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Sport: Land des aufgehenden Fußballs

Von Martin Hägele Yokohama. Kann man die beeindruckende Atmosphäre aus der engen Schüssel der Saitama-Arena, von der sich die japanische Nationalmannschaft zum historischen ersten WM-Punkt hat tragen lassen, in das doppelt so große, aber weitläufige Endspiel-Stadion von Yokohama transportieren?

Von Martin Hägele

Yokohama. Kann man die beeindruckende Atmosphäre aus der engen Schüssel der Saitama-Arena, von der sich die japanische Nationalmannschaft zum historischen ersten WM-Punkt hat tragen lassen, in das doppelt so große, aber weitläufige Endspiel-Stadion von Yokohama transportieren? Diese Frage lockte selbst das japanische Prinzenpaar in die kaiserliche Loge – doch bevor sie dort Platz nahmen, ließen sich Hoheiten erst mal die neuen Nationalhelden Nippons vorstellen, die zwei Stunden später jenen Wunsch umsetzten, den ein Volk von Millionen jungen Fußballfreunden über Jahre hinweg geträumt hatte: den ersten Sieg der japanischen Auswahl bei einem Weltturnier. Nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Markus Merk erreichte der Jubel nach dem 1:0-Sieg über Russland tatsächlich die Dimension von Saitama, die man zuvor für einmalig gehalten hatte.

Wie schon am Dienstag gegen Belgien war es erneut Junichi Inamoto, der seine Nebenleute immer wieder mitriss. Der 22-Jährige hat sich im Verlauf dieser WM jedoch nicht nur zum fanatischen Anführer seines Teams entwickelt. Denn Inamoto kämpft nicht nur in der Abwehr oder erobert sich Bälle im zentralen Mittelfeld, er sucht geradezu die entscheidende Situation. Deshalb stand er auch in der 50. Minute am rechten Platz und am Ende einer japanischen Kombinationskette – einer wie er braucht offenbar nur eine einzige Torchance. Eigentlich ist es unvorstellbar, dass solch ein Spieler bei Arsenal London nur zur Reserve zählt.

Es scheint unwahrscheinlich, dass Nippons fixe Kämpfer nun vom Erreichen ihres großen Ziels gestoppt werden. Dem Achtelfinale, das für alle Beteiligten der Troussier-Expedition seit dreieinhalb Jahren als WM-Marge gegolten hat. Im letzten Vorrundenspiel dürften die Tunesier den Lauf dieses Teams kaum stoppen. Und das Achtelfinale muss für Japan noch nicht die Endstation sein. Denn als Sieger der Gruppe H bekäme Team Nippon entweder Costa Rica oder die Türkei zugeteilt; lösbare Aufgaben, wenn die Kulisse die neuen Idole weiterhin beflügelt.

Die Japaner brauchen allerdings auch diese Kräfte von draußen, denn wie schon gegen Belgien mussten sie auch diesmal jenes physische Handicap wettmachen, das ihnen Mutter Natur mit der Miso-Suppe mit ins Leben gegeben hat. Bei Kopfbällen springen die kleinen Asiaten meist etwas kürzer als die Modellathleten aus Europa. Immer wieder solch verlorenen Luft-Duellen hinterherzurennen kostet Kraft, weshalb sie in der Schlussphase regelmäßig in die Bredouille geraten. Trainer Philippe Troussier strich diesen Willen, sich auch in schwierigen Situationen nie aufzugeben, als Grundlage des Erfolgs heraus: Seine Mannschaft besitze fantastischen Charakter, „es waren heute elf, ja vierzehn ungewöhnliche Spieler – und wir haben keinen Star im Team". Zumindest keinen, der sich im Augenblick so aufführt.

Vor dem Spiel hätte der französische Ausbilder sofort eingeschlagen, wenn ihm einer ein Remis gegen die Russen und einen Sieg im abschließenden Gruppenspiel gegen Tunesien garantiert hätte. Sein wichtigster Wunsch aber galt einem Spielleiter, der nicht so klar auf der Seite des Gegners stand. Nun ist eine Weltmeisterschaft kein Wunschkonzert und Markus Merk bekannt dafür, dass er sich weder von einem sympathischen Gastgeber noch von einer brodelnden Kulisse beeinflussen lässt. Trotzdem muss der Zahnarzt aus Kaiserslautern nun mit den Verwünschungen, ja Beleidigungen etlicher Moskauer Genossen leben. Denn in der 40. Minute übersah der ansonsten äußerst souverän leitende Merk einen klaren Elfmeter: Toda hatte den einschussbereiten Semschow am Fünfmeterraum umgerissen.

Aber hätte irgendeiner der russischen Profis die Kugel aus elf Metern und gegen einen guten Torwart ins Netz gehauen? Diese Frage müssen sich fast alle russischen Kicker stellen – nach teilweise famoser Vorarbeit zielten sie meist weit und hoch am Tor vorbei. Selbst routinierte Leute von der Klasse eines Waleri Karpin (Celta Vigo) oder Juri Nikiforow in Diensten des PSV Eindhoven. Die größte Fehlleistung aber erlaubte sich der aus Bundesligazeiten bei Werder Bremen bekannte Wladimir Bestschastnich: Nicht einmal eine Minute war er im Spiel, hatte Torhüter Narazaki schon umkurvt und schoss dann nicht ins leere Tor, sondern gegen das Außennetz. Ach, Mütterchen Russland, was sind das für Angreifer?

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