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Sport: Lausitzer Catenaccio

Zweck geht vor Schönheit: Cottbus ermauert sich einen Punkt in Stuttgart

Stuttgart. Offensichtlich mögen sich die Herren Eduard Geyer und Felix Magath. Richtig herzlich gehen sie miteinander um, der Kulttrainer aus dem Osten und der Kollege, der mittlerweile das Image vom Experten in Sachen Wiederaufbau des Fußballs im Schwabenland besitzt. Dabei hätte es Geyer grausen müssen ob des fürchterlichen Gekickes, das vor dreißig Jahren in Italien zur Kultur erhoben wurde – und nun im Gottlieb-Daimler-Stadion von Stuttgart als Catenaccio aus der Lausitz wieder aufgelebt ist: Meide die gegnerische Hälfte wie einen Todesstreifen, und haue jeden, der auf dein Tor zuläuft, irgendwie zu Boden! Bloß bitte rechtzeitig, mit ordentlich Sicherheitsabstand zur Strafraumgrenze. Denn dieses Terrain ist die Bühne des Torwarts.

Ob Andre Lenz, der als Ersatz für den indisponierten Tomislav Piplica sein viertes Bundesligaspiel bestreiten durfte, ein guter Keeper ist, sei dahingestellt. Das Talent eines begnadeten Schauspielers aber zeigte er schon beim ersten Mal. Nach jeder zweiten Parade musste die Nummer eins von Energie behandelt werden. Zusammengezählt schlugen sich die Einlagen vom kranken Mann und die körperlichen Attacken seiner Kollegen in einer Foul-Bilanz von 34 (gegenüber 13 beim VfB) und einer fünfminütigen Nachspielzeit nieder.

Mit der ihm eigenen Selbstironie hat der gute Eduard Geyer die traurige Vorstellung seiner Leute als „das Glück des Tüchtigen“ beschrieben – immerhin lässt sich das 0:0 ja als Punkt Nummer fünf und zweites Remis nach dem zehnten Spieltag verbuchen. Moralisch besonders wertvoll, „weil es das erste Mal war, dass wir zu null gespielt haben“ (Geyer); als Tabellenletzter sind solche Ansätze existenziell wichtig. Man wird nämlich noch etliche Wochenenden ohne Gegentreffer überstehen müssen, um nicht im Sommer dort zu landen, wo ein Teil der Republik die internationale Auswahl gewiss hinwünscht: in der Zweite Liga.

Die Stuttgarter dagegen wollen nach oben, und weil ihnen das nicht schnell genug gehen kann, denken einige der jungen Wilden schon wie die gestandenen Herrschaften und Stars von Bayern München oder Schalke 04. Auch die Elbers, Scholls, Sands und Mpenzas der Liga hätten ja an diesem Samstag ihre Heimspiele verpatzt, weil sie schon die internationalen Auftritte der nächsten Woche vor Augen gehabt hätten. Magaths spontane Analyse über das gute Dutzend Torchancen, die Kuranyi, Tiffert, Amanatidis und Co. vergeben hatten, klang zwar im ersten Moment wie eine billige Ausrede, nach mehreren Wiederholungen aber durchaus glaubhaft. „Wenn ich am Freitag im Mannschaftshotel höre, dass die Spieler fragen, wie denn Budapest gespielt hat, dann sagt mir das schon alles.“ Und je öfter Magath dies sagte, desto ärgerlicher wurde dabei sein Unterton. Selbst wenn diese These von der fehlenden Konzentration auf den Bundesliga-Alltag und die Vorfreude auf den Uefa-Cup stimmen sollte, so traf sie auch mit einem alten Phänomen zusammen. Immer, wenn es beim VfB darum geht, hart erarbeitete Erfolge auch einmal in der Tabelle zu zementieren oder die eigenen Ansprüche als Status zu belegen, dann platzen die ehrgeizigen Pläne. „Verdammter Mist. Mit einem Sieg heute hätten wir auf Platz fünf landen können.“ Nicht alle hat der Frust über die alte Leier ähnlich genervt wie Kapitän Soldo. Auch das Publikum gewährt Magaths jungen Leuten Kredit. Und die Fans standen bis zum Schluss hinter ihrer Mannschaft, die trotz der Mängel im Abschluss nicht aufhörte, mit Leidenschaft und Willen gegen den Abwehrblock anzurennen. Früher hätten sie gepfiffen, heute aber tragen die Schwaben die Arbeit und auch das Geduldspiel Magaths mit. Fragt sich nur: wie lange?

Martin Hägele

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