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© dpa

Lutz Eigendorf: „Mord verjährt nicht“

Wird das Verfahren um Lutz Eigendorfs Tod nach einer überraschenden Aussage wieder aufgerollt?

Berlin - Er wollte nicht mehr in der DDR leben und für sie Fußball spielen, nicht mehr für den BFC Dynamo, nicht mehr für die Nationalmannschaft. Deshalb floh Lutz Eigendorf 1979 in den Westen. War das für die DDR-Staatssicherheit ein Motiv für Mord? Im März 1983 fuhr Eigendorf mit seinem Auto in Braunschweig gegen einen Baum und starb zwei Tage später. Bis heute ist ungeklärt, ob es ein Unfall war oder ob die Staatssicherheit etwas in Tötungsabsicht manipuliert hatte, wie es Recherchen des Filmemachers Heribert Schwan („Tod dem Verräter!“) schon vor zehn Jahren nahelegten.

Nun hat ein ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi ausgesagt, er habe einen Mordauftrag für Eigendorf erhalten, ihn aber nicht ausgeführt. „Das wäre ein spektakulärer Hinweis“, sagt Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Er will Strafanzeige stellen, „wir haben schließlich einen Anfangsverdacht, um zu ermitteln“. Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, sagt: „Wenn sich neue Gesichtspunkte ergeben, wird das Verfahren wieder aufgenommen. Mord verjährt nicht.“

Allerdings ist die Frage, wie glaubwürdig die Aussage des IM ist. Karl-Heinz F. verfügt über ein langes Vorstrafenregister. Das Landgericht Düsseldorf verurteilte ihn jetzt wegen schweren Raubes zu sechseinhalb Jahren Haft. In diesem Verfahren machte er auch Angaben zum Fall Eigendorf. Als er in den Westen ausreisen durfte, habe er den Auftrag schriftlich angenommen, Eigendorf zu töten. Er habe damit nur die Ausreise seiner Lebensgefährtin erreichen wollen.

In 50 Fällen soll die Stasi einen Mordversuch gegen Oppositionelle oder Flüchtlinge unternommen haben. Eigendorfs Tod ist nicht so eindeutig nachzuzeichnen wie die Anschläge auf andere Feinde des DDR-Regimes. „Kann sein, dass es so war wie bei der Mafia, bei der man bestimmte Sachen nur telefonisch regelt“, sagt Knabe. So gibt es zwei verschiedene Ansichten darüber, warum Eigendorf am Unfalltag stark alkoholisiert gefahren ist. Die eine hat Bernd Franke 2008 in einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ formuliert. „Lutz war nicht fit, deshalb wieder nur Ersatz“, sagte der frühere Braunschweiger Nationaltorhüter. „Er hat schon nach dem Spiel in unserer Vereinskneipe einige gekippt, ist dann noch in eine andere Kneipe. So war er, der Lutz.“

Nach der anderen Ansicht hat die Stasi den hohen Alkoholspiegel bewirkt, möglicherweise durch Vergiften. Komplett wird die Theorie eines Anschlags durch den Hinweis, Eigendorf sei an einer gefährlichen Stelle seines Fahrwegs „verblitzt“, also geblendet worden. Der Zeitpunkt des Anschlags sei auch nicht zufällig gewählt gewesen, denn Eigendorf habe wenige Tage zuvor in der ARD ein DDR-kritisches Interview gegeben – direkt vor der Berliner Mauer. Zuvor hatte er bei einem Europapokalspiel in Hamburg versucht, die BFC-Kabine zu betreten, Reporter und Kameras im Gefolge. Die Mannschaft des BFC Dynamo erfuhr von Eigendorfs Tod aus der „Bild“-Zeitung während eines Gastspiels in Stuttgart. Der damalige Trainer Jürgen Bogs sagte dem Tagesspiegel: „Da stand was von einem Unfall und 2,2 Promille, da wollen wir uns mal nichts vormachen. Wir kannten ja den Lutz.“

Angeblich wollte die Stasi bei Eigendorf ein Zeichen setzen und weitere Fluchtwillige abschrecken. Sollte das der Fall gewesen sein, dann ging der Plan nicht auf. Gut ein halbes Jahr später setzten sich die BFC-Spieler Dirk Schlegel und Falko Götz während einer Europapokalreise vom BFC ab. „Zu DDR-Zeiten war Lutz’ Tod bei uns nie ein Thema“, sagt Schlegel, „mit wem hätten wir denn darüber reden sollen?“ Auch er sei zunächst von einem Unfall ausgegangen. Ein Blick in seine Stasi-Akte habe seine Meinung jedoch geändert. „Unglaublich, welchen Aufwand die betrieben haben, um über uns informiert zu sein“, erzählt Schlegel. „Heute glaube ich schon, dass die Stasi bei Lutz’ Tod ihre Finger im Spiel hatte.“

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