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Diese Hose soll es sein. Aber leider gibt es ein Problem.

© Arne Bensiek

Kolumne: Ich – Ironman (7): Die verbotene Hose

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Beim Besuch im Triathlonladen merkt er, dass dafür auch sein Geldbeutel viel Ausdauer benötigt. Versehentlich schlüpft er in ein unverkäufliches Textil.

Der Motivationstropf des Triathleten ist das Material. Pedantisch organisiert, zuweilen gewissenhaft bis in den Grenzbereich sind ihm Kompromisse bei der Ausrüstung ein Graus. Wer schon jedes quer zur Schwimmrichtung wachsende Körperhaar abrasiert, der will natürlich keine zu schwere Schraube an seinem Rad verbaut wissen. Der Triathlet ächtet das zweitbeste Produkt und jedes vermeidbare Gramm und achtet dabei nicht auf den Euro. Ich habe keine Ahnung, wovon ich schreibe. Ich habe es mir bei einem Besuch im Triathlonladen sagen lassen.

Und ich glaube jedes einzelne Wort, seitdem ich dem Fahrradsattel für 180 Euro noch im Eingangsbereich begegnet bin. Allein der Anblick stimuliert mein Schmerzgedächtnis und weckt ein Stechen in der Gesäßregion. Mein Hinterteil hat immer schon nach einer langen Radeinheit ein paar Tage Urlaub gefordert. Bisher dachte ich, das gehöre zu den unvermeidlichen Nebenwirkungen der Rennradlerei. Der lederne High-End-Thron, vor dem ich preisschockgefrostet stehe, wirbt damit, nicht auf die Nervenkanäle im Dammbereich zu drücken. Vom hinteren Sattelbereich, wo die Sitzbeinhöcker bei der Fahrt aufliegen, fällt er dafür zur Spitze hin leicht ab. Angewandte Forschung, bestimmt ein tolles Ding, denke ich. Aber 180 Euro für den Arsch?

Ich suche weiter. Um die Ecke wartet ein kleiner Fuhrpark mit Zeitfahrrädern, vollendet in ihrer Aerodynamik, veredelt aus Carbon, Mitnahmepreis bis zu 6600 Euro. Ich habe mal von einer Facebook-Gruppe namens „Mein Fahrrad ist teurer als dein Auto“ gehört. Jetzt weiß ich, womit diese Freunde morgens ihre Brötchen holen fahren. Oder sind das womöglich alles Triathleten? Meine Konkurrenten? Naiv versuche ich, Verwandtschaftsmerkmale zu meinem Zweirad auszumachen. Vergeblich.

90 Prozent der Athleten bei einem Ironman gingen mit solch einem Zeitfahrrad an den Start, beteuert der Anlageberater der Radabteilung. Bei 180 Kilometern mache das 30 bis 40 Minuten Unterschied aus, erklärt er und zeigt dann auf ein Zeitfahrrad, das hinter dem Verkaufstresen steht. „Das ist auf Kundenwunsch eine Sonderanfertigung mit weniger als sieben Kilogramm Gewicht.“ Weniger gehe nicht. Ein höherer Preis allerdings wohl auch nicht: 12000 Euro. Triathleten sind Charaktere, fasst der Verkäufer es gutmütig zusammen. Wahnsinnige wäre eine alternative Antwortmöglichkeit.

Mich treibt die Exotik meiner Artgenossen in die Ecke, in der der Kaufimpuls stärker ausgeprägt ist: zu Kleidung und Schuhen. Dort herrscht großer Farbalarm. „Wann hört dieses quietschig Bunte wieder auf?“, frage ich. Dann könnte ich mir nämlich endlich wieder neue Laufschuhe kaufen. Der Verkäufer schaut verdutzt. Von übergewichtiger Laufkundschaft sei er das Flehen nach weniger auffälligen Modellen ja gewohnt, aber den Triathleten könne es seiner Erfahrung nach nie bunt genug sein. „Das sind doch Pfauen, die im Wettkampf von ihrer Familie möglichst gut gesehen werden wollen.“

Ich grabe mich durch die Ständer mit potenzieller Wettkampfkleidung und ziehe willkürlich einen babyblauen Einteiler heraus. Die Ränder haben keine Nähte, sie sind laserverschweißt, der Stoff verfügt auch über besondere Gleiteigenschaften im Wasser – für den Fall, dass im Wettkampf keine Neoprenanzüge zugelassen sind. Soweit verständlich. Aber der Einteiler und ich, wir werden auch auf den vierten Blick nicht warm miteinander. Schon bei der gedanklichen Anprobe fühle ich mich wie ein Riesenbaby. Ich bevorzuge die Kombination Oberteil und Hose – und werde beim Beinkleid tatsächlich fündig. Die Hose ist unaufdringlich weiß und kostet überraschend schlanke 80 Euro. Ab in die Umkleide.

Das Modell in Größe M und ich haben schon vor dem Spiegel Freundschaft geschlossen, da schreitet der Fachverkäufer ein. „Das ist eine Sonderedition für herausragende Triathleten“, entschuldigt er. Die dürfe er laut Vorgabe des österreichischen Herstellers nur an Kunden verkaufen, die nachweisen, dass sie eine Mitteldistanz (1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Rad, 21 Kilometer Laufen) in weniger als vier Stunden bewältigt haben. Jetzt weiß ich, dass ich offenbar nicht danach aussehe. Schon welkt es, das aufgeblühte Pflänzchen der Motivation. Der mitleidige Blick des Verkäufers sagt: Ich habe heute leider keine Hose für Dich.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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