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Auf dem Weg in die Geschichtsbücher: Son Kee Chung auf der Marathonstrecke, hinter ihm der spätere britische Silbermedaillengewinner Ernest Harper.

© AFP

Olympische Geschichte in Berlin: Rückkehr unter wahrer Flagge

Eine neue Statue würdigt den Koreaner Son Kee Chung, der 1936 in Berlin unfreiwillig Marathon-Gold für die Kolonialmacht Japan gewann.

Da rennt er nun. Zu Füßen des Glockenturms, in vollem Lauf in Bronze gegossen, überlebensgroß, mit gebleckten Zähnen und rudernden Armen. 80 Jahre nach seinem Olympiasieg hat Marathonläufer Son Kee Chung ein Denkmal an jenem Ort bekommen, an dem er seinen größten Sieg erlebt hat – und gleichzeitig eine demütigende Niederlage. 1936 triumphiert der damals 23-Jährige in Berlin. Allerdings nicht für sein Heimatland: Korea ist Teil des japanischen Kaiserreichs, Son Kee Chung muss für die verhassten Besatzer antreten. Mit der japanischen Fahne auf der Brust und unter dem ins Japanische übertragenen Namen Son Kitei.

Die Goldmedaille holt sich Son Kee Chung als Fremder, unter falscher Flagge. Die Einweihung seiner Statue am gestrigen Montag in Berlin soll eine Art Schlussstrich unter seine Geschichte darstellen. Eine späte Würdigung an jenem Ort, wo er zum Nationalhelden seiner Heimat wurde.

Auf seiner Brust: die rote Sonne auf weißem Grund

1936 geht Son Kee Chung in Berlin als Mitfavorit an den Start, ein Jahr zuvor hat er einen neuen Weltrekord aufgestellt. Auch die japanische Qualifikation entscheidet er souverän für sich. Nach Deutschland reist er aber unter Protest: Autogrammkarten unterschreibt er konsequent mit seinem koreanischen Namen. Und wann immer es geht, vermeidet er es, das japanische Trikot zu tragen. Am 9. August aber, als sich die 56 Marathonläufer an die Startlinie des Olympiastadions begeben, prangt auf seiner Brust die rote Sonne auf weißem Grund.

Vom Stadion aus führt die Strecke die Läufer am Glockenturm vorbei in den Grunewald und die Havelchaussee hinab auf die Avus. Beim Wendepunkt nach der Hälfte der Strecke liegt noch der Argentinier Carlos Zabala in Front, der Olympiasieger von Los Angeles 1932. Bei Kilometer 35 aber, etwa auf Höhe des Grunewaldturms, zieht Son Kee Chung gemeinsam mit dem Briten Ernest Harper vorbei. Zabala stürzt, kann das Rennen zunächst noch fortsetzen und muss dann doch aufgeben. Der Weg zu Gold ist frei, Son Kee Chung lässt Harper stehen und gewinnt vor den Augen von Adolf Hitler mit dem olympischen Rekord von 2:29:19,2 Stunden. Harper holt Silber, Bronze geht an den Koreaner Nam Sung-yong, der ebenfalls für Japan starten muss und auf der Anzeigetafel mit dem Namen Nan Shoryu erscheint.

„Ich bin nicht für die Japaner gelaufen“

Als bei der Siegerehrung die japanische Hymne für sie gespielt wird, senken beide Koreaner den Kopf. Son Kee Chung hält den Eichen-Schößling, den er als Goldmedaillengewinner überreicht bekommen hat, vor seine Brust, als wolle er die Flagge der Kolonialmacht Japan verdecken. In seiner Heimat tut es ihm ein Zeitungsredakteur gleich: Er druckt trotz japanischer Zensur ein Foto ab, auf dem die Flagge der Besatzer wegretuschiert wurde. Japan verbietet das Erscheinen der Zeitung daraufhin für mehrere Monate, mehrere Journalisten werden zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Für die Koreaner aber ist Son Kee Chung ein Held. „Ich bin nicht für die Japaner gelaufen“, sagt er später. „Ich bin für mich gelaufen. Und für mein geschundenes Volk.“

Goldgewinner in Bronze. Die Statue zu Füßen des Glockenturms.
Goldgewinner in Bronze. Die Statue zu Füßen des Glockenturms.

© LSB/Engler

Die Herrschaft Japans über die koreanische Halbinsel endet mit der Kapitulation im August 1945. Drei Jahre später nimmt Korea erstmals als unabhängige Nation an Olympischen Spielen teil, Son Kee Chung ist bei der Eröffnungsfeier Koreas Fahnenträger. 1988 kommt ihm eine noch größere Ehre zuteil: In Seoul läuft er mit der olympischen Fackel ins Stadion ein, trotz seiner 76 Jahre joggt er unter dem Jubel seiner Landsleute leichtfüßig über die Bahn. Als er 2002 im Alter von 90 Jahren stirbt, ist aus dem geschundenen Volk längst eine selbstbewusste Nation geworden.

In den offiziellen Ergebnislisten des Internationalen Olympischen Komitees aber wird Son Kee Chung immer noch als Japaner geführt.

„Son Kee Chung ist jetzt kein trauriger Sieger mehr“

Zur Einweihung des Denkmals auf dem Gelände des Berliner Horst-Korber-Sportzentrums sind mehrere koreanische Kamerateams angereist, der Botschafter der Republik Korea hält eine Rede, in der es auch um Berlin als Symbol der Einheit und des Fortschritts geht. Der Parlamentsabgeordnete Kim Sung Tae, gleichzeitig Präsident der Son-Kee-Chung-Stiftung, ist ebenfalls aus Seoul nach Deutschland gereist. „Son Kee Chung ist jetzt kein trauriger Sieger mehr“, sagt er. „Denn mit dieser Statue geht sein Wunsch in Erfüllung, als koreanischer Marathon-Olympiasieger in Erinnerung zu bleiben.“

Dann ziehen deutsche und koreanische Funktionäre und Politiker gemeinsam die weiße Decke von der Statue, die das Denkmal bis dahin verhüllt hat. Kim Sung Tae deutet sofort mit dem Zeigefinger voller Stolz auf die Brust des bronzenen Son Kee Chung: Dort prangt jetzt anstelle der roten Sonne auf weißen Grund die koreanische Flagge.

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