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© Stefan Hermanns

Oliver Ruhnert, Thomas Broich und das etwas andere Derby: „Ein bisschen Asi sein ist nicht so verkehrt“

Der eine vom 1. FC Union, der andere von Hertha BSC: Oliver Ruhnert und Thomas Broich treffen beim Fußballsalon im Deutschen Theater aufeinander.

Als Thomas Broich mit Ende 20 den deutschen Fußball verlassen hat, war das für ihn fast wie eine Flucht. Er selbst nennt es eine „persönliche Bankrotterklärung“. Fußball war für ihn kein Spaß mehr, sondern eine einzige Zumutung. Der Profifußball hatte ihn zynisch werden lassen.

Nach Stationen bei Borussia Mönchengladbach, dem 1. FC Köln und dem 1. FC Nürnberg wechselte Broich 2010 nach Australien zu Brisbane Roar, wo er auf Ante Postecoglou traf, einen, nun ja, etwas eigenwilligen Trainer. Er begrüßte seine Mannschaft mit den Worten: „Ich habe euch zusammengeholt, weil ihr ein Haufen Loser seid.“

Genau damit, so erzählt es Broich, habe Postecoglou sein Team gepackt. „Wir waren eine Truppe, die noch was zu beweisen hatte“, sagt er. „Bei Union kommt’s mir, aus der Ferne betrachtet, auch so vor.“

Broich, 42 Jahre alt und einem breiteren Publikum bekannt durch seine Tätigkeit als Experte der ARD, arbeitet seit etwas mehr als einem Jahr als Leiter Methodik im Nachwuchs von Hertha BSC. Am Montagabend sitzt er gemeinsam mit Oliver Ruhnert, dem Manager des 1. FC Union, in der Bar des Deutschen Theaters beim Fußballsalon, den der Journalist und Autor Christoph Biermann ins Leben gerufen hat.

Bekannt aus Funk und Fernsehen. Thomas Broich ist Experte bei der ARD und Leiter Methodik in der Nachwuchsabteilung von Hertha BSC.
Bekannt aus Funk und Fernsehen. Thomas Broich ist Experte bei der ARD und Leiter Methodik in der Nachwuchsabteilung von Hertha BSC.

© imago images/CHROMORANGE

Es ist eine etwas andere Form des Berliner Derbys, eine sehr launige und dennoch hinreichend ernsthafte. „Deutsche und Berliner Verhältnisse“ hat Biermann den Abend genannt und den Rahmen damit maximal breit gefasst. In diesem Fall ist das kein Nachteil – weil es beiden Diskutanten weder an Meinung mangelt noch an Eloquenz. Und an Witz schon mal gar nicht.

Ruhnert, 52, wird gefragt, wie er denn dem Spanier Isco, der mit Real Madrid fünf Mal die Champions League gewonnen hat, die Alte Försterei schmackhaft gemacht habe: „Direkt am Wald gelegen“, antwortet er. „Das Wasser ist nicht weit, es gibt eine Straßenbahnanbindung. Was wollen Sie mehr?“

Direkt am Wald gelegen, das Wasser ist nicht weit, es gibt eine Straßenbahnanbindung. Was wollen Sie mehr?

Oliver Ruhnert auf die Frage, wie er Isco die Alte Försterei schmackhaft gemacht habe

Im Januar stand Isco kurz vor einem Wechsel zu Union. Und auch wenn die Verpflichtung in letzter Sekunde scheiterte, galt die Personalie vielen als logische Fortführung der bisherigen Transferpolitik Ruhnerts.

Für Unions Manager ist die hohe Fluktuation im Kader auch ein Mittel, um zu verhindern, dass die Spieler ihre Arbeit als eintönig und langweilig empfinden. „Also, unseren Spielern wird’s nicht langweilig“, wirft Broich ein. „Welchen?“, fragt Ruhnert zurück. „Den mit den vielen neuen Trainern“, antwortet Broich. In der Zeit, in der Urs Fischer bei Union arbeitet, seit 2018, hat Hertha acht Mal den Trainer gewechselt.

