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Sport: Leinen los

Die textile Handarbeit hält wieder Einzug im modernen Design

Gijs Bakkers „Knitted Maria“ machte 1997 den Anfang. Für die schräge Designinstallation hatte der Mitbegründer der holländischen Droog-Design-Bewegung einer klassischen Rosenthal-Porzellankaffeekanne ein blaues Wollmäntelchen im Stil großmütterlich selbst gestrickter Hausmannskost übergezogen. Die „gestrickte Maria“ war nicht nur spaßige Provokation frommer Ikonografie, sie räumte gleichzeitig mit abgestandenen Handarbeitsklischees auf.

Traditionellen Handarbeitskünsten wie Stricken, Weben, Häkeln oder Patchworken ist in den letzten fünfzig Jahren nachhaltig der Ruf des Biederen angedichtet worden. Im modernen Produktdesign waren sie kaum noch anzutreffen. Während textile Fertigkeiten wie die Arbeit am Webstuhl zu Bauhaus-Zeiten noch zur umfassenden Gestaltungslehre gehörten, verkümmerten diese Traditionen ab den späten 1920er Jahren zunehmend – ersetzt durch Fortschrittsbegeisterung und serielle Fertigung.

Inzwischen ist nicht nur der Spaß am Handarbeiten breitenwirksam gestiegen –, so dass angeblich schon halb Hollywood zu den Nadeln greift, Julia Roberts genauso wie Sarah Jessica Parker oder Cameron Diaz. Auch im Produktdesign haben sich die Grenzen gelockert. In allen Varianten und Richtungen wird derzeit gehäkelt, gestrickt oder gepatchworkt. Vor allem die niederländische Designszene mischt munter traditionelle Handarbeitstechniken auf: als kunstvolle Ironie, ernst gemeinte Traditionspflege oder modernes Recyceln falscher Wahrnehmungen.

Der „Knotted Chair“ von Marcel Wanders (www.marcelwanders.com), ein Macramé-Geflecht aus Aramidfasern, ist fast schon ein Klassiker. Sein blütenweißer „Crochet Chair“ sieht aus, als wäre eine Häkeldecke in einen Stuhl verwandelt worden. Wie schon beim „Knotted Chair“ bekommt hier die geknüpfte Faser die nötige Stabilität, indem sie bei hoher Temperatur in eine Epoxydharz-Lösung getaucht wird. An traditionelle Spitzendeckchen erinnern die wunderbaren Maschendrahtzäune „Lace Fence“, die der Rotterdamer Designer Joep Verhoeven aus Draht mit historischer Spitzenklöppelei knüpft und die inzwischen in Indien gefertigt werden.

Aus Holland kommt auch die Textildesignerin Claudy Jongstra, deren urig wilde Entwürfe aus verfilzter Wolle bereits im MoMa in New York und im Victoria and Albert Museum in London gezeigt wurden (www.claudyjongstra.com). Zur Gewinnung des Rohmaterials züchtet Jongstra rund zweihundert zottelige Schafe, aus deren Wolle sie dann Überwürfe, Kissen, Wandbehänge und Gardinen fertigt. Eigene Schafe hält auch das holländische Designlabel „These Flocks“ (www.theseflocks.com). Mit Nadeln in der Größe von Spazierstöcken werden hier aus der Wolle großmaschige, aber durchaus elegante Teppiche oder pralle Puffs in Gestalt von Riesen-Donuts gestrickt. Zu jedem Objekt gibt es ein Selbstversorgerzertifikat: eine Art Schafpass, der über die vierbeinigen Wolllieferanten des jeweiligen Produkts informiert.

Neben solchen Naturwaren wirkt die fabelhafte Strickarbeit, mit der die Designerin Nadine Sterk im letzten Jahr an Hollands Design Akademie Eindhoven graduierte, wie alten Maschinenträumen entsprungen (www.ateliernl.com). Hier ist es das Objekt selbst, das sich etwas strickt. Sobald man Nadine Sterks gigantische, aus einer runden Strickmaschine bestehende Leuchte „Sleeping Beauty“ anschaltet, fängt diese an, sich ihren eigenen Lampenschirm zu stricken. Ihr Schlauchschirm könnte eine Hommage an die berühmte Falkland-Leuchte sein – die sogenannte Aalreuse, für die der italienische Poet und Autodidakt Bruno Munari elastische Gewebeschläuche verarbeitete (www.danesemilano.com).

Die Designerin Christine Neudert, die mit einer Strickarbeit gerade an der Freien Universität Bozen graduiert hat, verfolgt bei ihren Handarbeitsfantasien dagegen einen völlig anderen Ansatz (www.danke-omi.de). Bei Neudert geht es in erster Linie um die sozialen Belange des Herstellungsprozesses und die gesellschaftliche Relevanz, die traditionellem Handarbeiten früher zukam. Sie gewann insgesamt achtzig Rentner aus Bayern als freiwillige Helfer für ihr Vorhaben, die gute alte Strickliesel umzufunktionieren: dieses seltsam pädagogische Objekt, das Untalentierten die Handarbeit zwar erleichtert, sie später aber auch etwas ratlos mit der entstandenen Hohlschnur zurücklässt. Gemeinsam mit ihrer Senioren-Crew produzierte Neudert auf gigantischen Stricklieseln bunte Wollschnüre, aus denen sie diverse Sitzmöbel entwarf – jedes benannt nach den beherzten Mitstrickerinnen: „Elsbeth“ heißt etwa die rot leuchtende Wollsitzkugel, „Hedwig“ die grasgrüne Liegelandschaft. Schon wegen der Begeisterung der beteiligten Senioren überlegt Neudert nun, das Ganze in Produktion gehen zu lassen.

Eine auf der Mailänder Möbelmesse im Frühjahr präsentierte Neuheit sind die krachig bunten Puffs, die die Engländerin Donna Wilson für das Designunternehmen SCP entworfen hat – allerdings nicht wie gewohnt aus Leder, sondern aus Wolle (www.donnawilson.com). Ansonsten ist Wilson vor allem für ihre abgefahrenen Strickpüppchen berühmt. Diese freundlich spaßigen Monsterfiguren, die wie in Wolle transformierte Cartoons aussehen und eine surreale Steigerung von Gijs Bakkers „Knitted Maria“ sind, lassen mit ihrer verrückten Verspieltheit inzwischen nicht nur Kinder aufjubeln.

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