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Sport: Querpass mit der Hochfinanz

Roman Abramowitsch hat den FC Chelsea zu einem Spitzenverein gemacht – die Motive des russischen Milliardärs sind unklar

Es gibt ein Foto von Roman Abramowitsch, das zeigt ihn in Jeansanzug und T-Shirt, die Hände in die Hosentasche gesteckt, eben genau so, wie man sich einen Multimilliardär nicht vorstellt. Das Foto ist aus weiter Entfernung aufgenommen worden, und der Fotograf hatte Glück, dass Abramowitsch ihn nicht bemerkte. Vor ein paar Wochen hat es mal ein Fußballfan im Stadion an der Stamford Bridge gewagt, den neuen Eigentümer des FC Chelsea abzulichten. Sofort waren Abramowitschs Bodyguards zur Stelle und verlangten höflich, aber bestimmt die Herausgabe des Films.

Roman Abramowitsch mag keine öffentlichen Auftritte. Es gibt keine Pressekonferenzen mit ihm und nur autorisierte Fotos, die ihn in der Pose des generösen Vereinspatrons zeigen. Abramowitsch hat einen Wohnsitz in London, seine Kinder sollen hier zur Schule gehen, das ist sicherer als in Russland. Der Mannschaft hat er sich zum Amtsantritt im vergangenen Sommer mit einer kurzen Rede vorgestellt. Seitdem hält er sich im Hintergrund und ist doch allgegenwärtig.

Für 87 Millionen Euro hat der Russe den FC Chelsea im vergangenen Sommer gekauft, Schulden in Höhe von 120 Millionen Euro getilgt und knapp 200 Millionen Euro in neues Personal investiert. Chelsea ist so gut besetzt, dass in jedem Spiel der eine oder andere Topstar fehlen wird. Heute Abend, im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League beim VfB Stuttgart, sind dies: der Rumäne Adrian Mutu, der Franzose Marcel Desailly, die Argentinier Juan Sebastian Veron, vielleicht auch noch dessen Landsmann Hernan Crespo und der Ire Damian Duff. Allesamt Nationalspieler, von denen schon aus finanziellen Gründen niemand ein Engagement in der Bundesliga erwägen würde.

Es wird also nicht die erste Wahl sein, die Trainer Claudio Ranieri heute auf den Rasen des Gottlieb-Daimler-Stadions schickt. Personelle Engpässe aber werden in Chelsea nicht als Ausrede akzeptiert. Abramowitsch hat dem Trainer vor der Saison jeden Wunsch erfüllt, für einen Gegner wie Stuttgart muss zur Not auch die zweite Besetzung reichen. Ranieri weiß um den Druck, er bekommt ihn Woche für Woche zu spüren. Gerade erst hat der neue Manager Peter Kenyon, den Abramowitsch vom Englischen Meister Manchester United abgeworben hat, die Anspruchshaltung des Klubs in eindeutige Worte geformt: „Ein Jahr ohne Titel ist ein verlorenes Jahr.“ Das war vor zwei Wochen, und seitdem ist Chelsea im Pokal ausgeschieden und hat sich auch in der Meisterschaft nach dem 1:2 gegen Spitzenreiter Arsenal von allen Ambitionen verabschiedet. Bleibt nur noch die Champions League.

Ein Weiterkommen gegen Stuttgart ist also Pflicht, und dabei ist es mit profanen Siegen nicht getan. Von Chelseas Millionen-Ensemble wird Glanz erwartet, und den ist die Mannschaft in dieser Saison allzu oft schuldig geblieben. „Wo ist hier der Glamour?“, titelte sogar der linksliberale und seriöse „Guardian“ nach einem mühsamen Sieg über das No-Name-Team Charlton. Illustriert wurde die boshaft-rhetorische Frage mit einem Bild, auf dem sich der Holländer Jimmy Floyd Hasselbaink theatralisch auf seinen Gegenspieler fallen ließ – Zeugnis eines geschundenen Elfmeters, der zum schmeichelhaften 1:0-Sieg herhalten musste.

Nein, allzu viele magische Augenblicke hat Abramowitsch in seiner Loge im Stadion an der Stamford Bridge noch nicht erlebt. Ihm zu Ehren spielen sie dann die russische Volksweise „Kalinka“, und das ganze Stadion klatscht selig mit. Sie wissen, was sie ihrem Roman zu verdanken haben. Bevor Abramowitsch in Chelsea einstieg, stand der Klub kurz vor der Pleite. Jetzt zählt er zur europäischen Hochfinanz.

Noch immer weiß niemand so ganz genau, was Abramowitsch zu seinem gigantischen Investment im Londoner Süden bewogen hat. Manche sagen, es sei schon immer sein Traum gewesen, einen Klub der Premier League zu besitzen. Andere argwöhnen, er wolle unlauter in der Heimat verdientes Geld anlegen – aber da gibt es andere Möglichkeiten, die mehr Wertsteigerung versprechen, und warum sollte Abramowitsch zum Geldwaschen die öffentliche Bühne der Premier League suchen?

Einstweilen haben sie sich in Chelsea darauf verständigt, nicht allzu viele Fragen zu stellen. Hauptsache, dass Geld kommt, und da war Roman Abramowitsch noch immer von absoluter Zuverlässigkeit. Sowohl in Chelsea als auch in Russland, weit im Osten in der sibirischen Provinz Tschukotka, der er als Gouverneur vorsteht. Abramowitsch hat neue Häuser, Kinos, Restaurants und medizinische Einrichtungen nach Tschukotka gebracht, um die Bevölkerung einzustimmen auf zukünftige Öl- und Goldgeschäfte, mit denen er sein Vermögen mehren will. Niemand weiß, ob und wie diese Pläne verwirklicht werden. Angeblich wird wegen Subventions- und Steuerbetrugs gegen Abramowitsch und seinen Konzern „Sibneft“ ermittelt, im kommenden Jahr will er nicht mehr zur Gouverneurswahl antreten.

Ob er dann noch in Chelsea ist?

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