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Wer spielt schlauer? Mensch und Maschine im Duell bei der Hannover Messe.

© dpa

Klugheit im Sport: "Meine mentale Stärke kommt von meiner Intelligenz"

Wie viel hilft ein kluger Kopf im Sport? Ein Gespräch mit der ehemaligen Tischtennis-Nationalspielerin Meng Xiang-Grüß, die in Astrophysik Karriere macht.

Frau Xiang-Grüß, Sie machen gerade in der Astrophysik Karriere und haben in Cambridge am Institut von Isaac Newton und Stephen Hawking geforscht. Hat Ihnen Ihre Intelligenz eigentlich auch beim Tischtennis geholfen?

Ich denke, dass ich meine mentale Stärke vor allem meiner Intelligenz zu verdanken habe. In manchen Situationen habe ich vielleicht etwas gedacht, an das meine Gegnerin nicht gedacht hat und zum Beispiel einen speziellen Aufschlag gespielt, der für sie völlig unerwartet kam.

Also Selbstsicherheit im Spiel durch Intelligenz?

Ja. Und meine Gegnerinnen waren vielleicht nicht nur durch meine Spielstärke eingeschüchtert, sondern auch weil ich nicht die Dümmste war. Manche haben sich jedenfalls gewundert, wenn ich bei Turnieren in den Pausen meine Astronomiebücher gelesen habe.

Wie kann man Intelligenz in Spielintelligenz umsetzen?

Man muss versuchen, vom ersten Ballwechsel an zu analysieren und Rückschlüsse zu ziehen, welche Taktiken von Vorteil sind. Es geht insgesamt um die Beherrschung der eigenen Schläge und die Beobachtung des Gegners und seiner Spielweise. Ich glaube aber, dass andere noch viel klüger gespielt haben als ich.

Warum?

Ich bin Theoretikerin, ich kann alles sehr gut, bei dem ich nur meinen Kopf benutze. Computerprobleme, Netzwerk, Softwaresachen, das geht alles. Wenn der Kopf beim Tischtennis etwas möchte, reicht das noch nicht. Der Körper muss es umsetzen. Ich glaube, dass das bei mir nicht so gut gekoppelt war.

Kam es vor, dass Sie beim Tischtennis zu viel nachgedacht haben?

Ich wurde von den Trainern leider zu wenig gefördert, intelligenter zu spielen. Wir wurden in einer Satzpause nie gefragt, was wir besser oder anders machen würden. Anstatt mir einfach zu sagen, was ich im nächsten Satz anders machen soll, hätten sie mit mir langfristig mehr über die Spiele diskutieren sollen, gerade auch nach den Turnieren. Ich habe also insgesamt beim Tischtennis eher zu wenig nachgedacht. Und wenn ich an eine andere Taktik gedacht hatte, habe ich sie doch nie wirklich angewendet, sondern meistens nur die vorgeschlagene Taktik vom Trainer.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ja, das hat mich die Bronzemedaille bei meiner letzten Jugend-Europameisterschaft gekostet. Im Viertelfinale habe ich gegen Andrea Bakula gespielt. Vom Niveau her waren wir ähnlich. Sie ist Linkshänderin. Der Bundestrainer hat mir gesagt, ich soll ihr deshalb immer in die Rückhand spielen. „In die Rückhand spielen“ war damals sowieso eine Art Standardtaktik, wenn man nichts Besseres wusste. Das habe ich im Prinzip zwei, drei Sätze so gemacht und dann knapp verloren. Im Nachhinein kam mir, dass ich ihr öfter in die Vorhand hätte spielen müssen. Denn sie hatte sich drauf eingestellt und die Rückhand umlaufen. Da habe ich einfach nur dumm gespielt und auf den Trainer gehört. Die Grundtaktik war halt falsch.

Meng Xiang-Grüß arbeitet gerade an ihrer Habilitation an der Universität Bonn.
Meng Xiang-Grüß arbeitet gerade an ihrer Habilitation an der Universität Bonn.

© privat

Inzwischen trainieren Sie selbst Nachwuchs, unter anderem Ihre eigenen Kinder. Was machen Sie anders?

