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Fanmeile

© dpa

Nationalspieler auf der Fanmeile: Geklonte Träume

Kerner moderiert, Pocher singt, Podolski schüttet ihm Bier über den Kopf. Hunderttausende sehen auf der Berliner Fanmeile und an den Bildschirmen zu. Es soll so sein wie vor zwei Jahren, beim WM-Sommermärchen. Aber etwas fehlt. Die Stimmung ist alles, nur eines nicht: ausgelassen

Nun ruht der Ball. Der Pop regiert. Und die Nation zittert, bibbert, fiebert, der eine Teil vor den Fernsehern, ein nicht unbeträchtlicher Teil in Berlin vor dem Brandenburger Tor, wer wohl wird es sein, wer, Monica Lierhaus spricht die drängende Frage im Fernsehen aus: „Wer wird wohl als Erster aus dem Bus steigen?“

Da ist das erste Malheur schon geschehen. Die Flughafenfeuerwehr in Tegel hatte sich eine so nette Begrüßung ausgedacht, hatte zwei Löschwagen aufs Rollfeld gefahren, um die Maschine, die magische Maschine, die mit dem wertvollen Inhalt, mit einem Wasserbogen zu begrüßen.

Hat aber nicht auf Anhieb geklappt, war nur eine Maschine mit ganz gewöhnlichem Inhalt, die zunächst benetzt wurde. Kann ja mal passieren, so ein Irrtum. Aber gegen 14 Uhr trifft der Wasserstrahl dann die richtigen, ja, da sitzen sie drin, die Helden von Wien, die geschlagenen Helden, wie man wohl korrekterweise hinzufügen muss. Und dann steigen sie aus der Maschine, steigen ein in den Bus mit der Aufschrift „Danke, Fans“, mit Blumen beschenkt von andächtigen Stewardessen, sie rollen los, und dann die Frage: „Wer wird wohl als Erster aus dem Bus steigen?“

Es war doch so schön im Sommer 2006, als die deutsche Mannschaft am Tag nach ihrem Sieg im Spiel um Platz Drei die Fanmeile vor dem Brandenburger Tor besuchte. Da war herzliche Freude, Ausgelassenheit und Spontaneität. So soll es wieder sein, warum nicht, da doch die Mannschaft diesmal sogar Zweiter geworden ist? Allein, ist Spontaneität planbar?

Es ist dann ganz banal Jogi Löw, der Trainer, der als Erster den Bus verlässt und nüchtern, sachlich, ja, vielleicht mit einem Hauch von Schüchternheit im Gesicht zum aufgestellten Stehpult schreitet, auf dem das Goldene Buch der Stadt Berlin auf seine Unterschrift wartet. Hinterdrein tritt der Rest des deutschen Europameisterschafts-Trosses zur Unterschrift, Oliver Bierhoff, der Manager, mit gewohnt geschäftiger Miene, Jens Lehmann, der Torwart, leicht verkniffen, wie auch alle anderen ihren so brennenden Wunsch, mit den Fans noch ein Fest zu feiern, geschickt verbergen. Einzig Michael Ballack lächelt offen, verziert von einem hübschen Pflaster über dem Auge, seinem Souvenir vom Finale.

Gut, der Fröhlichkeit vor dem Tor, vor der Bühne, da, wo die Fans stehen, Schüler, Kinder, Familien, tut das keinen Abbruch. Auch nicht der von Monica Lierhaus und Johannes B. Kerner, die die Veranstaltung moderieren wollen und sollen, dabei aber einen Tick zu laut brüllen, um glaubwürdig zu sein. Vielleicht wollen sie aber auch einfach nur den Wunsch der Fans erfüllen, die hatten „lauter, lauter“ gebrüllt, weil die Mikrofone in den ersten Minuten sensibel genug fürs Fernsehen waren, aber nicht stark genug für 100 000 Fans unter freiem Himmel.

Das Sommermärchen setzt sich fort? Oder wie „Revolverheld“ auf der Bühne singend behauptet: „Dieses Jahrharhaar, geht das Fußball-Wunder weiter“? Das Sommermärchen, das war 2006, es lässt sich kaum wiederholen, kopieren, nachäffen. Damals waren die Fans nicht nur Fans, sondern auch Gastgeber, und wie sie das machten, leicht und offenherzig, darüber waren sie selbst am meisten überrascht.

Vielleicht liegt es auch an der Niederlage gegen die Spanier, obwohl sich die deutsche Mannschaft dafür nicht zu schämen braucht. Vielleicht macht den Unterschied aus, dass die Spieler vor zwei Jahren zwar enttäuscht waren vom verpassten Finale, aber stolz auf ihren siegreichen Abschluss des WM-Turniers und euphorisiert von der wahrlich überschäumenden Stimmung im Land und auf der Fanmeile. Es wurde damals allerdings nicht ständig darauf hingewiesen, dass diese Fanmeile die längste der Welt ist, dass jeder Mensch sich ganz doll freut und alle einfach super drauf sind.

