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© AFP

Maradona by Kusturica: Diego, der Revolutionär

Mit Fidel Castro ist er befreundet. Die Geburtstage seiner Kinder feierte er im Drogenrausch. Und Fußball spielte er fast göttlich. Nun ist Maradona als Trainer zurück. Und als Filmstar. Emir Kusturica hat ihn gefilmt, auch er ein Verrückter.

Emir Kusturica hat ihn gefilmt, auch er ein Verrückter

Das Spiel auf der Leinwand dauert genau 90 Minuten ohne Nachspielzeit, es ist schon fast überstanden, da wird es noch einmal laut im Kinosaal. Die Kamera blendet zum Amerikagipfel nach Mar del Plata, zu Straßenschlachten und Plün derungen, Tränengas und splitterndem Glas. Es geht gegen Bush und die USA, im Hintergrund lärmen die Sex Pistols, und zwischendurch ist immer wieder Diego Maradona zu sehen. Dribbelnd, schießend, jubelnd. Emir Kusturica hat die Szenen zusammenmontiert, sozusagen als lateinamerikanische Variante eines alten RAF-Mottos, nach dem Ficken und Schießen bekanntlich ein Ding sind.

Das ist ein eher ungewöhnlicher Ansatz für eine Hommage an den besten Fußballspieler aller Zeiten. Über Diego Maradona sind ungezählte Filme gedreht worden, vor ein paar Wochen erst ist eine neue Live-Soap angelaufen, mit Maradona als argentinischem Nationaltrainer in der Hauptrolle. Am Mittwoch hatte Maradona als Nationaltrainer seinen Einstand, am Samstag nun erlebt Kusturicas Film im Berliner Babylon seine Deutschlandpremiere. Er heißt „Maradona by Kusturica“, was auf den ersten Blick eine Anmaßung ist, auf den zweiten aber perfekt zum Inhalt passt. Es geht auch um Maradona, vor allem aber um die Liebe des Regisseurs zu seinem Hauptdarsteller. Emir Kusturica spricht nicht nur den Kommentar, er spielt auch die zweite Hauptrolle; in vielen Szenen nimmt sich der bosnisch-serbische Filmemacher genauso wichtig wie das argentinische Fußballwunder, mindestens.

Ein Groupie verfolgt sein Idol, 90 Minuten ohne Nachspielzeit. Kusturica hat sich vor gut 25 Jahren in Maradona verliebt. Es geschah dies am 22. Oktober 1982, als der FC Barcelona im Europa pokal bei Roter Stern Belgrad antrat. Maradona schoss zwei Tore, darunter das vielleicht schönste seiner Karriere (gewiss, trotz England 1986). Über den halben Platz ist er gelaufen, bis zum Strafraum, und dann hat er den Ball mit einer unglaublichen Löffelbewegung hoch in den Belgrader Abendhimmel gehoben (sehr viel höher als der tragische Uli Hoeneß an selber Stätte bei seinem Elfmeter im EM-Finale 1976). Mit reichlich Schnee oben drauf fiel der Ball zurück ins Irdische und plumpste direkt hinter den Belgrader Torwart ins Tor. 120 000 Belgradern stockte der Atem.

An diesem Abend von Belgrad hat Kusturica für sich erkannt, dass dieser Mensch mehr sein muss als nur ein Fußballspieler. „Wäre Diego nicht Fußballspieler geworden, dann bestimmt ein Revolutionär“, flüstert Kusturica aus dem Off. Stolz hält Maradona seine Tattoos in die Kamera. Mao, Che und Fidel. Maradonas Freundschaft zu ihm ist bekannt, im Film sagt er, warum er Respekt vor dem kubanischen Commandante hat: „Porque tiene cojones“, weil er Ei…, na ja, weil er eben ein echter Mann ist. Dazu gibt es Filmaufnahmen von Maradonas Besuch auf Castros Kuba, man sieht ihn nächtens wie von Sinnen im Pool hüpfen und „Fidel! Fidel!“ singen.

Diese Bilder hat Kusturica nicht gedreht, ohnehin sind die schönsten Aufnahmen aus dem Archiv. Maradona als jonglierendes Kind, als dribbelndes Wunder, als Hand Gottes, alles schon tausendmal gesehen und doch immer wieder schön. Kusturicas Schnitt ist so atemberaubend wie früher Maradonas Soli auf dem Fußballplatz. Es gibt keine Handlung im eigentlichen Sinne. Sinn und Zweck des Bilder-Stakkatos ist es, Diego Armando Maradona zu preisen. Das Gesamtkunstwerk – komponiert aus einem begnadeten Fußballspieler, unerschrockenen Rächer der Unterdrückten und Kämpfer für Frieden und Freiheit.