Ich lasse sie viel erzählen, damit sie sich daran gewöhnen, selbständig zu denken und auch ohne Trainertipps gut zu spielen. Ein Schwerpunkt bei meiner Trainertätigkeit ist die mentale Erziehung. Man kann meiner Meinung nach nur Spielintelligenz entfalten, wenn man sich im Griff hat. Insgesamt hat es ohnehin eine Wandlung gegeben. Bei den Trainerseminaren des WTTV ging es immer wieder darum, dass wir den Spielern nicht sagen, was sie tun sollen, sondern sich selbst zu überlegen, welche Taktiken clever wären.

Sie sind früher auch von Ihrem Vater trainiert worden. Finden Sie sich jetzt in seiner Rolle wieder?

Ich arbeite eigentlich anders als mein Vater. Ich übe zum Beispiel sehr wenig Druck aus. In anderen Bereichen bin ich aber wie er. Bei der Technik merke ich, dass ich sehr auf die Details achte. Da werde ich auch ungeduldig, wenn es nicht einwandfrei ist. Weil ich denke, dass man mit der richtigen Technik schneller besser wird. Aber mir ist sehr wichtig, dass die Kinder genug Eigenmotivation bringen. Sie sollen Tischtennis nicht für etwas halten, was sie machen müssen.

Haben Sie sich auch deshalb Tischtennis gespielt, weil es den Kopf mehr fordert als sagen wir Laufen oder Radfahren?

Das hat Tischtennis für mich interessanter gemacht als andere Sportarten. Es ist deutlich komplexer und anspruchsvoller, denn die Spinvariationen, diese kleinsten Unterschiede, machen beim Tischtennis extrem viel aus.

Warum spielen Sie jetzt gar nicht mehr?

Durch die vielen beruflichen Umzüge musste ich immer wieder einen neuen Verein finden. In Bonn habe ich mich bei einem Verein in der Oberliga angemeldet, um überhaupt noch ein bisschen zu spielen. Das war für mich keine große Herausforderung. Durch die Familie habe ich am Wochenende einfach nicht so viel Zeit, um den halben oder ganzen Tag weg zu sein. Dafür bin ich jetzt viel mit den Kindern unterwegs – und doch wieder in der Halle.

"Ich bin mir sicher, dass es Außerirdische gibt"

Vermissen Sie es, nicht mehr selbst zu spielen?

Eigentlich nicht. Meine Tochter hat mich das auch schon gefragt. Sie ist ziemlich ehrgeizig und motiviert und versteht es nicht, dass ich nicht von mir aus wieder Zweite Liga spielen möchte. Das  könnte ich mit Training sicher schaffen. Aber ich bin jetzt 35, meine Prioritäten sind andere: meine berufliche Karriere und meine drei Kinder.

Gab es ein Punkt, an dem Sie sich entscheiden mussten: Tischtenniskarriere ja oder nein?

Ja, als ich vom Jugendbereich in den Damenbereich gewechselt bin. Das war die Zeit, in der ich in die Oberstufe ging. Da ging es drum: Entweder zu versuchen, in die Nationalmannschaft zu kommen. Oder sich auf Schule und Uni konzentrieren. Aber ich bin da vielleicht eine Ausnahme. Ich wusste schon immer, dass ich Astrophysikerin werden wollte.

Seit wann wussten Sie das?

Seitdem ich denken kann. Ich bin mit acht Jahren mit meinen Eltern von China nach Deutschland gekommen. Sterne, Galaxien, das hat mich immer fasziniert und neugierig gemacht. Ich habe viel in Astronomiebüchern gelesen, hatte aber immer mehr Fragen. Ich habe meinem Vater schon ganz früh erzählt: Ich möchte später etwas mit Sternen machen. Mein Vater hat gesagt: Wart‘ mal ab, Kinder haben Träume. Aber meine Leidenschaft ist immer noch da. Viele in der Astrophysik denken ähnlich wie ich und wollten schon als Kind Astrophysikerin werden.

So wie andere Meeresbiologin oder Feuerwehrmann.

Ja, genauso findet man auch in der Astrophysik Leute, die diese Leidenschaft mitbringen, diese Träume, Begeisterung für Science-Fiction-Filme.

