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Sport: Neue Mitte

Deutschlands Nationalmannschaft hält wieder mit, weil das Mittelfeld schneller und mutiger spielt

Berlin - Als sich Jürgen Klinsmann nachts um zwei im Hotelrestaurant von seiner Mannschaft verabschiedet hatte, ließ er sich von seinem Assistenztrainer Joachim Löw die Videokassette vom Spiel gegen Brasilien zustecken. Klinsmanns Lächeln war ein anderes als das der vergangenen fünf Tage in Berlin. Es war ein Lächeln aus seinem tiefen Inneren heraus. „Wir haben heute ein Gespür dafür bekommen, was wir leisten können“, sagte der Bundestrainer.

Schließlich drang ein lautes Lachen von nebenan herüber. Das Lachen gehörte Michael Ballack. Im Spiel gegen den fünfmaligen Weltmeister hatte der Mittelfeldspieler vom FC Bayern München nicht die großen Szenen, fiel eher auf im Bemühen, das 1:1 über die Zeit zu bringen. Was Ballack vielmehr zufrieden gemacht haben dürfte, formulierte er so: „Wir können mit den großen Gegnern mithalten.“ Korrekterweise hätte Ballack seinen Satz um das Wörtchen „wieder“ anreichern müssen. Fast vier Jahre lang wartet die deutsche Nationalelf auf einen Erfolg über eine Mannschaft aus den Top Ten der Weltrangliste. „Uns ist zwar kein Sieg gelungen, aber das war heute ein ganz wichtiger Baustein auf dem Weg bis zur WM 2006“, sagte Klinsmann. Das 1:1 gegen Brasilien ließe hoffen, „dass wir auf dem richtigen Weg sind“.

Die Deutschen können also wieder mithalten mit den Großen. Die wesentlichsten Indizien reanimierter deutscher Fußballstärke lieferte im ausverkauften Berliner Olympiastadion das Mittelfeld. Bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren war es der stärkste Mannschaftsteil, und so kann es wieder kommen. Vielleicht sogar noch besser. Gegen Brasilien rückte für den erneut nicht aufgebotenen Dietmar Hamann (Liverpool) Sebastian Deisler (FC Bayern) ins Team. Durch seine Begabung und Ballfertigkeit wird die Offensive flexibler und gefährlicher. Deisler habe sich bei seinem Comeback in der Nationalmannschaft fantastisch eingefügt, „er hat gleich Verantwortung übernommen und einen höheren Rhythmus angeschlagen“, sagte Klinsmann. Auch Bernd Schneider und Torsten Frings ließen sich von dieser Spielfreude und diesem Engagement anstecken. Sie boten weitaus bessere Leistungen als in den vergangenen Monaten, als sie noch Sicherheitsfußball in seiner langsamsten Form zeigten.

„Wir konnten zeigen, dass wir im Mittelfeld sehr gute Spieler haben, die dem Gegner auch mal ihr Spiel aufdrücken können“, sagte Michael Ballack. Selbst wenn der Gegner Brasilien heißt. Dessen Trainer Carlos Alberto Parreira gab später zu, „dass uns das deutsche Mittelfeld mit seiner Schnelligkeit in der ersten Halbzeit überlegen war“. Schon die Körpersprache der deutschen Spieler war eine andere. Klinsmann: „Selbstbewusst und energisch haben sie sich präsentiert. Mir war nie bange.“

Schnelles Passspiel war in den vorangegangenen Tagen ausgiebig geübt worden. Ebenso das Spiel ohne Ball. Immer wieder verlangten Klinsmann und Löw den Spielern hohe Laufbereitschaft, Mut, Willen und Elan ab. „Wir sollten mit voller Power ins Spiel gehen“, erzählte Ballack. Dass die Deutschen die brasilianische Führung schnell ausglichen, „kam uns natürlich gelegen“.

Am nächsten Morgen flog Jürgen Klinsmann in seine Wahlheimat Los Angeles – mit einem guten Gefühl im Bauch und einem guten Video unterm Arm.

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