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Sport: Leben auf Rädern

Bernd Raddatz war Fernfahrer und jobbt als Double von Mario Adorf. Sein Hobby ist sein Wohnmobil

Einmal kam Bernd Raddatz zurück zu seinem Wohnmobil, da saß dieser Spanier auf dem Tritt vor der Tür. Seit Stunden schon. „Bernardo, hat der zu mir gesagt, Bernardo, deine Tür war offen, da habe ich draußen Wache gehalten.“ Wohnmobilisten halten eben zusammen. Bernd Raddatz gehört dazu. Seit Mitte der 90er Jahre gehen der 63-jährige Rentner aus Wittenau und seine 54-jährige Frau Annemarie so vier, fünf Mal im Jahr auf Tour: „Sachen reinladen, fertig, los.“ Wenn es jetzt bald wieder ungemütlich wird in Berlin, rollt Raddatz bis nach Spanien. Wie die „Snowbirds“ in den USA: Veteranen, die im Süden überwintern.

Dass der Spanier auf Teneriffa vorm Womo – so lautet die Koseform der Wohnmobilisten für ihr Gefährt – Position bezog, kommt nicht von ungefähr. Normalerweise hat Raddatz sogar eine Alarmanlage scharf geschaltet. So um die 100000 Euro kostet sein Fünf-Tonner, das weckt Begehrlichkeiten – schließlich findet sich darin alles, was Einfamilienhäuser bieten. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad. Die Sitze lassen sich heben, senken, drehen und wenden, bis eine Essecke entsteht.

Damit der Fernseher während der Fahrt nicht wegvibriert, ist er mit einem Gurtband festgeschnallt. Er empfängt über Satellit und läuft wie der Kühlschrank über die Solaranlage auf dem Dach. Dusche mit 110 Liter Frischwassertank, Bad mit Luftabzug.

In den Fächern stapeln sich Reiseführer und Wörterbücher, hinten im Gepäckraum liegen Grill, Leiter und eine Riesenpackung Knoblauchwürze. Das Womo besitzt Heizkörper und Doppelfenster. Und wenn die Raddatz’ mal am Tage schlafen möchten, lassen sie an der Frontscheibe eine Jalousie herunter. Warum mieten sich die Globetrotter aus Reinickendorf bei dem Luxus nicht gleich in ein Hotel ein? „Nein, danke“, sagt Bernd Raddatz, die festen Essenszeiten, Kleidungsvorschriften, all die Konventionen – „das ist nichts für mich, ich liebe die Freiheit, und die Natur.“ Auf Reisen alles nur von oben aus dem Flugzeug zu betrachten, das ist dem Mann aus Wittenau zu wenig. „Haben Sie mal das Rhônetal gesehen? Da muss man einfach mittendrin sein.“ Diese Aussicht! Ganz vorn auf der Ablage fahren Glücksbringer-Trolle aus Norwegen mit. „Meine Frau reicht mir von hinten Kaffee an. Und wenn wir müde sind, stellen wir uns an die Seite.“

So wie Raddatz reisen immer mehr Berliner. In der Stadt werden zunehmend Wohnmobile angemeldet und auch die Zahl der Vermietungen steigt, sagt Klaus-Eberhard Lehmann, Vorsitzender des Landesverbandes Berlin vom Deutschen Camping Club. Gerade ältere Leute gehen gern in Gruppen auf Tour. „Einige Rentner leisten sich jetzt im hohen Alter auch eine Harley – und schnüren sogar ein Zelt auf den Gepäckhalter“, sagt Lehmann. In Berlin mieten sich auch viele Prominente vorübergehend in ein Motel auf Rädern – wie jüngst Entertainer Thomas Gottschalk.

Bernd Raddatz kennt einige Fernsehleute persönlich. Wenn der 63-Jährige nicht gerade unterwegs ist nach Skandinavien oder Spanien, jobbt er beim Film als Double von Mario Adorf, zuletzt in der TV-Serie „Affäre Semmeling“. Dieter Wedel kennt er, mit Robert Atzorn hat er gedreht. Vor der Rente arbeitete Raddatz als Fuhrparkleiter am Flughafen Tegel und ganz früher war er als Fernfahrer auf den Straßen unterwegs. Vom Fahren hat er aber noch lange nicht genug: „Ich liebe es, ins Rollen zu kommen.“

Wie jetzt, wenn der Berliner wieder gen Teneriffa startet. So mit 80, 90 Kilometern die Stunde die Avus runter, hinten auf dem Hänger das Motorrad, und dann: Freiburg, Marseille, Barcelona. 800 Kilometer schafft Raddatz locker in einem Rutsch, das 115-PS-Mobil braucht zehn Liter Diesel auf 100 Kilometer. Von Cadiz aus geht es mit der Fähre rüber auf die Insel. 1000 Euro kostet das pro Strecke. Die Raddatz’ können sich das leisten. Sie habe keine Kinder, die sie unterstützen müssen. „Und was soll das Geld auf der Bank. Wir möchten einfach noch ein bisschen Spaß haben.“ Wenn Raddatz dann in Portito Guima am Wasser bei flirrender Hitze die Fahrertür aufmacht – „ das ist mein Leben“.

Die zweite Leidenschaft von Bernd Raddatz ist das Angeln. Er ist Vorstandsmitglied beim „AV Goldhaken“, Sportwart in Tegel, Fischereiaufseher. Gerade kommt er aus Dänemark zurück, 30 Kilo Fisch hat er mitgebracht. Gut, dass es im Womo auch eine Dunstabzugshaube gibt.

Annette Kögel

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