rät ihm: „Wenn du aufhören willst, musst du es jetzt gleich tun.“ Rindt fährt weiter. „Ich glaube, er hat nie wirklich vorgehabt aufzuhören“, sagt Ecclestone heute.

Durch eine Serie von teils glücklichen Siegen hat Rindt vor dem Rennen in Italien einen großen Vorsprung in der WM. „Mein Glück in diesem Sommer fängt an, mich zu beunruhigen“, sagt der 28-Jährige. An einem Samstagnachmittag im Spätsommer von Monza ist es aufgebraucht. Eine Filmaufnahme zeigt den nervösen Blick seiner Frau, die beim Training von der Box aus jedem vorbeifahrenden Wagen hinterherblickt. Der Lotus mit der Nummer 2 ist nicht dabei. Rindt ist beim Anbremsen der Parabolica nach links in die Leitplanke geschossen und hat sich tödliche Brust- und Luftröhrenverletzungen zugezogen. Ecclestone steckt den blutverschmierten Helm seines Freundes in seine schwarze Ledertasche.

Die Unfallursache wird wie bei Clark nie restlos geklärt, vermutlich ist die rechte vordere Bremswelle gebrochen. Italienische Behörden ermitteln gegen Chapman, sprechen ihn aber frei. Rindt wird am 11. September 1970 in Graz beerdigt, auf dem Sarg liegt sein Lenkrad.

Kurz darauf kommen die Kollegen noch einmal zu seinen Ehren zusammen. Der Ferrari-Pilot Jackie Ickx hätte ihn noch abfangen können, verpasst aber den Titel wegen eines technischen Defekts und wirkt danach sogar erleichtert: „Es war das Schönste, dass der Titel an Jochen gegangen ist.“ Die Trophäe nimmt Rindts Witwe Nina für ihn entgegen.

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