Erfolgsduo. Oliver Ruhnert (rechts) und Urs Fischer haben den 1. FC Union aus der Zweiten Liga in die Spitzengruppe der Bundesliga geführt.
Erfolgsduo. Oliver Ruhnert (rechts) und Urs Fischer haben den 1. FC Union aus der Zweiten Liga in die Spitzengruppe der Bundesliga geführt.

© IMAGO/Matthias Koch

Ohne Urs Fischer wäre der wundersame Aufstieg Unions aus der Zweiten Liga in die Spitzengruppe der Bundesliga kaum zu verstehen. Der Schweizer hat eine Mannschaft geformt, die auf ihre Art nahezu perfekt funktioniert.

Nicht von ungefähr wird gelegentlich der Vergleich zu Atletico Madrid und Trainer Diego Simeone bemüht. „Diese beiden Trainer haben mit Sicherheit bei den gleichen Ausbildern gearbeitet“, sagt Ruhnert im Scherz. „Ihr Ansatz ist tatsächlich, dass ein Spiel von der Abwehr gewonnen wird.“

Den Vorwurf, dass Unions Fußball dadurch nur mäßig attraktiv sei, lässt Ruhnert nicht gelten. „Wer legt fest, was attraktiv ist?“, fragt er. „Klar macht es mehr Spaß zu sehen, wenn eine Mannschaft dauernd vorne angreift. Aber mir macht es keinen Spaß, wenn wir eigentlich zu schlecht dafür sind und hinten vier Stück reinkriegen. Dann ist es nicht erfolgreich und für mich im Umkehrschluss auch nicht attraktiv.“

Ausbildung soll über Ergebnis stehen

Broich spricht von einem „Balanceakt zwischen Idealismus uns Realismus“. Atletico sei über Jahre mit einer Art von Fußball erfolgreich gewesen, „die alles andere als schön, auf eine Art aber auch wieder geil war“, sagt er. „Selbst das kann man ja feiern.“

Im Nachwuchs aber müsse die Priorität eine andere sein und die Ausbildung über dem Ergebnis stehen. „Mir ist es zu viel Ergebnisfußball im Jugendbereich“, sagt Broich. „In der U 15 wird zum Teil schon total gemauert und dreckiger Fußball gespielt, da werden Bälle versteckt und auf Zeit gespielt.“

Ruhnert, der früher Nachwuchsleiter bei Schalke 04 und selbst Jugendtrainer war, hat zu diesem Thema eine dezidierte Meinung. Zum Beispiel zu der Idee, dass 2025 die Junioren-Bundesligen in der bisherigen Form abgeschafft werden sollen, damit die Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs fortan unter sich spielen können, ohne Auf- und Abstieg. „Wir machen alles pudelweich“, klagt er.

Unions Manager gibt zu, dass man im Nachwuchsfußball methodisch besser werden müsse. „Aber wir sind viel zu theoretisch geworden in unserer Ausbildung, und das ist das, was mich nervt.“ Die berühmten deutschen Tugenden, „die verlieren wir gerade ein bisschen“, sagt er. „Dieses Beißen, Rennen, Kämpfen ist Teil des Fußballs.“

Auch Broich findet, „dass wir die Härte in allen Facetten wieder brauchen: dieses bedingungslose Verteidigen, diese absolute Gier“. Nachdem man sich lange am schönen Spiel ergötzt habe, fehlten dem deutschen Fußball inzwischen bestimmte Spielertypen, kantige, zweikampfstarke Verteidiger zum Beispiel.

Die Folgen waren bei der WM in Katar zu sehen, die für die Deutschen schon nach der Vorrunde beendet war. Auch wenn Broich die Untergangsgesänge auf den deutschen Fußball übertrieben fand: „Es war nicht der erste Unfall dieser Art, sondern der dritte.“

Bei Hertha will man in der Jugend wieder stärker auf den Faktor Berlin setzen, auf die Berliner Schnauze und Jungs, die im Käfig gekickt haben und „in der Schule immer noch Probleme haben“, wie Thomas Broich sagt. Das müsse man aushalten, findet er. Denn: „Ein bisschen Asi sein ist im Fußball nicht so verkehrt.“

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