Am Montag hingegen wirkten die Feierlichkeiten doch bemüht, so als habe Johannes B. Kerner zusammen mit dem Deutschen Fußball-Bund Lockerheit befohlen. Der Funke, der in den vergangenen drei Wochen durchaus immer wieder übersprang vom Spiel auf den Bildschirmen und Leinwänden auf die Menschen davor, der sprang gestern nicht. Nach und nach wurden die Spieler auf den Laufsteg geholt. Philipp Lahm, der Liebling der Nation, der auch umjubelt wurde , lief schnellen Schrittes an den Bühnenrand, winkte kurz, drehte sich um und ging in die Kulisse, wie ein Model auf dem Laufsteg, das die falsche Hose anhat.

Natürlich sagten sie alle ihre Sprüche auf, wie toll und überwältigend die Atmosphäre sei, und Per Mertesacker, der Abwehrspieler meinte, dass sie zwar „eine harte Nacht hinter sich hätten, aber das hier muss man erleben“. Aber er machte dabei ein Gesicht, als hätte ihn Andrés Iniesta, der fulminante Spanier, schwindelig gespielt, so als müsste er eben das nicht erleben.

Es kam Lukas Podolski auf die Bühne, jener Podolski, der nach dem Spiel gegen die Türkei per Stage Diving ein Bad in der Menge genommen hatte. Auch er absolvierte artig sein Pensum, sprach seinen Dank aus für die tolle Unterstützung, und ganz gewiss meinte er das auch so und sehr ehrlich. Es war dann allerdings mal wieder Johannes B. Kerner, der ihm Spontaneität auferlegte: „Du hast doch den Fans sicher auch noch etwas zu sagen“.

Woraufhin der Kerl, zum Vergnügungswart der Mannschaft ausgerufen, zum Mikrophon griff, vortrat und von den Fans „gebt mir ein H“ forderte, „gebt mir ein U“, und als er dann alle Buchstaben für ein „Humba, humba täterä“ zusammen hatte lossang. Es lag sicher nicht daran, dass Podolski nicht singen kann, warum auch bei diesem Vortrag die Stimmung keinen Siedepunkt erreichte. 20 Sekunden, dann verstummte der Gemeinschaftschor unter der Leitung von Podolski wieder.

Es enterte dann allerdings Oliver Pocher die Bühne. Auch er sang. „Schwarz und weiß?“ und „So gehen die Deutschen“, den Spruch den die Nationalspieler auf ihren T-Shirts trugen. Da mussten dann alle mithüpfen. Und wer nicht unten im Fan-Pulk stand und sich mitreißen ließ, konnte schon den Eindruck bekommen, dass die Veranstalter ein wenig unwürdig mit ihren Hauptdarstellern umgingen.

Möglicherweise ist eben das der Grund für das schale Gefühl, dass sich gestern vor dem Brandenburger Tor eine Veranstaltung abspielte und keine herzliche Umarmung, wie damals im Sommer 2006. Die DFB-Delegation hielt noch eine Transparent vor die Fans, „82 Millionen + 23 = 1 Team“, stand darauf, und das war sicher auch ehrlich erdacht. Nur beseelt, das war es nicht. Immerhin, einen hatte die Veranstaltung ein bisschen aufgeheitert. Der eben noch so grimmige Jens Lehmann hatte am Brandenburger Tor sein Lächeln wiedergefunden. „Die Enttäuschung wird erst in den kommenden Tagen, Wochen, Jahren kommen“, hatte der Torwart nach dem Finale noch gesagt, es war schließlich auch sein letztes Länderspiel – möglicherweise.

In dieser einen Stunde am Brandenburger Tor konnte die Enttäuschung sich nicht durchsetzen gegen allerlei andere Gefühle. Lehmann fing jedenfalls auf der Bühne an zu lächeln und ging hinterher mit einem schönen Stück Kuchen auf dem Teller und mit nach oben gezogenen Mundwinkeln zurück zum Bus.

Als das Gros der Mannschaft bereits wieder im Bus saß, nur Bastian Schweinsteiger noch draußen vielleicht nach dem Herzen von 2006 suchte und gerufen werden musste, „komm, endlich, Schweini“, da sprang Podolski im Bus zum Fahrersitz und drückte auf die Hupe. Dann rollte der Sommertraum von dannen. Ihn ereilte das gleiche Schicksal wie die Fans auf der anderen Seite der Bühne: Sie wurden wieder aufgenommen vom Berliner Montagnachmittagsverkehr. Und mit Bus und Fans verschwand die Annahme, dass von dieser EM so viel bleiben wird wie von der WM zwei Jahre zuvor.

Schön aber, dass Oliver Pocher vorher noch eine kräftige Bierdusche von Podolski abbekommen hatte.

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