Eine der ersten Einstellungen zeigt Kusturica, wie er in Buenos Aires landet und weiterfährt zu einem unscheinbaren Apartmenthaus, er drückt auf einen anonymen Klingelknopf, „hi, it’s Emir with the crew“. Oben empfängt ihn Maradona im barocken Gewand, die Oberflächlichkeit ist ihm ins aufgedunsene Gesicht geschrieben, was soll’s, mal wieder ein Kamerateam. Am nächsten Morgen wartet Kusturica vor der Haustür, und er fühlt sich nicht wohl, „ich bin wie ein Paparazzo, der die Bilder eines Stars an den Boulevard verkaufen will“.

Die große Kunst des Regisseurs besteht darin, dass er bis zum Schluss dieser kamerabewehrte Voyeur bleiben wird und dabei doch schafft, was ein echter Paparazzo nie schaffen wird. Er lässt Maradona Geschichten erzählen, wie dieser sie noch nicht mal in seiner größenwahnsinnigen Autobiografie „Yo soy El Diego“ erzählt hat. Das ist manchmal anrührend, etwa wenn es um die Kindergeburtstage seiner beiden Töchter geht, Maradona hat sie im Kokainrausch erlebt, er schämt sich dafür. Unfreiwillig komisch wirkt er beim Aufklären der großen Weltverschwörung gegen ihn und den argentinischen Fußball. Und bei seinen Tiraden gegen die USA im Allgemeinen und George Dabbelju im Besonderen fragt man sich schon, ob er nicht ein bisschen zu viel vom weißen Pulver geschnupft hat. All das aber relativiert nicht Kusturicas großen Erfolg. Er hat Maradona das Herz ge öffnet.

Dieser Erfolg hat seinen Preis. Kusturicas Kamera ist nicht das unbestechliche neutrale Auge. Der Regisseur macht sich zum Komplizen, und er tut das nur allzu gern. Seit er während des jugoslawischen Bürgerkrieges eine irritierend einseitige Position zugunsten Milosevics bezogen hat, ist Kusturica in der internationalen Szene ein Outcast, ein Peter Handke der Filmkunst. Beim Filmfestival in Cannes, wo der Film außerhalb des Wettbewerbs lief, hat Kusturica gesagt: „Ich komme aus einem der 24 Länder, das nach 1954 von Amerika mit Bomben beworfen wurde, Serbien.“ Und: „Als ich mich mit der politischen Einstellung Diegos in dem Film identifiziert habe, habe ich den gemeinsamen Sinn entdeckt.“

Dieser gemeinsame Sinn offenbart sich Kusturica in Maradonas berühmtesten Toren, den beiden gegen England bei der WM 1986. Das eine, den Sololauf um die halbe englische Mannschaft herum, zeigt Kusturica gefühlte hundertmal, dazu spielen die Sex Pistols „God Save The Queen“. Das andere, erzielt mit göttlicher Hilfe gegen die Regeln der Sterb lichen, wertet Kusturica ungefragt als gerechte Revanche für den (nebenbei: von Argentinien vom Zaun gebrochenen) Falklandkrieg. Auch dieses Handtor zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Alle paar Minuten kickt ein Zeichentrick-Diego die Mächtigen der Welt nieder. Erst die Queen, dann Prince Charles, später auch Tony Blair und George Bush. Bestraft wird, wer böse ist.

Zur Belohnung für so viel Willfährigkeit führt Maradona seinen serbischen Freund durch das blau-gelbe Fahnenmeer von La Boca, sie spielen zusammen Fußball, machen Musik und gehen tanzen. Eher nebenbei läuft die Kamera mit, Kusturica schneidet Szenen seiner früheren Filme hinein, er philosophiert über Tango und Prostitution, über Gemeinsamkeiten von Argentinien und Serbien, ja von Maradona und sich selbst. Er überredet ihn zu einer Reise nach Belgrad, und Don Diego zeigt am Originalschauplatz, wie er damals das großartige Tor gegen Roter Stern geschossen hat. Am 22. Oktober 1982, als Emir Kusturica sich in Diego Maradona verliebte.

„Maradona by Kusturica“ läuft am Samstag (20 Uhr) und Sonntag (18 Uhr) im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Maradonas Jahrhunderttor in Belgrad: http://www.youtube.com/watch?v=T8lO4CSbbbw

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