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Sport: Olympia 2002: Die schmutzige Schneeflocke

Die Boeing 737 wackelt beim Landeanflug. Die Turbulenzen passen ebenso zum Zielort wie der große Dunstschleier, der sich weit über Downtown bis zum Wasatch Bergmassiv erstreckt.

Die Boeing 737 wackelt beim Landeanflug. Die Turbulenzen passen ebenso zum Zielort wie der große Dunstschleier, der sich weit über Downtown bis zum Wasatch Bergmassiv erstreckt. Willkommen in Salt Lake City ein Jahr vor den Olympischen Winterspielen.

Früher dachten die Reisenden bei der Ankunft am International Airport zunächst ans Skifahren und irgendwie auch an die Mormonen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Auch im US-Bundesstat Utah. Auf dem Weg zur Gepäckaufnahme passiert man Souvenirstände, und nahezu überall sticht diese bunte Schneeflocke ins Auge. Sie ist das Logo für die Games 2002. Mittlerweile sieht man in ihr auch das Symbol für die Korruptionslawine, die hier in Utah über die olympische Bewegung donnerte und den Geist des Fairplay begrub. "Denke ich an Salt Lake City, denke ich an Bestechung" schrieb die "Los Angeles Times", und die dunklen Wolken sind immer noch nicht verzogen. Auch wenn sich die Einheimischen um Schadensbegrenzung bemühen. "Ach wissen Sie", meint ein Taxifahrer, "man sollte die ganze Sache endlich abhaken."

Die Stimme des Volkes deckt sich mit den offiziellen Verlautbarungen. "Die Olympischen Spiele sind bei weitem bedeutsamer als die Fehler weniger Menschen", sagt Mitt Romney, "ihre Handlungen haben Konsequenzen und dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Aber die Spiele in Salt Lake City werden den Skandal letztlich überschatten." Wenn das mal so einfach ist. Die Vergangenheit holt den Chef des olympischen Organisationskomitees (SLOC) und seine Mitstreiter ständig ein. Selbst an der heutigen Jahresmarke bis zum Beginn des Winterspektakels.

Eiskunstlauf-Star Michelle Kwan und Prominente aus Politik und Kultur sind geladen, um den Olympia-Countdown feierlich zu starten. Doch wie das Schicksal so spielt, wird parallel dazu in Sachen Tom Welch und Dave Johnson verhandelt. Bei der Anhörung vor einem Schiedsgericht will die Verteidigung erreichen, dass die Anklage wegen Betrug, Verschwörung und Bestechung gegen die beiden führenden Mitglieder des Bewerbungskomitees fallen gelassen wird. Die Chancen stehen schlecht, dafür ist aber ein Medienrummel garantiert.

Ohne Frage übt die juristische Aufarbeitung des Skandals derzeit aber den größeren Reiz aus. Gleich auf 15 verbrecherische Punkte beläuft sich die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, und von Juni an wird vor einem Bundesgericht verhandelt. Welch und Johnson sollen vor der Wahl 1995 mehr als eine Million Dollar zum Kauf von IOC-Stimmen ausgegeben haben. Der Vorfall erschütterte nach Bekanntwerden Ende 1998 das Internationale Olympische Komitee (IOC), das als Folge sechs seiner Mitglieder ausschloss. Vier weitere traten zurück, und zehn wurden verwarnt. Vor Ort traf der Skandal die Menschen mit ihren hohen moralischen Ansprüchen völlig unvorbereitet.

Doch schon bald half man sich mit einem neuen olympischen Verteidigungsdreikampf aus der Bredouille: abwiegeln, verdrängen, weitermachen. Frei nach der Devise "die anderen haben es doch auch getan, nur bei uns kam es jetzt raus" versuchte man das Problem zu verharmlosen. Nur als die Sponsoren absprangen und der olympische Traum ein Albtraum zu werden schien, wurden Rufe nach einem Retter laut.

Vorhang auf für Mitt Romney, Geschäftsmann aus Boston, Mormone und bewährter Krisenmanager. Und Romney gingen die Augen über. "Ich hatte keine Ahnung, dass die Finanzkrise so schwerwiegend war." Als der 53-Jährige im Februar 1999 seinen Job antrat, fehlten im olympischen Haushalt satte 379 Millionen Dollar. Romney fuhr einen harten Sparkurs und reduzierte zum einen das Budget um 200 Millionen Dollar, zum anderen trieb er 200 Millionen Dollar durch neue Sponsoren auf. Jetzt ist sich der SLOC-Boss "sehr sicher", dass man den Etat in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar decken wird.

Freundlich stimmte den Republikaner die erste Welle der Kartenbestellungen. 767 701 Tickets im Wert von 76 Millionen Dollar wurden bereits abgesetzt, wobei die Preiskategorien bei 25 Dollar (Langlauf) starten und bis zu 885 Dollar für die Eröffnungszeremonie gehen. Und auch die Mormon Church griff dem Organisationskomitee unter die Arme. Man spendete nicht nur ein Grundstück im Wert von fünf Millionen Dollar im Stadtzentrum, sondern organisierte auch noch 47 000 freiwillige Helfer.

Nachdem Sydney die Messlatte enorm hoch gelegt hat, will man nun in Salt Lake City die "besten Winterspiele aller Zeiten" ausrichten und damit auch an Selbstvertrauen gewinnen. "Unsere gesamten Sportstätten sind Weltklasse", trommelte Mitt Romney nach den Lobeshymnen für die Abfahrtsstrecke in Snowbasin, "alles läuft prima."

Fast alles. Die Eisschnelllauf-Halle bereitet Sorgen, weil man den Betonboden noch einmal aufreißen und erneuen mußte. Arena-Manager Doug Higgins spielt den Vorfall herunter, schließlich soll doch alles "perfekt sein, damit man hier Weltrekorde aufstellen kann". Ein Rekord ist Salt Lake City bereits sicher: mit 78 Wettbewerben und 234 Medaillen werden es die bislang größten Winterspiele sein. Und das ist doch auch schon mal was.

Stefan Liwocha

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