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Sport: „Künftige Stars kommen aus Asien“

Helmut Digel über die neue Weltordnung in der Leichtathletik

Herr Digel, nach vielen Absagen sollte es in Helsinki eine LeichtathletikWeltmeisterschaft ohne Stars werden. Was für eine ist es Ihrer Ansicht nach geworden?

Sie hatte einen besonderen Charakter, weil man in keiner Disziplin sicher sein konnte, wer der Favorit ist. Es war die Weltmeisterschaft der Überraschungen, wie der Erfolg des holländischen Stabhochspringers Rens Blom gezeigt hat. Es ist ein Trend: Erfolg und Misserfolg wechseln ständig.

Ist das gut für die Leichtathletik?

Es ist auf jeden Fall gut, dass immer mehr Athleten aus jüngeren Leichtathletik-Nationen den Weg in die Spitze finden. Bald haben wir unser Ziel erreicht, dass aus jedem Land mindestens ein Athlet die Qualifikation für die WM schafft. Dafür hatte die IAAF ein spezielles Förderprogramm aufgelegt. Dass immer mehr Länder am Medaillenkuchen partizipieren, geht natürlich zu Lasten der etablierten Länder und Athleten. Wir haben noch lange Karrieren, aber sie sind nicht mehr so lange so erfolgreich wie etwa die von Stabhochspringer Sergej Bubka. Für die Zuschauer ist das ungemein spannend.

Lässt sich das aber auch vermarkten?

Helden gibt es nur, wenn man mehrfach siegt, gut aussieht und sympathisch ist. Wenn man die Vermarktung auf diese Strategie aufbaut, ist die Entwicklung nicht ideal. Da kann man aber auch andere Konzepte dagegensetzen. In Helsinki war es das Konzept, die Zuschauer zu begeistern. Begeisterte Zuschauer bedeuten auch tolle Wettkämpfe.

Aber das Fernsehen verlangt Helden. Geht also gerade im Land der Legende Paavo Nurmi die Ära der Legenden zur Neige?

Nicht unbedingt, nur gehört bei den Helden die Orientierung auf das angelsächsische Gebiet der Vergangenheit an. Die künftigen Stars kommen aus Asien, aus China, Japan, vielleicht auch aus Indien. Bislang haben wir geglaubt, dass man nur Star sein kann, wenn man Englisch spricht. Aber ein Chinese spricht die Sprache von einer Milliarde Menschen. Probleme haben im Grunde nur die Afrikaner. Sie haben zu Hause keinen Markt und für uns Europäer nicht die Merkmale von Stars.

Bleibt Afrika trotz der Erfolge auch in der Leichtathletik ein verlorener Kontinent?

Die Afrikaner können ihren Lohn nur über Preisgelder und Siege bekommen.

Was bedeutet das alles für Europa?

Wir müssen aufpassen, dass man Europa nicht gefährdet. Europa ist noch der wichtigste Kontinentalverband. Aber Europa benötigt sein eigenes Entwicklungsprogramm. Für bestehende Meisterschaften könnten moderne Formate gefunden werden. Vielleicht müsste aber auch eine ganz neue Meisterschaft entwickelt werden, oder Europa müsste an die Einführung Europäischer Spiele nach dem Vorbild der Asienspiele denken, um vermehrt Identifikation mit europäischen Siegern zu ermöglichen. Der Erhalt und die Verbesserung der Golden League wären dazu ein wichtiger Beitrag.

Ist es ein Nullsummenspiel: Was die anderen Kontinente gewinnen, verliert Europa?

Europa gewann in Helsinki immerhin noch fünfzig Prozent aller Medaillen, doch der europäische Anteil nimmt ab. Gleichzeitig haben die europäischen Nationen Schwierigkeiten, ihre nationalen Meisterschaften erfolgreich zu organisieren. Das Nachwuchsproblem stellt sich in vielen Disziplinen. Auf diese Weise wird auch die Vermarktung der europäischen Leichtathletik immer schwieriger. Leichtathletik funktioniert in Europa vor allem über die Identifikationen mit Nationen. Aber der Europacup zum Beispiel wird vom Fernsehen noch immer als Veranstaltung von einzelnen Sportlern präsentiert und nicht als Ländervergleich.

Der Vorsitzende der Welt-Anti-DopingAgentur, Richard Pound, hat gesagt, in den USA sei die Leichtathletik tot.

Der Verband hat sich erst wieder berappeln müssen. Er musste Schulden abbauen und sich neu aufstellen. Das Problem ist, dass man dort nur ins Fernsehen kommt, wenn man bezahlt. Deshalb hat die IAAF bei dieser WM zum ersten Mal investiert, damit Zusammenfassungen von zwei Stunden in den USA zu sehen sind. Wir müssen den Amerikanern helfen. Wir würden gerne mal eine Weltmeisterschaft in den USA veranstalten.

Pound meinte auch das Dopingproblem der USA durch den Balco-Skandal.

Das Dopingproblem in den USA ist lange nicht ernsthaft angegangen worden. Durch Balco hat sich etwas bewegt, die Anti-Doping-Agentur Usada ist inzwischen Vorbild geworden, auch bei der Transparenz der Dopingproben. Aber bei den unangemeldeten Trainingskontrollen könnte wie überall in der Welt noch einiges verbessert werden.

Gerade die deutschen Athleten beklagen sich immer wieder, dass sie viel häufiger kontrolliert werden als andere .

Wir sollten ehrlicher mit der Sache umgehen. Deshalb sollten wir auch in der Frage der Transparenz Vorbild sein. Das ist bis heute nicht der Fall. Fast jeder deutsche Athlet sagt, er sei 2005 mindestens zehnmal kontrolliert worden. Doch einige von ihnen müssen lügen. Wir haben nur gut 1000 unangemeldete Trainingskontrollen in einem Jahr und 300 Kaderathleten. Da kann nicht jeder zehnmal kontrolliert werden. Man müsste auch in Deutschland häufiger kontrollieren, um den Abschreckungseffekt zu steigern.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

Helmut Digel (61) ist Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) und Professor für Sportsoziologie. Er führte jahrelang den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV).

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