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Heiß und gefährlich. Der Kunstrasen erreicht bei der WM in Kanada Temperaturen von bis zu 54 Grad und kann so Schürf- und Brandverletzungen hervorrufen.

© dpa/Jaspersen

Kunstrasen bei der Fußball-WM der Frauen: Viel Wasser auf Plastik

Über den umstrittenen Kunstrasen wird bei der Frauenfußball-WM in Kanada weiterhin debattiert. Bei Hitze kann der Untergrund sehr heiß werden kann. Er stinkt noch mehr nach Plastik und ist auch gefährlicher.

Nicht alle Fifa-Regeln sind leicht zu durchschauen. Doch eine, von der alle 24 Mannschaften bei der Frauenfußball-WM betroffen sind, ist besonders schräg. Sie besagt: Spielt ein Team zweimal hintereinander im selben Stadion, darf es vor dem zweiten Spiel kein Abschlusstraining in diesem Stadion abhalten. Stattdessen muss auf den Trainingsplatz ausgewichen werden. Das galt für alle Teams, weil die sechs Gruppen an den ersten zwei Spieltagen auf die sechs Spielorte in Kanada verteilt waren. Die deutsche Nationalmannschaft reiste für die dritte Partie gegen Thailand (4:0) von ihrer Basis in Ottawa nach Winnipeg. Erst dort war wieder ein Abschlusstraining im Stadion erlaubt.

Dabei ist es ja gerade der große Vorteil von Kunstrasen, dass er nicht geschont werden muss, sondern im Gegenteil: sehr belastbar ist. Und hatte die Fifa zusammen mit den lokalen Organisatoren nicht ihre Entscheidung, die WM durchweg auf Kunstrasen durchzuführen, unter anderem mit den klimatischen Bedingungen in Kanada begründet?

Aber wer hätte auch ahnen können, dass es im Juni sogar in Kanada nicht schneit? Dass stattdessen an vielen Spielorten die Sonne vom Himmel brennt? Und es ist eben einer der Nachteile des Kunstrasens, dass er bei Hitze sehr heiß werden kann. Er stinkt noch mehr nach Plastik und ist auch gefährlicher. Er muss stark bewässert werden, um die rutschenden Fußballerinnen vor Schürf- und Brandverletzungen zu schützen.

Die Temperaturen auf dem Rasen übersteigen 50 Grad

Nur scheint das wenig zu nützen. Bundestrainerin Silvia Neid sagt sogar: „Es ist schade um das Wasser. Wenn man ihn gesprengt hat, ist er nach fünf Minuten wieder trocken.“ Oft müssen die Plätze sogar von Hand gewässert werden, weil in den Stadien Sprinkleranlagen fehlen. In Vancouver ist immerhin ein Traktor im Einsatz.

Vor dem Eröffnungsspiel vor gut einer Woche in Edmonton wurde auf dem Rasen die Temperatur von 49 Grad gemessen, tags darauf in Ottawa betrug sie vor der Partie zwischen Norwegen und Thailand 54 Grad. „Ein Albtraum“, klagte Abby Wambach. „Du überlegst dir zweimal, ob du wirklich in ein Tackling gehen oder grätschen sollst.“ Die US-Amerikanerin ist sowieso eine der schärfsten Kritikerinnen des Kunstrasens, von ihr war die Klage ausgegangen, die dieses Turnier auf Plastik hätte verhindern sollen. „Männer würden streiken“, hatte die Stürmerin gesagt. Mitgetragen wurde die Klage von mehr als 60 Spielerinnen aus aller Welt, auch aus Deutschland.

Doch die Fifa blieb hart. Zumal der Rasen ohnehin nicht überall hätte ausgetauscht werden können: Im Finalstadion von Vancouver wird seit Jahren gezwungenermaßen auf Kunstrasen gespielt. Es ist die Heimstätte des Fußballklubs Vancouver Whitecaps und der American-Football-Mannschaft der British Columbia Lions. Mit der spektakulären Dachkonstruktion des Olympiastadions von 2010 bekäme der Naturrasen auch zu wenig Licht, um mehr als ein paar Wochen zu überleben.

Deutsche Spielerinnen finden den Kunstrasen nicht mehr nur schlecht

Jene Teams, die ihre ersten beiden Gruppenspiele in Vancouver austrugen, äußerten sich schließlich sogar positiv über die neu verlegte Unterlage. Eher missfiel ihnen, dass auf den drei Trainingsplätzen in und um Vancouver die Grashalme ungewöhnlich hoch stehen und zu viel Granulat verteilt ist. Aber vor allem störte die Spielerinnen, dass die Plätze sehr unterschiedlich beschaffen sind. „Man muss sich in jedem Training umgewöhnen“, kritisierte die Schweizerin Martina Moser.

Allerdings bröckelt die Allianz gegen den Plastikfußball. Mosers Teamkollegin Lia Wälti, Mittelfeldspielerin von Turbine Potsdam, sagt: „Durch den Kunstrasen kann der Frauenfußball noch interessanter werden.“ Auch die Deutsche Dzsenifer Marozsan betont: „Der Rasen ist schneller, man muss präziser und konzentrierter spielen.“ Und Wambachs Äußerungen sind mittlerweile so abstrus, dass sie sich als Chefkritikerin unglaubwürdig macht. Nach dem 0:0 gegen Schweden klagte sie: „Wir hätten bestimmt mehr Tore geschossen, wenn wir auf Gras hätten spielen können.“

Lukas Kuchen

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