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Sport: Radikal weiter so

Wie Joachim Löw die Arbeit seines Vorgängers fortsetzen will – erster Auftritt als Bundestrainer

Berlin - Joachim Löw hat einen flüssigen Gang. Seine Hände hat er vor seinem offenen Jackett an den Fingerspitzen leicht zusammengeführt, er ruft ein kurzes „Hallo“ in die Runde der Journalisten und nimmt unverzüglich Platz auf dem Platz, der für ihn vorgesehen ist. Der 46-Jährige hat so gar nichts von Jürgen Klinsmann, seinem Vorgänger als Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Er hat nichts Dandyhaftes, er trägt das Hemd in der Hose und keine sandfarbenen Slipper, er federt nicht durch Raum und Zeit, dennoch springen die Leuchten der Kameras an, als er kommt. Es ist nicht Löw, es ist sein Amt, dass ihn so besonders macht. Es ist Löws erster offizieller Auftritt als Bundestrainer. Nicht irgendwo, sondern in einem Hochhaus am Potsdamer Platz, im Herzen Berlins, der Stadt, in der am Finaltag der WM vor fünf Wochen die deutsche Nationalmannschaft von knapp einer Million Menschen gefeiert wurde.

Joachim Löw lächelt, grinst aber nicht. Er will und er weiß auch, dass er sich von seinem Vorgänger emanzipieren muss. Er trägt meist ein ernstes Gesicht. „Das große Fußball-Sommerfest ist vorbei, der Alltag kehrt ein“, sagt Löw. Dass er im übernächsten Sommer den EM-Titel gewinnen möchte, sagte er schon am Tag seiner Amtsübernahme kurz nach der WM. Jetzt sagt er, dass „Realitätssinn, Nüchternheit und Gelassenheit“ her müssen. Sein Auftritt hat etwas Programmatisches und ist frei von Überziehungen.

Joachim Löw erklärt sich an diesem Mittag der Presse, am Abend wolle er vor seinen Nationalspielern eine Ansprache halten. „Ich werde sagen, was ich mir vorstelle für die nächsten zwei Jahre, was ich von der Mannschaft und jedem Einzelnen erwarte“, sagt Löw, der seine neue Chefrolle als große Herausforderung sieht. Nervös sei er deshalb nicht. Er sei die meiste Zeit als Cheftrainer tätig gewesen, „ich kenne es, in der ersten Reihe zu stehen“. Schließlich habe ihn Klinsmann umfangreich in die Arbeit eingebunden und ihm große Freiheiten gelassen: „Jetzt treffe ich halt die letzte Entscheidung.“

Von dem Konzept, das er gemeinsam mit Jürgen Klinsmann in den vergangenen zwei Jahren entwickelt hat, will Löw nicht abweichen. „Das wird mit aller Konsequenz und Hartnäckigkeit weiterverfolgt. Wir setzen auf Offensiv- und Angriffsfußball. Wir streben danach, die Attraktivität unseres Spiels mit Effektivität zu verbinden.“ Löw will überzeugen durch Erklären. Hinter dem Motivator Klinsmann, der seine Stärken im Übersinnlichen hatte, galt er als das strategische Gewicht der Nationalmannschaft. Seine Stärke war das Fußballspezifische und die Vermittlung der Inhalte. Beibehalten werden auch die Leistungstest für die Nationalspieler, die Individualisierung des Trainings und die Offenheit neuen Ideen und Impulsen gegenüber. „Wir haben eine gute WM gespielt, aber ehrlicherweise unser Ziel, den Titel zu gewinnen, nicht erreicht“, sagt Löw. Das soll bei der EM nachgeholt werden. „Dazu brauchen wir Mut und Konsequenz, vor allem aber Radikalität, diesen Weg weiterzugehen.“ Die Qualifikation zur EM, die Anfang September startet, ist für den neuen Bundestrainer „eine Selbstverständlichkeit“.

Bis dahin wird Löw seinen neuen Kotrainer präsentieren. Anfang nächster Woche wird er mit vier bis fünf Kandidaten erste Gespräche führen. Andreas Köpke wird Torwarttrainer bleiben, ebenso werden die US-Fitnesstrainer und Chefscout Urs Siegenthaler ihre Arbeit fortsetzen. „Das war meine Bedingung“, sagt Löw. Lediglich das Tätigkeitsfeld des Sportpsychologen Hans-Dieter Hermann muss neu verhandelt werden. Löws Ziel ist es, den Mentaltrainer auch für den Nachwuchsbereich zu gewinnen.

„Wir werden uns noch intensiver als bisher um jeden einzelnen Nationalspieler kümmern“, sagt Löw. Der Bundestrainer setzt dabei verstärkt auf den Dialog mit den Vereinstrainern. „Wir brauchen eine bessere Kommunikation.“ Der Freiburger wird ein Büro in der DFB-Zentrale beziehen. „Wenn es darum geht, einen Spieler besser zu machen, werden wir uns im Dialog mit dem Klubtrainer abstimmen“, sagt Löw, „was aber die Spielphilosophie anbelangt, bleibt jeder Trainer autonom.“

Mit Jürgen Klinsmann hat er seit der WM einmal telefoniert, erzählt Löw. Dabei sei es nicht so sehr um Fußball gegangen. „Der Jürgen weiß ja, dass ich jetzt in der Verantwortung stehe“, sagt Löw, „aber er wird mein Freund bleiben.“

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