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Lalit Modi, Bollywood-Millionär: "Wir erreichen jedes Wohnzimmer"

Bollywood-Millionär Lalit Modi über die soziale Kraft des Krickets und das neue indische Wir-Gefühl.

Herr Modi, ist Kricket für die Inder das, was Fußball für uns bedeutet?



Nein, Kricket hat eine völlig andere Bedeutung für uns als etwa Fußball oder Tennis in Europa. Kricket ist das einzige Element, das alle in Indien vereint. Es geht quer durch alle Gesellschaftsschichten und kulturellen Werte.

Am 26. Januar 1950, also vor 60 Jahren, trat die Verfassung in Indien in Kraft, das Land wurde endgültig unabhängige Republik, eine Nation mit vielen Kulturen, Sprachen, Religionen, Ethnien und Kasten. Vereint Kricket diese Unterschiede?

Kricket hat eine gewisse Entwicklung genommen. Irgendwann haben wir herausgefunden, dass gesellschaftliche oder kulturelle Unterschiede bei dieser Sportart überhaupt keine Rolle mehr spielen. Weder bei den Sportlern selbst noch bei den Fans. Es war alleine das Verdienst von Kricket, dass wir alle diese Unterschiede vereinen konnten. Kricket trägt enorm zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Indien bei. Die Inder entwickeln erstmals ein Wir-Gefühl.

Das rigide Kastenwesen spielt beim Kricket keine Rolle?

Leute mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund, aus den unterschiedlichsten Kasten sind heute ganz selbstverständlich Teil des indischen Nationalteams. Und das verändert auch die allgemeine Wahrnehmung. Es wird dazu beitragen, dass auch das Kastensystem eines Tages überwunden wird. Früher hätten die Menschen aus verschiedenen Kasten nicht einmal darüber nachgedacht, sich gemeinsam in einem Umkleideraum aufzuhalten, geschweige denn, in einem Team zu spielen. Heute ist das kein Thema mehr. Beim Kricket geht es um Zusammenhalt und nicht um Unterschiede.

Offiziell ist Hockey noch immer die indische Nationalsportart …

Tatsächlich ist Hockey unser Nationalsport, obwohl das längst nicht mehr der Realität entspricht. Indien befindet sich im Kricketfieber. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden viele von Kricket inspiriert, weil sie bemerkt haben, wie erfolgreich unsere Nationalmannschaft auch im internationalen Vergleich ist.

Eine Milliarde Inder definieren sich über Kricket?

Kricket ist hier so populär wie Fußball in Brasilien und Europa oder American Football in den USA. Der Wendepunkt war die WM 1996. Wir haben sie gewonnen – und auf einmal blickte die ganze Welt auf uns. Vorher wurden wir sportlich nie wahrgenommen. Bei Olympischen Spielen spielen wir keine Rolle. Das ist nicht gerade vorbildlich für unseren Nachwuchs.

Aber Kricket ist zuallererst ein britischer Sport.

Stimmt, doch Indien hat es geschafft, sich beim Kricket kontinuierlich zu verbessern und sogar Weltmeister zu werden. Wir haben Kricket zu unserem Sport gemacht. Es gibt keine andere Sportart bei uns, die diesen Status annähernd erreicht.

Welchen Status besitzen Kricketstars in der Gesellschaft, und was leisten sie für den sozialen Zusammenhalt?

Tatsächlich werden unsere Kricketstars fast wie Halbgötter verehrt. Mit der zunehmenden Professionalisierung des Sports und der einhergehenden Übertragung im Fernsehen hat Kricket es sogar geschafft, Bollywood zu überholen. Das mag auch daran liegen, dass Kricket nicht einmal eine Sprache benötigt, um von allen verstanden zu werden. Deshalb erreicht Kricket auch jedes Wohnzimmer in diesem Land.

Sie übertreiben.

Überhaupt nicht. Kricket hat etwas Vereinendes, das von allen gleichermaßen verstanden wird. Denken Sie an unsere Feindschaft zu Pakistan, die wir auch durch Kricket überwinden konnten. Wir hatten Freundschaftsspiele mit unserem Nachbarn und das führte schließlich dazu, dass wir unsere gegenseitigen Vorbehalte abgebaut haben. Es entwickelten sich schließlich Freundschaften und ein Sportsgeist, der zeigt, dass diese Ressentiments nicht von den Menschen kamen, sondern zwischen Systemen bestanden. Kricket hat dazu beigetragen, diese gegenseitige Anspannung abzubauen. Das ist doch wundervoll.

