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Ein Bild der Vergangenheit? Die Ultra-Bewegung steht am Scheideweg.

© picture alliance / Digitalfoto M

Kleingarten in der Kurve: Denken oder Prügeln? Deutsche Ultraszene am Scheideweg

Durch die Fankrawalle der letzten Zeit sind die Ultras in Verruf gekommen. Nun beschäftigt sich das Buch "Ultras im Abseits?" mit einer umstrittenen Fanszene und ihrer Zukunft. Ein Auszug aus einem Essay.

Es wird derzeit viel gemauschelt, getuschelt und geraunt in der deutschen Ultraszene. Die Blicke im Block sind misstrauischer geworden, die Abgrenzungsrituale ausgeklügelter, die Codes geheimnisvoller, die Jünger jünger. Noch vor nicht allzu langer Zeit brachte die Szene frischen Wind in die Kurven. Sollte es doch noch einmal so etwas geben wie eine Renaissance der kritischen Fanszene aus den 1990ern?

Es gibt Themen, in denen die Szene langen Atem bewiesen hat. „Pro 15:30“ (heute „Pro Fans“) hat mit seinem damaligen Kernanliegen nachhaltig das Bewusstsein der Fußballfreunde geprägt. Auch „Pyrotechnik legalisieren“ hat höchst professionell gearbeitet. Beides sind hervorragende Beispiele dafür, mit welcher Stringenz die heutige Fangeneration ihre Anliegen nach vorne bringen kann; die heute 40- bis 50-Jährigen haben damals noch oft aus Spaß an der Freude diskutiert. Und irgendwann konstatiert, dass sie nichts erreicht haben.

Und dennoch: Es bleibt der Verdacht, dass die Ultra-Bewegung in vielerlei Hinsicht letztlich nur ein Kind ihrer Zeit ist, in der einige mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit Fananliegen vertreten. Und die Masse die Szenespielchen spielt.

Die Formalia jedenfalls stimmen in der Ultra-Szene. Der Capo erfüllt satzungskonform seine Capo-Pflichten, der Szene-Neuling trägt die Bierflaschen fort, die die Altvorderen ausgetrunken haben. In Studentenverbindungen und bei den Gebirgsjägern gelten die gleichen Gesetze. Wer vier grüne Schals erbeutet hat, zählt bei den Gelben mehr als der, der es bei dreien belassen hat. Also wird fleißig gesammelt.

Man kann sich stundenlang über die Gepflogenheiten der Sesame-Streetgangs amüsieren. Es ändert nichts an dem beklagenswerten Umstand, dass Dinge, die ernst gemeint sind, irgendwann auch ernst werden. Nicht nur für den Normalo-Fan, der ein blaues Auge mehr und einen Schal weniger hat. Heute wirkt die Ultraszene mancherorten dogmatischer als der Vatikan. Was nichts anderes bedeutet, als dass ihr das gleiche Schicksal wie dem Heiligen Stuhl drohen könnte. Massiver Mitgliederschwund und die intellektuelle Vergreisung.

Die Alternativen liegen allerdings auf der Hand. Es kommt darauf an, ob sich die Sub-Szene als Teil der gesamten Fanstruktur der Kurve begreift. Gerne auch als radikalerer, unerbittlicherer Teil. Aber eben als Teil eines größeren Ganzen. Das wäre ihr zu wünschen.

Wahrscheinlicher scheint derzeit, dass sich die Szene weiter radikalisiert. Das wäre allein deshalb bedauerlich, weil Ultra dann tatsächlich so autistisch würde, wie seine Gegner es schon lange sehen.

Es wird spannend sein zu beobachten, in welche Richtung die Reise der Ultras geht. Klar ist nur eines: Die Fronten verlaufen zwischen denen, die für Nachdenklichkeit werben, und denen, die sich von den echten Hooligans nur noch in einem Punkt unterscheiden: Die Hools in den 1980ern und 1990ern haben sich geprügelt, wenn sie das wollten. Die heutigen „Hooltras“ scheinen jedoch in ihrem tiefsten Inneren heilfroh zu sein, dass so oft die Polizei zwischen den Fronten steht, wenn zwei verfeindete Ultragruppen sich wie eine Horde Pavianmännchen in Pose werfen.

Da klaut man lieber einem 12-Jährigen den Fanschal und demoliert einem braven Supermarktkassierer den Kleinwagen, weil der sich erdreistet, für einen anderen Verein zu sein.

Einzelfälle? Gewiss. Aber es sind Einzelfälle, die sich in den vergangenen Jahren so gehäuft haben, dass der Beobachter nicht mehr sicher sein kann, welcher der beiden Pole die Oberhand behalten wird. Der, der Rebellentum inhaltlich definiert. Oder der, der maximale mediale Aufregung für einen Beweis der eigenen Widerspenstigkeit hält.

