zum Hauptinhalt

Sport: Menschlicher Porsche

100-m-Weltrekordler Maurice Greene über das Istaf und sein unvollendetes Meisterwerk

Am Freitag starten Sie beim Istaf. Welche Bedeutung hat das Meeting in Berlin für Sie?

Ich liebe es, dort anzutreten. Wie Zürich hat das Meeting jede Menge Geschichte zu bieten. Und natürlich wäre es eine fantastische Sache, in Berlin einmal den Weltrekord zu brechen. So wie es Jesse Owens getan hat.

In diesem Jahr gibt es keine großen Meisterschaften. Woher nimmt ein Olympiasieger und Weltmeister da seine Motivation?

Es ist ein sehr lockeres Jahr. Daher ging es mir zunächst darum, dass sich mein Körper von den anstrengenden Rennen der Vergangenheit erholt. Ich bin seit 1997 die Nummer eins, die vielen Wettkämpfe auf höchstem Niveau gingen ganz schön auf die Knochen.

Den Jackpot in der Golden League mit 50 Kilo Gold mussten Sie in dieser Saison schon früh abschreiben. Wurmt Sie das?

Ich renne nicht wegen des Geldes, sondern weil ich den Zuschauern etwas bieten will und ich meinen Sport liebe. Wenn jeder Jackpot-Sieger den ganzen Betrag bekommen würde, wäre es vielleicht die Sache wert. Ich halte es für keine gute Idee, wenn man nach sieben Golden-League-Triumphen das Gold mit jemandem teilen muss, der das gleiche in einer anderen Disziplin geleistet hat.

Vor einem Jahr haben Sie bei der WM in Edmonton trotz Verletzung in 9,82 Sekunden gewonnen. Wäre ein gesunder Maurice Greene einen Fabel-Weltrekord gelaufen?

In Edmonton habe ich mich nach ungefähr 60 Metern am Oberschenkel verletzt. Hätte ich gesund ins Ziel laufen können, wäre eine unglaubliche Zeit herausgekommen. Sicher schmerzt der Gedanke daran, denn dies hätte mein großes Meisterwerk sein können. Der perfekte Lauf! Meinem Coach John Smith hatte ich vorher gesagt, dass ich bei 9,6 Sekunden aufhören werde. Ich denke, deshalb hat mich Gott das Rennen nicht gesund beenden lassen. Er wollte nicht, dass ich bereits jetzt in den Ruhestand trete.

Hätten Sie wirklich aufgehört?

Wenn ich unverletzt geblieben wäre, wäre die Zeit mein Ruhestands-Ticket gewesen. Bei 9,6 Sekunden hätte ich Schluss gemacht. Ich bin ein Typ, der sich stets steigern will. Wenn ich etwas erreiche, von dem ich glaube, dass ich es nicht mehr verbessern kann – warum soll ich dann weitermachen?

Haben Sie Pläne für die Zeit danach?

Ich werde viele Sachen versuchen. Als Model habe ich ja schon gearbeitet. Die Schauspielerei würde mich sicher reizen. Die Hände in den Schoß legen passt einfach nicht zu mir. Ich muss irgendetwas machen.

Die 100 Meter sind eine enorme Belastung für den Körper. Sie beschleunigen ja wie ein menschlicher Porsche.

Stimmt. Die Beanspruchung ist groß, der Körper ist einem hohen Druck ausgesetzt, die Muskeln und Gelenke müssen einiges aushalten. Bei den olympischen Trials 2000 in Sacramento war ich an der rechten Leiste verletzt, dann erwischte es mich in Edmonton am linken Oberschenkel. Zum Glück passiert so etwas nicht zu oft. Im Rennen versuche ich so relaxt wie möglich zu sein. Ich lasse mich von meinem Gefühl leiten, vom Start bis zum Ziel. Es ist ein schwer zu beschreibender Bewegungsfluss, der Geist und Körper vereint.

Ihr Markenzeichen ist es, vor dem Start finster dreinzuschauen und Imponier-Bewegungen zu machen. Wollen Sie damit die Konkurrenten einschüchtern?

Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was ich vor dem Start tue. Diese Minuten auf der Bahn bin ich eine andere Person. Es gibt mich zweimal, so wie Dr. Jekyll und Mr. Hide.

Das Gespräch führte Stefan Liwocha

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false