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Saisonfinale: Neue Heimat im Vergnügungstempel

Nach vielen Ortswechseln und Namensänderungen hat das Saisonfinale der Tennisprofis in London vor 17.500 Zuschauern ein Zuhause gefunden.

Tausend Zuschauer drängen aus der Londoner Schwester-Halle der Berliner Großarena und folgen eilig dem kurzen Weg Richtung U-Bahn-Station. Es ist beinahe Mitternacht, und die letzten Züge zurück in die Stadt fahren gleich. Doch vor den riesigen Glastüren geht erst mal nichts mehr. Aus Sicherheitsgründen wurde der Eingang zur Station in North Greenwich gesperrt, die Bahnsteige sind bereits überfüllt. Das Murren hält sich in Grenzen, und die meisten Wartenden nehmen es gelassen, haben sie sich im Laufe der Woche bei den ATP World Tour Finals doch an das nächtliche Prozedere gewöhnt.

„Wir wollen ja, dass auch Berufstätige herkommen können“, erklärte Mitveranstalter Chris Kermode, warum die Abendsession bei der WM der acht besten Tennisspieler stets erst um 20.45 Uhr Londoner Zeit beginne. Doch der späte Beginn sorgte gerade bei den berufstätigen Tennisfans für Unmut, denen der ständige Blick auf die Uhr etliches der entspannten Unterhaltung raubte. Manche mussten die Arena gar schon weit vor Matchende verlassen. Wenigstens das erste Halbfinale konnte jedermann gestern in Ruhe genießen: Der Russe Nikolai Dawydenko warf Roger Federer mit 6:2, 4:6, 7:5 aus dem Turnier. Sein Finalgegner wurde zwischen Robin Söderling aus Schweden und dem Argentinier Juan Martin del Potro nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe ermittelt.

Auch wenn der große Favorit Federer beim Finale am Sonntag fehlen wird: Der Spieler- und Turniervereinigung ATP ist der Neustart der Tennisweltmeisterschaft geglückt, die nun unter dem sperrigen Namen ATP World Tour Finals laufende Veranstaltung hat wohl endlich ein würdiges Zuhause gefunden. Jahrelang war an diesem eigentlichen Premiumprodukt mit ständigen Orts- und Namenswechseln herumgedoktert worden, der Ruf litt. Bis 1989 wurde der Weltmeister noch beim Masters im New Yorker Madison Square Garden gesucht, danach in Frankfurt. In Hannovers Messehalle hieß sie dann ATP-WM, bevor man zur Jahrtausendwende als Masters Cup einen immer wechselnden Austragungsort anstrebte. Erst Lissabon, Sydney, Schanghai, dann Houston, doch in Texas musste man vertraglich zwei Jahre bleiben, und das Konzept wurde verworfen. Die letzten vier Jahre war erneut Schanghai der Ausrichter, doch während sich die Tennis-Vermarktung in Asien lohnte, ebbte das Interesse in Europa immer weiter ab. Auch bei den Spielern selbst, die aufgrund der weiten Reise manchmal dankend ablehnten. So kam im letzten Jahr auch Nicolas Kiefer als 37. der Weltrangliste als Ersatzmann nach Schanghai.

London liegt für die Spieler nach den Masters-Turnieren in Europa nun deutlich günstiger, und die britischen Zuschauer haben das Tour-Finale auf Anhieb aufgenommen. Nachmittags und abends sorgten je 17 500 Fans für eine Rekordkulisse, und sie zahlten bereitwillig zwischen 20 und 80 Pfund pro Ticket für ein Einzelmatch. Mehr als 250 000 Karten wurden verkauft, das entspricht laut Organisatoren der Größenordnung von „15 ausverkauften Led-Zeppelin-Konzerten“. Und selbst wenn den Briten in Wimbledon oft der Ruf anhaftet, etwas reserviert zu sein, so lassen sie sich von den amerikanisch anmutenden Dimensionen der Arena und der bunten Feierlaune anstecken. Wenn bei Herzschlag-Gebummere und den Klängen des Clash-Klassikers „London calling“ die Spieler mit Nebelschwaden auf dem Platz einlaufen, herrscht Stimmung wie in einem Fußballstadion. „Ich wusste nicht, dass die Briten so sein können“, musste auch US-Open-Sieger del Potro zugeben. In drei Wochen gibt Sir Paul McCartney hier ein Konzert, dann ist der Alltag zurück im größten Kuppelbau der Welt. Doch mindestens bis 2013 ist es auch für die besten Tennisspieler eine neue Heimat.

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