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Irgendwas ist anders. Nach den jüngsten Verbrechen läuft es sich für viele Frauen in Berlin nicht mehr so unbeschwert.

© Foto: Kay Nietfeld/dpa

Kolumne „Losgelaufen“: Die Angst vor Vergewaltigung läuft mit

Die Laufstrecke unserer Kolumnistin liegt in der Nähe der Gebiete, in denen die Vergewaltigungen von Joggerinnen passiert sind. Das behagt ihr nicht.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Meine Laufstrecke liegt in der Nähe der Gebiete in Berlin und in Kleinmachnow, in denen die Vergewaltigungen von Joggerinnen in den letzten Wochen passiert sind. Ich bin gerade im Urlaub, wäre ich es nicht, hätte ich meine Laufrunde definitiv sofort auf die Straße verlegt. Wenn es bis zu meiner Rückkehr keine Verhaftungen gibt, werde ich das auch tun, denn die Vorstellung, mit Angst laufen zu müssen, behagt mir nicht.

Ich möchte mich nicht alle paar Meter umdrehen müssen, nicht jedem Mann, der mir entgegenkommt, mit Misstrauen begegnen. Und ich möchte mich nicht dem Risiko aussetzen, in ein Gebüsch gezerrt und missbraucht zu werden. Allein, dass ich mir darüber Gedanken machen muss, ist schon absurd.

Irgendetwas hat sich verändert - die Fälle traten zu gehäuft auf

Eigentlich bin ich ein Mensch, der grundsätzlich vertraut. Als Mike Kleiß, der hier lange die Kolumne geschrieben hat, das Thema – ebenfalls aus aktuellem Anlass – einmal aufgegriffen hat, habe ich ihm auf Facebook geantwortet, dass ich mich, so lange ich laufe, immer sicher gefühlt habe. Und das stimmt.

Wenn ich mir überlege, wie oft in meinem Leben ich ohne ein mulmiges Gefühl im Magen allein auf abseits gelegenen Wegen unterwegs war, dann ist dieses Vertrauen berechtigt. Aber irgendetwas hat sich verändert. Vielleicht liegt es daran, dass die Fälle in den letzten Wochen so gehäuft aufgetreten sind.

Vielleicht, weil sie räumlich so nah waren. Jedenfalls weiß ich, dass ich lange nicht mehr mit dieser Unbeschwertheit unterwegs sein werde, die mich bisher immer begleitet hat. Daran wird auch mein Hund nichts ändern, der fast immer an meiner Seite ist.

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Mich macht das traurig und wütend gleichermaßen, denn ich weiß, dass es vielen Frauen jetzt so geht wie mir. Dass sie sich dreimal überlegen, ob sie abends allein noch eine Runde drehen. Dass sie beim Laufen ängstlich auf jedes Geräusch oder jede Bewegung achten, keine Kopfhörer mehr tragen und so der Spaß und die Entspannung, die das Laufen bringt, einfach verloren gehen.

Dass plötzlich auch andere Männer, die im Wald unterwegs sind, wieder unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist ärgerlich und obendrein natürlich ungerecht.

Sitzt, läuft, schreibt: Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin.
Sitzt, läuft, schreibt: Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin.

© Promo

Während ich schreibe, merke ich, dass das Thema mehr in mir auslöst, als ich hier auf diesem begrenzten Platz unterbringen kann. Es ist ein Grundsatzthema, das seit #MeToo zwar angerissen, aber nicht erschöpfend geklärt ist. Aber da das ja hier die Laufkolumne ist, belasse ich es dabei, mir zu wünschen, dass die Polizei den oder die Täter möglichst schnell ermittelt.

Vielleicht können die Frauen, die sich ihre Joggingschuhe anziehen, um im Wald einfach nur laufen zu gehen, das dann irgendwann auch wieder ohne Befürchtungen und Ängste tun.

Jeannette Hagen

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