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Nachdenklich. Weltmeister Lewis Hamilton auf dem Hungaroring.

© Reuters

Nach dem Tod von Jules Bianchi: Mehr Respekt vor dem Risiko in der Formel 1

Der Tod von Jules Bianchi stößt in der Formel 1 eine neue Sicherheitsdebatte an.

Eine Schweigeminute am Sonntag vor dem Start, Gedenk-Aufkleber auf Autos und Helmen, bei Ferrari in der Box eine spezielle Wand, die Jules Bianchi gewidmet ist: So erinnert die Formel 1 auf dem Hungaroring an den vergangenen Samstag in Nizza verstorbenen Franzosen, der neun Monate nach seinem schweren Unfall beim Grand Prix von Japan seinen damals erlittenen Kopfverletzungen erlag.

Viele Fahrer waren noch am Dienstag bei der Beerdigung. „Sich von Jules zu verabschieden, war für alle von uns sehr hart“, sagte Weltmeister Lewis Hamilton und ergänzte: „Vor unserem Sport liegt auch ein harter Weg. Wir müssen die Risiken respektieren und als Fahrer das auch jedes Mal dann akzeptieren, wenn wir ins Auto steigen.“ Ein Punkt, den der Brite damit zumindest indirekt anspricht: Die extremen Fortschritte in Sachen Sicherheit in den vergangenen 20 Jahren hatten einen ungewollten Nebeneffekt. Angesichts immer besserer Streckenabsicherung, widerstandsfähigerer Autos und neuer Lösungen wie hochgezogener Cockpitwände ging die Risikobereitschaft der Fahrer nach oben, man fühlte sich ja sicher. Das trifft bei aller Tragik auch im Fall Bianchi zu. Der Franzose war zu dem Zeitpunkt, als er in Suzuka sein Auto aus der Kontrolle verlor, mit 213 Kilometern in der Stunde unterwegs, wie die offiziellen Daten der Unfalluntersuchung des Weltverbandes Fia zeigen. In einer Zone mit doppelt geschwenkten gelben Flaggen, was bedeutet: „Langsam fahren und zum Anhalten bereit machen“.

Dass der Ruf nach immer weiteren technischen Sicherheitsverbesserungen im Einzelfall stets Grenzen haben wird, zeigt die genaue Analyse des Bianchi-Crashs. Der britische Unfallforscher Andy Mellor, der für die Fia-Sicherheitskommission arbeitet, erklärte jetzt anhand der vorliegenden Daten den kompletten Unfallhergang. Danach wirkte bei dem ersten Aufprall des Marussia auf die Rückwand des Bergungstraktors eine G-Kraft von 55,8. Das hätte Bianchi nach allen Erfahrungswerten wahrscheinlich nahezu unverletzt überlebt.

Lewis Hamilton sagte: "Vor unserem Sport liegt auch ein harter Weg"

Bianchi aber hatte großes Pech. „Das Problem lag darin, dass der Marussia zum Teil unter den Vorbau des Krans tauchte und dabei von oben gegen den Boden gedrückt wurde“, sagte Mellor. „Das wirkte wie eine Bremse mit einer abrupten Verzögerung. Und genau in diesem Prozess fand der Kontakt zwischen Helm und Kran statt.“

Zunächst wurde von den G-Sensoren in den Ohrenstöpseln eine Verzögerung von 92 g ermittelt – eine Zahl, die kurz nach dem Unfall kommuniziert worden war. Offenbar sind diese aber im entscheidenden Augenblick verrutscht. Berechnungen haben mittlerweile ergeben, dass der Kopf mit 254 g verzögert wurde. „Das ist so, als hätte man das Auto aus 48 Metern Höhe auf den Boden fallen lassen. Ohne Knautschzone.“

Viele Sicherheitsexperten brachten einst die „Glaskuppeln“ über den Cockpits, wie in Militärflugzeugen, ins Gespräch. Hätte das Jules Bianchi geholfen? Peter Wright, der Chef der Fia-Sicherheitskommission, muss derartige Vermutungen enttäuschen: „Das Auto wäre dann vom Dach aufgehalten worden. Der Kopf hätte nicht den Kran, sondern das Dach getroffen. Mit dem gleichen Ergebnis.“

Auch eine bessere Absicherung der Bergungsfahrzeuge wurde damals gefordert – für Wright unrealistisch: Um einen entscheidenden Unterschied zu machen, „hätte man sechs Lagen Reifen um den Kran drapieren müssen – und um das Safety-Car und das Medical-Car ebenfalls, weil man auch diese hätte treffen können“. Die realistischere Lösung, um solche Situationen zu vermeiden, hat man ja in der Formel 1 bereits eingeführt: das virtuelle Safety-Car, das die Fahrer zwingt, an Unfallstellen langsam zu fahren. Das sieht auch Paddy Lowe, technischer Direktor von Mercedes, so – er ist aber auch der Ansicht: „Motorsport kann nie ohne Risiko sein.“

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