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Nicht überall gibt es Radwege, aber dann zumindest der Abstand von den Autofahrern eingehalten werden.

© dpa

Radkolumne „Abgefahren“: Abstand halten gilt auch im Straßenverkehr

Mit dem Ende des Lockdowns nimmt auch der Verkehr wieder zu. Das kann gefährlich werden. Aber gab es da nicht eine Novelle der Straßenverkehrsordnung?

Michael Wiedersich ist Sportjournalist und Radsporttrainer. Hier schreibt er im Wechsel mit Läuferin Jeannette Hagen.

Nach dem Corona-Lockdown kommen jetzt die Lockerungen. Auch als Radfahrer freut man sich darauf. Nicht mehr lange, dann darf ich wieder mit mehr als einem Radkumpel unterwegs sein und das ist dringend nötig. Neben dem sozialen Ansatz gibt es einen ganz praktischen Aspekt: Windschatten. Denn der Wind wehte in den letzten Wochen doch meist frisch und irgendwie kam er immer von vorne.

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Mehr Radfahrer bedeuten mehr Windschatten, selbst unter Berücksichtigung der Abstandsregeln ist das nicht zu verachten. Theoretisch muss auf eine Fahrt in großer Gruppe auch nicht länger gewartet werden. Seit letzter Woche ist es möglich, eine Fahrraddemo mit bis zu 50 Teilnehmern anzumelden. Als Motto würde ich vorschlagen „Against the Wind“.

Beim Gedanken an die Rückkehr zum Normalen schwingt auch ein wenig Wehmut mit. Denn es war ja nicht alles schlecht in dieser Lockdown-Zeit. Das Wetter war meist gut. Der Stresspegel reduzierte sich bei manchen deutlich. Wer konnte, nutzte die Zeit für lang aufgeschobene Projekte oder machte sich Gedanken über die Zukunft. Das Fahrrad als ideales und gesundes Verkehrsmittel bekam eine größere Aufmerksamkeit. Es entstanden Pop-up-Radwege. Und dann gab es noch diese leeren Straßen.

Ja, der Straßenverkehr, der nimmt mit den Lockerungen nun wieder stetig zu. Dass es seit Anfang Mai eine Novelle der Straßenverkehrsordnung gegeben hat, scheint bei einigen Kraftfahrzeughaltern im ganzen Corona-Stress ein wenig untergegangen zu sein. Die Abstandsregelung beim Überholen von Radfahrern wird zum Beispiel noch sehr locker gesehen. Dabei wird sie auch noch Bestand haben, wenn Corona ausgestanden ist.

An der nächsten Ampel standen wir dann nebeneinander und schauten uns an

Sicherlich kann es schwierig sein, anderthalb bis zwei Meter Abstand auf den Zentimeter genau einzuhalten. Das verlangt auch niemand, obwohl mehr natürlich sehr schön wäre. Aber bei einigen Fahrzeugführern hat man den Eindruck, dass sie den Abstand beim Überholen eines Radfahrers vom rechten Rand ihres Fahrersitzes schätzen und nicht von der rechten Fahrzeug-Seite.

Manche wollen das aber auch gar nicht. Wie die ältere Dame, die mir neulich vor dem S-Bahnhof Wannsee mit ihrem Kleinwagen gefährlich nahe kam. Einen benutzungspflichtigen Radweg gibt es dort nicht, ich fuhr auf meinem Rad so weit rechts wie möglich. An der nächsten Ampel standen wir dann nebeneinander und schauten uns an.

Die Dame, mit Gummihandschuhen und Nase-Mundschutz allein in ihrem Auto sitzend, wirbelte aufgeregt mit ihren Händen. Nach meinem freundlichen Hinweis, dass das eben ein wenig knapp gewesen sei, ließ sie die Seitenscheibe hinunter. „Junger Mann“, erwiderte sie immer noch etwas aufgeregt, „ich wollte ihnen nur zeigen, wie gefährlich es ist, wenn sie mit ihrem Rad auf der Straße fahren.“ Die Ampel schaltete auf Grün und wir fuhren unserer Wege.

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Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. In den nächsten Stunden meines Radtrainings dachte ich darüber nach. Plötzlich wurde mir vieles klar. Vermutlich sind die Autofahrer, die zu dicht überholen, gar nicht so bösartig wie man denkt. Denn eigentlich wollen sie den Radfahrern nur beim Überlebenstraining im Straßenverkehr helfen, quasi wie früher die Verkehrssendung „Der 7. Sinn“ im realen Leben. Na dann, vielen Dank dafür.

Michael Wiedersich

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