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Die Angst der Mauer vor dem Freistoß. Die Brasilianerinnen Cristiane, Ester und Maurine erwarten den Schuss.

© dapd

Sport: Mit Ausputzerin, ohne Glanz

Mitfavorit Brasilien kann beim 1:0 über Australien die Erwartungen nicht erfüllen. Die Abwehr zeigt technische Mängel – der Trainer greift zu den ganz alten Fußball-Methoden

Die Samba-Kapelle war mit ihren Trommeln und Tamburine fast schon an den Reportern vorbeigezogen, als sich die Frau an der Triangel doch noch ein wenig widerwillig aus dem musikalischen Gänsemarsch löste. Es war Marta anzusehen, dass sie nach dem glücklichen 1:0 (0:0)-Sieg gegen Australien mit ihren brasilianischen Mitspielerinnen und Mitmusikantinnen lieber direkt in Richtung Mannschaftsbus und Hotelbett getanzt wäre. Doch als fünfmalige Weltfußballerin des Jahres ist die 25-Jährige gewohnt, dass sie eine gefragte Gesprächspartnerin ist. „Wir wussten, dass das erste Spiel sehr schwierig werden würde“, sagte Marta. „Endlich hat diese WM angefangen, wir haben so lange darauf hingearbeitet.“

Nicht nur wegen Martas weltweit einzigartiger Klasse gelten die Brasilianerinnen als einer der WM-Favoriten. Die technischen Fähigkeiten der Flügelstürmerin wollten sich auch viele Mönchengladbacher am Mittwochabend nicht entgehen lassen, die Zuschauerzahl von 27 258 war die bisher zweitgrößte dieser WM nach dem Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Kanada in Berlin. Allerdings konnten die Vizeweltmeisterinnen die Erwartungen nicht erfüllen. Außenseiter Australien zeigte das beherztere Spiel – und das taktisch deutlich ausgereiftere. Die Brasilianerinnen verblüfften das Publikum damit, dass sich eine ihrer drei Abwehrspielerinnen bei Ballbesitz des Gegners abwechselnd als Libera zehn bis 20 Meter weit hinter ihre beiden Kolleginnen zurückfallen ließ. „Sie spielen nicht nur mit zwei Manndeckerinnen, sondern gehen auch im Mittelfeld oft in Manndeckung“, sagte Australiens Trainer Tom Sermanni und versuchte, nicht herablassend zu wirken. „Es ist schon ungewöhnlich, im modernen Fußball sieht man das selten. So haben sie aber schon 2007 gespielt.“

Brasiliens Trainer Kleiton Lima hatte sich bereits vor dem Anpfiff als Anhänger des Fußballs ganz alter Schule erwiesen, als er in Jogginghose an der Seitenlinie erschienen war – im Spiel sorgte sein antiquiertes Abwehrschema für jede Menge Platz im Mittelfeld. Den konnten die „Matildas“, wie die australischen Fußballerinnen in ihrer Heimat genannt werden, immer wieder für Vorstöße nutzen. Allerdings fehlte es ihnen an Präzision und technischen Fähigkeiten, um die Schwäche im System ihrer Gegnerinnen zu bestrafen. „Wir haben nicht nur zugesehen, wie Brasilien Fußball spielt, sondern selbst attackiert“, sagte Australiens Torhüterin Melissa Barbieri stolz. „Leider reicht eben manchmal ein Tor, um das Spiel zu verlieren.“

Wenn Brasilien selbst einmal gefährlich wurde – was höchst selten geschah – war meist Marta beteiligt. Sie glänzte mit viel Übersicht, kam aber selbst kaum in Schussposition. „Wir hatten sie gut unter Kontrolle“, sagte Australiens Coach Tom Sermanni. „Man kann sie nicht 90 Minuten lang festbinden, aber sie hat heute kein einziges Mal auf das Tor geschossen.“ Auf der Gegenseite hätte die emsige und technisch starke Lisa De Vanna in der ersten Hälfte treffen müssen, schloss aber zu hastig ab, nachdem sie der brasilianischen Kapitänin Aline den Ball abgejagt hatte und allein auf Torhüterin Andreia zugelaufen war. Brasiliens Verteidigerinnen wirkten gedanklich und auch technisch nicht immer auf der Höhe, angesichts der hohen Fehlerquote machte Kleiton Limas System der tief stehenden Absicherung plötzlich Sinn.

Kurz nach der Pause verließ die sonst sehr disziplinierten Australierinnen kurz die Konzentration. Anstatt zu klären, sahen mehrere Verteidigerinnen zu, wie Cristiane den Ball an der Strafraumgrenze mehrmals eher unkontrolliert herumjonglierte und anschließend zu Mittelstürmerin Rosana bugsierte, die zum 1:0 traf. Nach der Führung wurde Brasilien selbstbewusster, die Australierinnen gaben sich aber nie auf, waren im Abschluss aber viel zu harmlos. In der Schlussphase schienen auch die Kräfte beim Favoriten zu schwinden, zwei Brasilianerinnen gingen mit Krämpfen zu Boden. Drei Minuten vor dem Schlusspfiff stürmte De Vanna nach einem erneuten Schnitzer der brasilianischen Abwehr zum zweiten Mal allein auf das Tor zu, scheiterte aber wieder an ihren Nerven. „Wir sind enttäuscht“, fasste der australische Coach das Spiel zusammen. „Am Ende hatten wir die Chancen, hier ein Unentschieden zu erreichen.“ Während die Brasilianerinnen schnell in die Umkleidekabine gingen, wurde Australien trotz der Niederlage vom Publikum bejubelt.

Heather Garriock, die in 122 Länderspielen für Australien schon viel erlebt hat, war auch eine Stunde nach dem Abpfiff noch nicht darüber hinweg, mit welcher Taktik ihre Mannschaft besiegt worden war. „Sie haben mit einer Ausputzerin gespielt“, sagte Garriock kopfschüttelnd, eine richtige Spielgestalterin werde die großen Räume vor der brasilianischen Abwehr zu nutzen wissen: „Jedes Team, das heute Abend zugeschaut hat, wird aus dem Spiel lernen.“

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