Ultras sind jung, aber nicht dumm

Aber geschenkt: Ultras sind meist noch sehr jung. Dumm sind sie allerdings nicht. Schon gar nicht in ihrer Kommerzkritik. Denn natürlich wissen auch Ultras, dass Sponsorengelder fließen müssen, um einen Bundesligaetat aufrechtzuerhalten. Die Nürnberger Ultras führen deshalb gerade eine Umfrage durch. Durch das Zwischenergebnis fühlen sie sich bestätigt. 88 Prozent der Teilnehmer würden 1,50 Euro pro Spiel zusätzlich bezahlen, wenn sie dafür in ein Stadion mit einem traditionellen Namen kommen. Ansonsten gilt das Ceterum Censeo der Szene: Lieber als aufrechter Klub in der Zweiten Liga spielen denn als durchkommerzialisiertes Konstrukt in der ersten. Man identifiziert sich schließlich mit dem Verein, nicht mit dem Tabellenplatz der jeweils aktuellen Mannschaft.

Nach jedem Spiel posten Ultras Hunderte Fotos von ihren Choreografien, sie bewerten den „Support“ der Gastmannschaft und ihre eigene Gesangsleistung. Ultras sind Teil der Generation Internet. Sie stellen alles online, was von ihren Heldentaten kündigt. Ultras sind enorm selbstverliebt. Zu ihrer Entschuldigung kann man nur anführen, dass das in der großen Blase namens Bundesliga so gut wie alle sind: Spieler. Funktionäre. Und nicht zuletzt Journalisten.

Der „Support“, angeblich ja die selbstlose Unterstützung der eigenen Mannschaft, ist längst auch zum Wettbewerb zwischen den Ultra-Szenen einzelner Klubs geworden. Er wird mit allem ausgetragen, was spektakulär aussieht. Rauch und grell leuchtende Bengalos sehen verrucht aus, genau wie die schwarz gekleideten jungen Männer selbst.

Deren Werte fasst ein Vertreter der Szene auf einem von einer bundesweiten Ultrainitiative veranstalteten Fankongress mit drei kraftvollen Worten zusammen: „Freiheit, Unabhängigkeit, Autonomie.“ Dabei ist die Szene bei aller Freiheits-Rhetorik reglementierter als jeder Kaninchenzüchterverein.

Insofern hat auch der Korpsgeist der Szene etwas Urdeutsches: „Wenn Polizei und Ultras aufeinandertreffen“, hat der Fanbeauftragte der DFL, Thomas Schneider, erkannt, „stehen sich zwei weiße, von Deutschen dominierte Männerbünde gegenüber. Da geht es um Treue, Ehre und Territorien.“

Klar ist: Wenn Rettung naht, dann muss sie aus der Szene selbst kommen. Dass es die Ultras gibt, ist richtig, schön und wahr. Es stimmt schließlich tatsächlich, dass sie ein Stachel im Fleisch des Fußball-Establishments sind. Nur, dass man das lieber feststellen würde, wenn die Ultras nicht so versessen darauf wären, sich als Che Guevaras von Paderborn zu stilisieren, bis sie auch in ihren hellsten Momenten nicht mehr merken, wie kleingartentauglich sie geworden sind.

Fanfreundliche Anstoßzeiten, bezahlbare Tickets, keine Abschaffung der Stehplätze – all das sind Forderungen, die die Ultras am entschiedensten artikulieren, die aber von fast allen Stadiongängern geteilt werden. Und solange das so ist, wird jeder Versuch von Verbänden und Polizeigewerkschaften zum Scheitern verurteilt sein, die Ultras gegen die vermeintlich „echten“, also weniger sperrigen Fans auszuspielen. Vorausgesetzt, die Ultras sehen alle anderen Fußballfans in der Kurve nicht genau so, wie sie auch von den Fußballmächten gesehen werden: als unkritische konsumierende Masse.

Bleibt zu hoffen, dass diese Sichtweise nicht einmal als entscheidende Überdosis Arroganz auf einem Grabstein mit der Aufschrift „Ultra“ stehen wird. Eines ist sicher: Bei der Beerdigung werden ein paar unangenehme Gestalten mit verdächtig guter Laune auftauchen. Noch wäre genug Zeit, sich ihnen lebend zuzuwenden. Weder die Fifa noch Anheuser-Busch wohnen in der Sesamstraße.

Dieser Vorabdruck ist eine gekürzte Version des Beitrages „Occopy Sesame Street“ aus dem Buch „Ultras im Abseits? Porträt einer verwegenen Fankultur“, Verlag: Die Werkstatt, erhältlich ab 30. April, 14,90 Euro.

Christoph Ruf

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