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Sport: Lust auf Gottes Verbote

Der US-Amerikaner Bode Miller macht eigentlich alles falsch – bei der Ski-WM könnte er trotzdem zum Star werden

St. Moritz. Hipp, Hippie, Hurra! Schon mal den Skifahrern beim Start genauer zugeschaut? Da gibt es einige, die schauen so angespannt durch ihre Skibrille, als müssten sie in der nächsten Sekunde über Krieg oder Frieden entscheiden. Manche fletschen derart grimmig die Zähne, als hätten sie gerade hinter der nächsten Waldlichtung einen Bären mit den bloßen Händen erwürgt. Wieder andere brüllen so laut, dass sich die Bären auf den nächsten 50 Waldlichtungen fürchten. Und dann gibt es einen, der wirkt im Starthaus so gleichgültig, als würde er sich mehr Gedanken über die Nachmittagsgestaltung als über die nächsten zwei Minuten machen.

Und mit dieser Gleichgültigkeit fährt er mitunter aus dem Starthaus, verzichtet nicht selten auf aggressive Schlittschuhschritte und noch aggressivere Doppelstock-Einsätze. Und trotzdem ist der Mann verdammt schnell. Sechs Weltcupsiege hat er in dieser Saison schon erzielt. In der Weltcup-Gesamtwertung liegt er nicht weit hinter dem Führenden Stefan Eberharter aus Österreich und bei dieser WM in St. Moritz hat er im Super-G schon Silber gewonnen – der US-Amerikaner Bode Miller.

Bei dieser WM könnte Miller, der 25-jährige Sunnyboy aus den USA, zum Top-Star werden: Der neben den beiden Norwegern Kjetil-Andre Aamodt und Lasse Kjus letzte echte Allrounder im Weltcup-Zirkus ist einer der Favoriten für die Kombination. Die beginnt heute um 10 Uhr mit der Abfahrt, anschließend wird der Kombinationsslalom (1. Lauf 13 Uhr, 2. Lauf 15 Uhr/alles live in der ARD) ausgetragen. Miller gehört auch zum engeren Favoritenkreis für den Riesenslalom, und auch im Slalom hat er Siegchancen. Am Ende der WM könnte Miller mit vier Medaillen dastehen – mehr als die beiden Österreicher Stephan Eberharter und Hermann Maier jeweils erreichen können, weil die – wenn überhaupt – nur in drei Wettbewerben starten.

Dabei ist Miller so etwas wie der Gegenentwurf zumindest zu dem zurückhaltenden Eberharter. Das zieht sich durch Millers Interviews bis zum Besuch der Hotel-Bars, an denen Miller durchaus auch noch sehr spät anzutreffen ist. Bei Eberharter, aber auch bei Maier, ist so etwas kaum denkbar. Der US-Amerikaner ist ein Draufgänger, ein Bruchpilot, der noch vor einem Jahr häufiger ausfiel als er ins Ziel kam. Er ist nebenbei noch ziemlich lebensfroh und ein Sprücheklopfer. Miller vergleicht sich problemlos mit Alberto Tomba, der Rennfahrer-Legende aus Italien. „Er war der Letzte, dem es ähnlich wie mir gelungen ist, die Fans verschiedener Nationen zu begeistern.“ Und dann beleidigt er auch noch die dominierenden Österreicher. Die Olympiasieger Eberharter und Maier sind für ihn „keine herausragenden Fahrer“.

Doch das Beste an Miller ist sein atemberaubender Stil. „Er tut alles, was Gott verboten hat“, sagt der Norweger Aamodt. Miller arbeitet mit dem ganzen Oberkörper (schon im Rennläufer-Kurs Teil eins wegen der Aerodynamik streng verboten), rudert zwischen den Toren, um das Gleichgewicht zu halten mit beiden Armen (gleiches Problem wie oben), fährt zu direkt auf die Tore, wodurch seine Kurvenradien zwangsläufig noch enger werden müssen. Als Gesamtkunstwerk ist er ein skiläuferisches Paradoxon, das mehr an einen 40-jährigen Touristen erinnert – und trotzdem ist er schnell. Warum? Erstens hat er ein unwahrscheinliches Gespür für die Bewegungsabläufe. Und zweitens: Miller hat am Skifahren immer noch Spaß. So viel, dass er vier Medaillen holen kann.

Die Österreicher begegnen dem Phänomen Miller übrigens bereits auf ihre Weise: Sie beginnen, ihn einzugemeinden. Die Wiener Medien sind voll mit Berichten über Millers österreichischen Trainerstab und seine häufigen Trainingsbesuche beim österreichischen Skiteam. Außerdem wird er von einer österreichischen Kartoffel-Chips-Firma gesponsert. Und schließlich lebt Miller, der mit seinen Hippie-Eltern die ersten Lebensjahre in einer Vermonter Blockhütte ohne Strom und Wasser verbracht hat, mittlerweile im Winter in einem Tiroler Appartment.

Fast ein echter Österreicher also. Mit einem Unterschied. Er spricht kein Wort deutsch.

Markus Huber

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