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Sport: Nach dem Titel ist vor dem Titel

Die Bayern denken nur noch an St. Petersburg

Im ersten Moment war es fast so, als hätte sich Uli Hoeneß versprochen: „Wir fahren nach St. Petersburg“, sagte Hoeneß am Sonntagabend, „mit zwei Titeln im Rücken.“ Bislang war Hoeneß stets zurückhaltend gewesen, wenn man ihn auf die bevorstehende Meisterschaft des FC Bayern ansprach – doch nun, nach dem 4:1 gegen den VfB Stuttgart, hörte Hoeneß auf mit dem Understatement. Zwölf Punkte Vorsprung bei vier ausstehenden Spielen – die Meisterschaft ist nun entschieden, wenn auch noch nicht offiziell. Und deshalb widmeten sich Hoeneß wie alle anderen vom FC Bayern schon unmittelbar nach der Partie der nächsten Aufgabe: dem Uefa-Cup.

Am Donnerstag steht für die Bayern das Rückspiel im Halbfinale bei Zenit St. Petersburg an. Das Hinspiel endete 1:1, weshalb die Bayern nun wie schon beim Viertelfinale in Getafe zittern müssen um die angestrebte Finalteilnahme. Eben deshalb, so berichtete Hoeneß, wurde eine eigentlich für Sonntagabend geplante Feier abgesagt: „Ich habe in der Mannschaft rumgefragt, und da haben alle gesagt, dass sie jetzt nicht feiern wollen, sondern sich voll auf Donnerstag konzentrieren.“ Hoeneß klang wie ein stolzer Vater nach dem ersten Wort des Sohnemanns. Die Söhne hatten ihn ja auch glücklich gemacht: Es wäre schon schön gewesen zu feiern, sagte etwa Bastian Schweinsteiger, „aber es wäre so oder so nicht gegangen“ wegen des Spiels in St. Petersburg. Genau das zeige den guten Charakter der Mannschaft, findet Hoeneß, und das sei wichtig für das Rückspiel. So wie sie sprachen, schien es, als sei am Sonntag schon Donnerstag gewesen.

Alle sprachen unisono von jenem Halbfinal-Rückspiel, und das so oft, dass man irgendwann anfing zu glauben, dass es in der Kabine tatsächlich seit Tagen um nichts anderes geht als um diese Begegnung. Vor allem, und das ist ja das Paradoxe, für die Stars und Stützen dieser Mannschaft, Luca Toni und Franck Ribéry, ist das Spiel in St. Petersburg ein besonderes: Beide wollen unbedingt die Chance nutzen, ihren ersten internationalen Vereinstitel zu holen. Für die Bayern kann das nur gut sein.

Gegen den VfB Stuttgart hatten beide mal wieder gezeigt, wie groß ihre Bedeutung für den Erfolg des FC Bayern ist. Wenngleich Toni nur ein Tor gemacht hatte, für seine Verhältnisse ja eher wenig. „Ich glaube, wir müssen uns Gedanken machen, was mit Luca los ist“, sagte daher Karl-Heinz Rummenigge, und dann schmunzelte er. Überheblich aber wurden die Bayern nicht, Hitzfeld stellte fest: „Ich denke, wir sind 60 zu 40 Favorit.“ 60 zu 40 heißt: Die Bayern sind zuversichtlich, aber eben nicht mehr so naiv optimistisch wie noch vor dem Spiel in Getafe. Sie haben dazugelernt im Uefa-Cup, jenem kleinen Wettbewerb, den sie einst verhöhnten. Genau dieser Lerneffekt könnte nun die Stärke der Münchner begründen.

Zudem werden sie wohl in Bestbesetzung auftreten: Oliver Kahn sagte, er gehe davon aus, dass er am Donnerstag wieder spielen werde. Am Sonntag noch hatte er pausiert, ebenso wie einige andere Stammkräfte. Ein kleines Fragezeichen steht nur noch hinter dem Einsatz von Philipp Lahm. „Er hat noch ein bisschen Probleme“, sagte Hitzfeld, „aber er wird wohl spielen können.“ Lahm wird die Zähne zusammenbeißen, jeder will unbedingt dabei sein am Donnerstag – damit die Feier dann doch stattfinden kann.

Michael Neudecker[München]

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