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Kommentar: Erlaubte Leidenschaft

Sven Goldmann über die Vereinsvorlieben von Schiedsrichtern.

Am Freitag treffen sich die Koryphäen des Deutschen Fußball-Bundes zur Krisenbewältigung, und sicherlich werden sie dabei auch über Michael Kempter reden. Über das Ende seiner Schiedsrichterkarriere wegen dieser E-Mail an seinen väterlichen – nun ja, Freund? – Manfred Amerell. Nein, nicht die Mail mit dem schwarzen Tanga. Eine homoerotische Affäre hätten sie Kempter vielleicht noch nachgesehen. Aber ein Schiedsrichter, der sich freut, wenn die Bayern verlieren, und das in der Champions League, wenn es um alldeutsche Interessen geht – da hört der Spaß auf.

Der Schiedsrichter Michael Kempter mag Bayern München nicht. Diese Einstellung teilt er mit geschätzt 40 Prozent aller deutschen Fußballfans, und es ist ja gerade dieses Polarisierungspotenzial, das einen Großteil der bayerischen Faszination ausmacht. Dem Schiedsrichter Kempter ist der FC Bayern offensichtlich nicht egal. Man kann das auch als Zeichen von Zuneigung werten.

Sogar bei Markus Merk verhält sich die Sache kompliziert

Von Manfred Amerell ist bekannt, dass er nicht immer nur Hotelier und Schiedsrichter-Funktionär war. Er hat seine Karriere als Geschäftsführer begonnen, erst bei 1860 München, später beim FC Augsburg, dann beim Karlsruher SC. Man darf wohl davon ausgehen, dass Amerell in dieser Zeit ein keineswegs von Neutralität gezeichnetes Verhältnis zu seinen Arbeitgebern entwickelte. Es hat wohl niemanden gestört im deutschen Fußball, dass Amerell danach Schiedsrichter wurde.

Auch bei Markus Merk verhält sich die Sache kompliziert. Der einstige Vorzeigeschiedsrichter ist sozusagen im Klubhaus des 1. FC Kaiserslautern aufgewachsen, sein Vater war dort Schiedsrichterbetreuer. Und das zu einer Zeit, als die Lauterer ihr Feindbild Nummer eins noch nicht in Hoffenheim verorteten, sondern an der Säbener Straße. Es spricht einiges dafür, dass der kleine Markus in einem den Bayern eher abgeneigten Klima sozialisiert wurde. Das hat ihn nicht daran gehindert, zum Welt-Schiedsrichter Nummer eins aufzusteigen und zu einer auf dem Platz allseits geschätzten Instanz.

Wer wollte von Schiedsrichtern erwarten, dass sie in privater Atmosphäre beim Betrachten eines Fußballspiels nicht einem Team die Daumen drücken ? Schiedsrichter sind keine Mönche, keine von der Geißel der Leidenschaft befreite Kastraten. Diesen vermeintlichen Idealtypus eines Schiedsrichters müssen sich die selbst ernannten Moralwächter schon im Labor heranzüchten.

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