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Sport: Kniefall einer Legende

Es ist das altbekannte Versteckspiel. Immer wenn es Geheimnisse um seine Zukunft gibt, hält sich Michael Jordan zurück.

Es ist das altbekannte Versteckspiel. Immer wenn es Geheimnisse um seine Zukunft gibt, hält sich Michael Jordan zurück. Jetzt fragt sich eine besorgte Nation: Kehrt der beste Basketballer aller Zeiten auf den Court zurück? Doch Jordan schweigt. Am Dienstag beim 115:90-Erfolg seiner Washington Wizards über die Chicago Bulls war Jordan im heimischen MCI Center gewesen. Allerdings saß er nicht auf der Spielerbank, sondern verfolgte die Begegnung in den Katakomben der Arena. Auf einem Fernsehschirm in der Umkleidekabine der Wizards. Als sich nach dem Spiel die Tür für die Medienvertreter öffnete, fehlte der Superstar. Sein langer Schatten war indes unübersehbar.

Jordan liebt derartige Inszenierungen. Er ist der Herr im Haus, selbst wenn er das Treiben genüßlich von einem Nebenzimmer aus verfolgt. Als Sprachrohr fungiert Doug Collins, der Trainer der Wizards. Wie geht es Jordan? "Michael geht nicht mehr auf Krücken", verrät Collins. Wann und ob der Oldie überhaupt zurückkehrt, wollen die Reporter wissen. "Es gibt keinen genauen Zeitplan", sagt Collins. "Aber ich denke nicht, dass er beim Westküsten-Trip auflaufen wird." Mitte März treten die Wizards in einer wichtigen Auswärtsspiel-Serie an. Sechs Duelle in acht Tagen. Im Rennen um einen Play-off-Platz fällt dann eine Vorentscheidung. Jordan macht die Reise mit. Therapie auf Rädern. "Er kann sein Aufbautraining auch unterwegs machen", sagt Collins. "Und es ist wichtig, dass er dabei ist. Allein durch seine Anwesenheit gibt er unseren Spielern Selbstvertrauen."

Doch ob das allein für das kleine Basketball-Wunder reicht? Der Kniefall des Michael Jordan kann das Ende der Play-off-Träume und einer magischen Karriere bedeuten. Sechs Titel mit den Chicago Bulls, fünfmal wichtigster Spieler der NBA, zehnmal bester Werfer sowie zwölfmal im All-Star-Team. Zuletzt im Februar in Philadelphia, als die nachfolgende Superstar-Garde um Allen Iverson und Tracy McGrady den Oldie mit Lobgesängen feierte. Dabei spielte Jordan beim Treffen der Klassenbesten kaum und blamierte sich auch noch mit einem verunglückten Breakaway-Dunk. Dunkle Vorzeichen traumatischer Wochen. Nach dem All-Star-Wochenende gelang den Wizards nur ein Sieg in acht Spielen, und nach einer Niederlage in Miami stellte sich ein humpelnder Superstar selbst in Frage. "Ich werde alt", klagte Jordan, "mein Körper sendet mir Signale, in welche Richtung sich meine Karriere bewegt."

Und zwar in Richtung endgültiger Ruhestand. Auch wenn mit einer Arthroskopie der Meniskusschaden im rechten Knie behoben wurde. Vier bis sechs Wochen Pause sind nach einem derartigen Eingriff die Regel. Doch dann dürften die Play-offs für die Wizards kaum noch zu schaffen sein. Warum sollte Jordan da noch wiederkommen? "Bereits vor der Knieoperation wussten wir, dass seine Saison früh beendet sein würde", schrieb die "Los Angeles Times". Die süffisante Rechnung: entweder Mitte April (wenn die Wizards die Play-offs nicht erreichen) oder Anfang Mai (wenn die Wizards in der ersten Play-off-Runde ausscheiden).

Sicherlich fehlte der 39-jährigen Michael-Jordan-Version der Auftrieb früherer Tage. Doch das Genie, einst mit dem Künstlernamen "Air" versehen, brillierte auch ohne Lufthoheit. Mit einem Durchschnitt von 24,3 Punkten, 6,0 Rebounds und 5,3 Assists etablierte sich Jordan in der Spitzengruppe der Liga. Zudem impfte der Ehrgeizige dem einstigen Loser-Ensemble die Siegermentalität ein. Die Wizards kletterten nach einem Fehlstart zur großen Überraschung auf Rang vier der Eastern Conference und waren drauf und dran, eine nicht für möglich gehaltene Erfolgsstory zu schreiben. Dank Michael Jordan.

Mit 29 Siegen und 30 Niederlagen liegen die Wizards in der Eastern Conference mit Charlotte auf Platz acht, der zur Teilnahme an den Play-offs berechtigt. Weitaus spannender ist die nächste Entscheidung der Legende. Sie ist und bleibt bis zur offiziellen Pressekonferenz sein großes Geheimnis. Das war bei Jordan schon immer so.

Stefan Liwocha

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