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Am Ziel. Sandro Cortese bejubelt seinen Sieg in Sepang, der ihn zum ersten Weltmeister der neuen Moto3-Klasse machte. Foto: Reuters

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Sport: Mit Herz und Hirn

Lange sah es aus, als würde Sandro Cortese nie ein Motorradrennen gewinnen – jetzt ist er Weltmeister.

Von Christian Hönicke

Berlin - Sandro Cortese gähnt ins Telefon, als er sein Gepäck am Flughafen von Kuala Lumpur aufgibt. Bis um vier Uhr morgens hat er mit seinem Team und seinen Eltern in Malaysia gefeiert. Nun ist er müde vom Jubeln und müde vom Reden, denn seit dem Wochenende klingelt sein Telefon unaufhörlich. Seit Sonntag ist er nicht mehr nur der Sandro, er ist Sandro Cortese, der Motorrad-Weltmeister.

Erst ein Satz aus der Vergangenheit reist Cortese aus dem Halbschlaf. Keine drei Jahre ist es her, da hatte der mäßig erfolgreiche Motorradpilot aus Berkheim in Oberschwaben gesagt, eine Freundin brauche er nicht – die würde ihm nur die ganze Energie rauben. Das hört sich nach einem Klatschthema an, doch Cortese weiß, dass mehr dahintersteckt. Er lacht kurz, dann antwortet er ernst: „Ich war vielleicht in der Vergangenheit nicht so weit und habe mit vielen Dingen nicht richtig umgehen können.“ Längst bringt er seine Freundin mit an die Piste, und das hat sich nicht gerade negativ ausgewirkt. „Sie gibt mir Energie. Ich war damals einfach jung und vielleicht nicht nur da zu verbissen.“

Wenn Sandro Cortese so erzählt, hört er sich an wie ein Opa, der von seinen Jugendsünden berichtet. Dabei ist er erst 22 Jahre alt – aber er hat in gewisser Weise auch schon eine ganze Karriere hinter sich. Als 15-Jähriger stieg er 2005 in die Motorrad-WM ein, ein ehrgeiziger Junge, in dem das Temperament brodelte. Das hat er von seinem italienischen Vater Antonio, der ihn mit zweieinhalb Jahren erstmals auf ein Moped setzte. Als der kleine Alessandro daran Gefallen fand, finanzierte der motorradverrückte Metallbauer die Rennsportkarriere seines Sohns. Bis weit in die WM-Zeiten hinein musste Papa Cortese seinen Sohn unterstützen, weil es nicht genügend Sponsoren gab.

Nicht nur die Geldgeber fehlten Sandro Cortese. In der rauen Motorradwelt war er anfangs ganz auf sich allein gestellt. Er galt zwar als durchaus talentiert, aber auch als zu launisch, chaotisch und nicht robust genug. „Ich hatte Höhen und Tiefen, ich war nicht allzu konstant“, sagt Cortese. Sechs Jahre ging es auf und ab, und es schien, als würde er niemals ein Rennen gewinnen. Aber wenn er auch manchmal zu verbissen fuhr und wieder im Kiesbett landete – er biss sich durch.

Denn langsam schälte sich im Verborgenen ein neuer Sandro Cortese aus dem alten heraus. Er reifte an sich selbst, nicht nur in Beziehungsfragen. „Im letzten Jahr hat sich schon angedeutet, dass ich richtig gut werde“, sagt Cortese. „Ich bin zwar immer der Gleiche geblieben, aber ich habe noch härter gearbeitet als vorher. Ich habe gelernt, diszipliniert und immer fleißig zu sein.“ Der Öffentlichkeit präsentiert wurde der neue Sandro dann beim Großen Preis von Tschechien vor einem Jahr, als er endlich seinen ersten Sieg holte. „Ich denke, Brno 2011 war der Knackpunkt meiner Karriere. Seitdem geht es eigentlich immer bergauf.“ In dieser Saison wurde aus dem einstigen Berg-und-Tal-Fahrer endgültig der dominierende Pilot seiner Klasse. „Die Erfahrungen, auch die schlechten, waren ein Schlüssel für den Titel“, sagt er. Vier Siege errang er auf seiner KTM, dreizehnmal fuhr er aufs Podest. Mit seiner stoischen Konstanz trieb er seinen Konkurrenten Maverick Viñales mitten im WM-Kampf dazu, die Saison frustriert zu beenden.

Ein Buddha auf zwei Rädern ist Cortese aber längst noch nicht. Verbissen, das kann er immer noch sein. Vor einer Woche in Japan hätte er schon Weltmeister werden können, als er übermotiviert in der letzten Runde einen Sturz fabrizierte. Danach schimpfte er wie wild auf seine Gegner, bis ihm einfiel, wer die Schuld daran trug: er selbst. „In Japan hat man gesehen, dass ich auch Italiener bin“, sagt Cortese. „Da habe ich etwas überreagiert.“

Dass sich die impulsive italienische Seite im Rennen gegen die nüchterne deutsche durchsetzt, kommt aber nur noch selten vor. „In den letzten Jahren bin ich konzentrierter, ruhiger und sachlicher geworden“, sagt Cortese. „Ich überlege mehr, und das hat mich auch so stark gemacht.“

Mit Herz und Verstand ist Sandro Cortese nun der erste Weltmeister der neuen Moto3-Klasse geworden. Den Aufstieg in die Moto2 in der kommenden Saison hat er, akribisch geplant, schon vorher festgezurrt. Zwei Rennen in dieser Saison verbleiben ihm noch. Lockeres Ausrollen? Nicht mit Cortese, weder mit dem alten noch mit dem neuen. „Auf Sicherheit fahren, das gibt’s bei mir nicht“, sagt er. „Ich fahre immer auf Angriff.“ Aber auch immer öfter mit Köpfchen.

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