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Für die olympische Ewigkeit. Die US-Athleten Tommie Smith (M.) und John Carlos recken am 16. Oktober 1968 die Faust.

© Anonymous/AP/dpa

Neues Buch über Olympia: Als Muhammad Ali einen Korb bekam

David Goldblatts Werk "Die Spiele. Eine Weltgeschichte der Olympiade" besticht durch einen kritischen Blick und zahlreiche Anekdoten. Eine Rezension.

Vorsicht, es geht um eine Bestleistung, und Bestleistungen sind bei Olympischen Spielen doch inzwischen immer verdächtig. Wer weiß schon, mit welchen Mitteln die Leistung zustande kam. Für David Goldblatt sollte man aber eine Ausnahme machen. Denn sein Buch „Die Spiele. Eine Weltgeschichte der Olympiade“ ist wirklich rekordverdächtig gut. Es ist, das wird die B-Probe genauso wie die B-Note bestätigen, eines der besten Sportbücher, die bisher geschrieben wurden.

Der britische Journalist hat die olympische Geschichte einfach noch einmal zerlegt und so zusammengesetzt, dass viele klare, einleuchtende, einprägsame Bilder entstehen. Man hat nicht den Eindruck, alles schon mal gelesen zu haben, was bei einem so großen Thema wie Olympia leicht der Fall sein könnte. Goldblatts Buch ist viel auf einmal. Eine Sammlung besonderer sportlicher Kurzgeschichten. Eine Geschichte der neuzeitlichen Olympischen Spiele. Eine Weltgeschichte des modernen Sports, die auch viel über die Entstehung von Sportarten sagt. Eine intensive Beziehungsgeschichte zwischen Sport und Politik, denn Goldblatt schreibt: „Olympia war seit jeher ein Ort, an dem politisches Kapital generiert und gehandelt wurde.“

Olympismus als "erhabene Tribüne des Sports"

Das Buch strapaziert diese politische Lesart nicht, und Goldblatt trumpft auch nicht mit Wissen auf, er erzählt einfach, für manche Anekdoten reicht ein Satz, etwa dass Muhammad Ali, damals noch als Cassius Clay, bei den Spielen in Rom 1960 mit Wilma Rudolph ausgehen wollte, sie ihm aber einen Korb gab. Goldblatt schreibt kritisch, aber nie gehässig, was in Zeiten nachlassender Strahlkraft Olympias ein Leichtes wäre. Den Olympismus nennt Goldblatt die „erhabene Tribüne des Sports“, und bei aller Kritik wird deutlich, welche historische Tiefe die Spiele haben.

David Goldblatt: Die Spiele. Eine Weltgeschichte der Olympiade. Verlag Die Werkstatt. 432 Seiten, 29,90 Euro.
David Goldblatt: Die Spiele. Eine Weltgeschichte der Olympiade. Verlag Die Werkstatt. 432 Seiten, 29,90 Euro.

© Die Werkstatt

Den olympischen Geist hat Goldblatt noch am ehesten in den Spielen der Nachkriegszeit aufgespürt, 1948 in London, 1952 in Helsinki und 1956 in Melbourne. „Unsere Nostalgie für die Spiele in London gilt nicht einer Zeit, als die Olympischen Spiele tatsächlich ihre kosmopolitischen Ziele erreichen konnten, sondern einer, in der deren Verfechter wirklich daran glaubten, dass sie es könnten.“ Genau hier wird die unverstellte Sicht auf die Spiele deutlich: Olympia war nie besser als seine Zeit und seine Welt. Aber eben besonders sinnbildlich, manchmal auch ikonographisch. Die schwarz behandschuhten Fäuste der US-Athleten Tommie Smith und John Carlos bei den Spielen 1968 in Mexiko zählen zu den stärksten Bildern, wenn es um Diskriminierung geht.

"Konsequentes Scheitern": Goldblatts hartes Gesamturteil

Den Reichtum der olympischen Geschichte poliert Goldblatt wunderbar auf. Es ist eben schon so vieles geschehen, Prägendes, gerade für die Ausrichterstädte und ihr Selbstverständnis, aber leider auch sehr viel Beklagenswertes, den ersten Dopingtoten musste Olympia schon 1960 betrauern, den dänischen Radfahrer Knud Enemark. Wegen fehlender Sicherheitsstandards forderten olympiabezogene Projekte für die Spiele 1964 in Tokio 100 Tote. Vor den Spielen dort wurden Nichtsesshafte vertrieben und streunende Tiere systematisch getötet. Schon damals, in Denver, entschieden sich die Bürger per Votum, Olympia nicht haben zu wollen, es ging um die Spiele 1976.

Goldblatts Gesamturteil am Ende fällt auch alles andere als milde aus, er diagnostiziert bei der Organisation IOC ein „konsequentes Scheitern, sich an ihre eigenen Werte und Versprechungen zu halten“ und nennt es tragisch, dass IOC-Präsident Thomas Bach und seine Mitstreiter sich „der Illusion hingeben, immer noch Teil einer sozialen Bewegung zu sein: eine Triebfeder für werteorientierte Aktion und Ziele“. Olympia braucht einen neuen Anlauf. Das würde auch das Interesse an Goldblatts ausgezeichnetem Buch erhöhen.

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