Taugen Kricketspieler als Vorbilder?

Die Mehrheit der Kricketspieler stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Der eine hat einen Vater, der Mechaniker ist, der andere ist Klempner. Damit können sich viele Menschen im Land identifizieren. Sie hatten nichts und haben es allein dank ihres Talents, ihrer Disziplin und ihrer Leidenschaft für den Sport geschafft, zu dem zu werden, was sie heute sind.

Fragt man heute Kinder in Indien, was sie einmal werden wollen, antworten viele: ein Kricketstar.

In der Vergangenheit war Kricket nichts, was man als Beruf oder als Karriere betrachtet hätte. Es war nur ein Spiel, ein Sport, dem man in seiner Freizeit nachging. Heute sind die jungen Menschen davon besessen, eines Tages Kricket als Profi zu betreiben. Sie schauen auf ihre Vorbilder, die aus dem Nichts kamen und heute 20 Millionen Dollar im Jahr verdienen und von der Gesellschaft verehrt werden.

Was braucht man neben Talent, um es im Kricket ganz nach oben zu bringen?

Kricket ist ein Spiel, das den Spielern vor allem sehr viel Disziplin abverlangt. Talent alleine reicht nicht aus. Man braucht viel Geduld. Vor allem ist es ein Mannschaftssport, Egoisten haben kaum eine Chance.

Wer in Mumbai herumläuft, sieht auf jedem freien Fleckchen jemanden Kricket spielen. Und keineswegs nur Jungen und Männer.

Kricket war ursprünglich ein reiner Männersport. Das hat sich vollkommen verändert. In letzter Zeit haben auch die Frauen Kricket für sich entdeckt, nicht nur im Fernsehen, sondern auch im direkten Spiel.

Woran Sie nicht ganz unschuldig sind …

Wir haben lediglich zwei Massenphänomene Indiens zusammengebracht: Bollywood und Kricket. Man könnte auch sagen, wir haben sie verheiratet (lacht). Wir haben das Umfeld so aufgelockert, dass sich Frauen mit diesem Sport wohl fühlen, ein bisschen mehr Show und Unterhaltung am Rande und nicht nur Schweiß und Anstrengung. Das bringt eine völlig neue Zielgruppe ins Spiel.

Es gibt doch sicher viele Männer, denen es gar nicht recht ist, wenn Frauen auch noch in ihre letzte Domäne eindringen.

Ich selbst habe nichts dagegen. Die Zeit dafür war reif. Es ist doch fantastisch, wenn ein Sport auch zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen beiträgt. Es gibt viele soziale Werte, die man dort lernen kann. Es ist wichtig, dass dies endlich passiert ist, und ich bin froh darüber.

Sie setzen sich dafür ein, Kricket auch international bekannt zu machen. Wie wollen Sie hierzulande gegen Fußball bestehen?

Durch unsere neue Kricket-Version, bei der das Spiel auf nur drei Stunden begrenzt ist. Dafür bekam ich am Anfang viel Gegenwind. Die Kritik war vernichtend. Aber unser Erfolg bestätigt, dass dieser Weg der richtige ist. Die Leute kommen in Scharen in die Stadien, wir haben traumhafte Einschaltquoten. Ich glaube nicht, dass ein Spiel attraktiv für westliche Zuschauer wäre, das einen ganzen Tag lang dauert oder sich gar über fünf Tage hinzieht. Aber wenn wir es auf drei Stunden begrenzen, mit der richtigen Unterhaltung, mit Musik und Tanzeinlagen untermalen, müsste das auch für westliche Länder interessant sein.

Das Gespräch führte Alicia Rust.
Lalit Modi, 46, hat Kricket in Indien als Vorsitzender der Liga etabliert. Zudem ist der Großunternehmer in der Film- und Tabakindustrie an der Produktion von Bollywoodfilmen beteiligt.

Alicia Rust

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