Gibt es Filme, die Sie besonders fasziniert haben?

Uns Physiker interessiert, dass dort Dinge gezeigt werden, die erst später erfunden werden. Wenn man sich alte Filme anschaut, sieht man zum Beispiel Touchscreens oder Handys. So ist das auch mit den heutigen Filmen. Viele denken, das ist schwachsinnig, das wird man nie erfinden können. Aber irgendwann passiert es vielleicht doch. Und es ist die Phantasie, die so toll ist. Richtig fasziniert hat mich Inception. Den habe ich glaube ich zwei- oder dreimal gesehen. Es ist keine Astrophysik, aber Science-Fiction mit vielen Ideen.

Wenn Sie unbegrenzt Mitarbeiter und Budget hätten, was würden Sie erfinden?

Eine spannende Frage ist, ob es intelligente außerirdische Lebewesen gibt und wenn ja, wie man es schafft, sie zu besuchen. Eine Erfindung schlechthin wäre daher, einen Körper von A nach B nennen wir es zu beamen oder sonstwie zu transportieren. Ohne dass dabei große Zeitverluste entstehen. In den Filmen gibt es dazu verschiedene Vorstellungen mit Wurmlöchern oder Lichtgeschwindigkeit. 

Was denken Sie über außerirdisches Leben?

Ich bin mir sicher, dass es Außerirdische gibt. Die Tatsache, dass es auf der Erde Leben gibt, ist ja der Beweis, dass so etwas im Universum möglich ist. Wenn so etwas einmal passieren kann, kann es auch zweimal passieren oder dreimal.

Wo begegnen sich Sport und Wissenschaft in Ihrem Leben?

In der Forschung kam es noch nicht vor, dass ich an Tischtennis gedacht habe. Aber seitdem ich Physikerin bin, habe ich viele Ideen. Ich habe für einen Referenten des WTTV berechnet, ob sich das Risiko lohnt, parallel zu spielen. Dafür habe ich ein Programm geschrieben und alles mal durchgerechnet.

Was denn alles?

Den gesamten Parameterraum. Alle physikalischen Kräfte, Geschwindigkeit, Luftwiderstand, Flugkurven, Ballrotation, Reaktionszeiten des Gegners. Der Referent, Karsten Kretzer, ein B-Lizenztrainer aus Oberdrees, sagte mir, es habe noch nie jemand so genau aufgeschrieben. Aber gut, genau zu sein, ist eine Eigenschaft von Physikern.

Und was war das Ergebnis?

Parallel zu spielen lohnt sich.

Erklären Sie mal.

Einerseits ist die Technik beim Parallelspielen nicht so sicher und durch den kürzeren Weg besteht eine höhere Gefahr, ins Netz zu spielen, weil die Flugkurve noch nicht die entsprechende Höhe erreicht hat. Andererseits hat der Gegner durch den kürzeren Weg weniger Zeit zu reagieren. Nach meinen Berechnungen ist das entscheidend und wiegt die Nachteile mehr als auf. Parallel zu spielen ist also gefährlich für den Gegner. Es gibt noch andere Dinge, die sehr interessant sind.

Zum Beispiel?

Die biomechanische Bewegung. Solche Sachen wie Kräfteübertragung. Da könnte ich mit meinem Mann zusammenarbeiten, er ist Arzt ist und hat sich schon immer für Sportmedizin interessiert.

"Ich habe den perfekten Wissenschaftler kennengelernt"

Cambridge ist die Kathedrale der Wissenschaft. Mit welchen Gefühlen sind Sie damals dort hingekommen?

Ich hatte noch nie so viel Ehrfurcht und Vorfreude gleichzeitig. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die drei Jahre dort waren die besten meines Lebens.

Woran lag das?

John Papaloizou, der Professor, mit dem ich die Projekte durchgeführt habe, ist der perfekte Wissenschaftler. Einerseits ist er auf unserem Gebiet der beste, er wird von uns auch der Papst genannt. Andererseits ist er menschlich sehr hilfsbereit und gutherzig. Er war immer bereit, sich selbst zu korrigieren. Wenn ich mit meinem Professor mein Forschungsergebnisse diskutiert habe, kam es vor, dass wir Stunden in seinem Büro gesessen haben und er erstmal alles durchrechnete. In Deutschland erlebe ich die Wissenschaft leider etwas anders.

