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© EPA

Sport: „Mein Wort hat jetzt mehr Gewicht im Team“

Formel-1-Pilot Mark Webber über seinen langen Weg zum ersten Sieg, den piependen Nagel im Bein und Sebastian Vettel

Herr Webber, piepen Sie eigentlich?

Ob ich was mache?

Piepen – bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen.

Ach, das Bein? Ja, manchmal.

Der Titannagel, der Ihren rechten Unterschenkel seit einem Fahrradunfall im vorigen Jahr zusammenhält, ist immer noch drin. Wie erklären Sie dem Personal das?

Ich zeige die Beule und die Wunden.

Ist es leichter geworden, seit Sie auf dem Nürburgring ein Grand-Prix-Sieger sind?

Nein, ich denke, die Leute freuen sich einfach für mich. Sie wissen, wie viel ich investiert habe und dass es etwas ganz Besonderes für mich war, mein erstes Rennen zu gewinnen. Man fühlt sich wirklich besonders in so einem Moment. Jeder sagte: Wenn es passiert, wird es fantastisch sein. Und es war fantastisch, ein ganz spezieller Tag.

Kriegen Sie jetzt einen besseren Platz im Restaurant?

Natürlich habe ich danach sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Ich versuche aber, diese Position nicht auszunutzen. Ich habe einen eineinhalbstündigen Grand Prix gewonnen, das hebt meine Welt nicht aus den Angeln. Außerdem ändert sich das schnell. Bald wollen sie wieder jemand anderen gewinnen sehen.

Sie klingen sehr gelassen - wie jemand, der seinen Traum verwirklicht hat.

Ich habe jetzt alles außer dem WM-Titel. Ich habe eine schnellste Rennrunde, Podestplätze, einen Sieg, eine Poleposition. Aber das große Ding wird natürlich das schwerste. Und ich habe ja auch keinen Teamkollegen, der irgendwo im Mittelfeld rumfährt. Er ist neben mir Spitze.

Ist das nicht unfair, dass sich alles auf den Sieger und Resultate konzentriert und Ihre harte Arbeit in all den Jahren zuvor kaum gewürdigt wurde?

Bis zu einem gewissen Grad muss man schon erfolgreich sein, damit die Leute das auf die gute Arbeit zurückführen können. Und ich weiß, wie wankelmütig die Leute sind. Sie ändern ihre Meinung mit dem Wind. Das ist in der Formel 1 genauso wie in jedem Sport. Nehmen Sie mal Robert Kubica. Voriges Jahr war er umlagert, weil er um die WM mitfuhr. Jetzt funktioniert sein Auto nicht, und kaum noch einer spricht mit ihm.

Hat Ihr Wort mehr Gewicht bekommen?

Vielleicht im Team, wenn man vorn ist und gewinnt. Das Team wusste immer, dass ich das Auto am Limit bewege und mein Bestes versuche. Aber wenn du permanent eine halbe Sekunde langsamer bist als dein Teamkollege, dann konzentriert es sich natürlich auf ihn, weil er das Auto besser ausreizt.

Sie sind 32 Jahre alt. Können Sie Ihren Sieg mehr genießen als wenn Sie wie Lewis Hamilton mit 22 Weltmeister gewesen wären?

Auf jeden Fall. Als Lewis das Rennen in Ungarn gewonnen hatte, sagte er zu mir nach der Siegerehrung: „Das war echt eine Ewigkeit. Ich war seit acht Monaten nicht mehr auf dem Siegerpodest.“ Ich habe nur geantwortet: „Oh Mann, willst du mit mir tauschen? Bei mir waren es fast acht Jahre.“

Möchten Sie mit Hamilton tauschen?

Es ist bestimmt auch nett, schon so früh in seiner Karriere so viel Erfolg zu haben. Aber ich denke auch, dass langer Atem und Konstanz sehr wichtig sind. Die ganz Großen im Sport sind immer über eine sehr lange Zeit an der Spitze. Nicht nur ein oder zwei Jahre, und dann bist du weg vom Fenster.

Wer früh hell brennt, verbrennt auch früher?

Ja, kann sein. Es ist nicht so leicht, das Gleichgewicht zu halten, wenn man jung und erfolgreich ist. Man ist dann von Menschen umgeben, die nur Ja und Amen zu einem sagen und dir nie widersprechen. Dazu hast du eine Menge Geld, das kann deine Mentalität verändern.

Ist es ungerecht, dass Ihr Teamkollege Sebastian Vettel mit 22 ein siegfähiges Auto hat, während Sie lange warten mussten?

Nein. Ich denke nicht so, manchmal ist es halt so. Um ehrlich zu sein: Vettel ist ein großes Talent. Er verdient es, in einem guten Auto zu sitzen.

Einen Tag vor Ihrem Sieg am Nürburgring war Vettel umlagert, Sie saßen allein am Tisch nebenan und haben gerufen: Hier ist noch Platz! Es hat an die Eifersüchtigkeit des Erstgeborenen auf den neugeborenen Bruder erinnert, der plötzlich die ganze Aufmerksamkeit bekommt. Viele entwickeln deswegen Eifersucht. Sie auch?

Da kommt wieder die Wankelmütigkeit. Er ist neu, er ist jung, er kommt aus Deutschland. Ich hatte zwei Journalisten, er hatte 40. Das ist halt so, er ist die aufregende Geschichte, die Leute bekommen schließlich gesagt, dass sie sich auf ihn stürzen sollen. Er kann nichts dafür, er kann nichts dagegen tun, er tut mir ja nichts Böses an.

Die Situation ist bizarr: Man muss gleichzeitig mit dem Teamkollegen arbeiten, um das Auto zu verbessern, und auch gegen ihn, weil er als einziger mit vergleichbarem Material fährt. Wie gehen Sie damit um?

Das Team fragt uns als Fahrerpaar, was die Hauptprobleme am Auto sind und was man machen kann. Wir sagen ihnen, was wir im Auto fühlen. Da kann es sein, dass Sebastian etwas anderes probieren will als ich. Vielleicht mag ich nicht, was er will, vielleicht mag er nicht, was ich will.

Wie regeln Sie das dann?

In Budapest hat er viel von meiner Wagenabstimmung übernommen, in Barcelona habe ich ein bisschen was von ihm übernommen. Im Endeffekt reden wir über die letzten eineinhalb Prozent, die den Unterschied zwischen seinem und meinem Stil ausmachen. Es ist wie eine Pyramide: Der größte Teil symbolisiert unsere gemeinsame Arbeit, an der Spitze macht jeder sein eigenes Ding.

Tut Ihr Nagel eigentlich noch weh beim Fahren?

Nein, alles in Ordnung. Nach dem letzten Rennen lasse ich mich röntgen, im Dezember soll er dann raus.

Wollen Sie sich überhaupt von ihm trennen oder ist er Ihnen als Talisman ans Herz gewachsen – wie ein guter Freund?

Es gibt einige Schrauben, die waren bei ein paar Podestplätzen dabei. Und einige andere beim Sieg. Der Hauptnagel hat mir die ganze Saison Gesellschaft geleistet.

- Das Gespräch führte Christian Hönicke.

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