Wie denn?

Es gibt nicht so viele Professoren, die wirklich von sich aus auch mal einen Fehler zugeben. Viele Professoren liegen im Streit und bekämpfen sich gegenseitig. In Cambridge habe ich dagegen einige Wissenschaftler kennen gelernt, die einfach nur großartig waren, anders kann man sie nicht nennen. Ich habe in Cambridge viel Energie gewonnen für die Jahre, die danach in Deutschland gekommen sind und die noch kommen.

Erfüllt Sie das mit Wehmut, nicht mehr dort zu sein, wo es am besten ist?

Ich denke gerne zurück. England haben wir aus persönlichen Gründen verlassen. Wir haben damals gesagt: Entweder wir bleiben für immer dort, oder wir gehen zurück nach Deutschland, weil unsere Familien da sind, also unsere Eltern. Inzwischen habe ich zu Cambridge eine andere Einstellung.

Welche?

Nicht Wehmut, weil es so ein Institut hier nicht gibt. Ich bin dafür bereit, in Deutschland mittel- bis langfristig etwas aufzubauen, was ein bisschen der Atmosphäre in Cambridge ähnelt. Noch bin ich zwar eine unbekannte, junge Wissenschaftlerin, aber ich habe sehr konkrete Vorstellungen, wie ich meine Arbeit gestalten und was ich auch den Studenten weitergeben möchte.

Was sind dabei Ihre nächsten Schritte?

Ich bin jetzt dabei, mich zu habilitieren. Das könnte nächstes bis übernächstes Jahr so weit sein. Forschungsergebnisse habe ich dafür genug. Dann bin ich Privatdozentin und es geht darum, auf eine Professur zu warten. In der Astrophysik werden die nächsten Stellen so in zirka sieben, acht Jahren frei. Und bis dahin werde ich weiter forschen. Zum Glück bin ich in der Forschung ehr flexibel. Es gibt die beobachtenden Astrophysiker, die zum Beispiel auch nachts Beobachtungszeiten haben. Aber ich bin theoretische Physikerin, ich kann an jedem Rechner. 

Kommen für einen Lehrstuhl viele Unis in Frage?

Man kann auch nicht wirklich damit planen, eine Professur zu bekommen, man kann nur darauf hoffen. Wenn ich einen Ruf bekomme, werde ich ihn auch annehmen, dazu gibt es einfach zu wenige Lehrstühle für Astrohphysik in Deutschland, in Heidelberg, in München, in Bonn, in Köln, Hamburg und Kiel. Mein Gebiet ist hier sehr wenig vertreten, was für mich eine Chance ist, wenn ich mich richtig engagiere. Aber ich fühle mich auch verpflichtet, mich um meine Kinder zu kümmern, und sie auch im Tischtennis weiterzubringen. Derzeit forsche ich daher nur Teilzeit.

Wie würden Sie in einfachen Worten erklären, woran Sie forschen?

Um einen Stern herum gibt es eine rotierende Gasscheibe, in der der Planet entstanden ist. Ich untersuche diese Gasscheiben und der Planetenbahnen wenn zum Beispiel von außen Störungen kommen, ein anderer Stern vorbeifliegt oder eine andere Gasscheibe. Es geht also um die dreidimensionale Entwicklung von Planeten.

Meng Xiang-Grüß wurde 1981 in Shandong an der chinesischen Ostküste geboren und kam im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie Deutschland. Sie wurde Deutsche Schülermeisterin im Einzel und gewann bei den Jugend-Europameisterschaften unter anderem die Silbermedaille im Mädchen-Doppel (mit Alexandra Scheld). Für Hassia Bingen spielte sie mehrere Jahre in der Zweiten Bundesliga. Sie studierte in Heidelberg, promovierte in Kiel und forschte anschließend am Institut für angewandte Mathematik in Cambridge. Derzeit arbeitet sie an der Universität Bonn an ihrer Habilitation. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Bonn und engagiert sich in ihrem Verein ESV Bonn als Jugendtrainerin.

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