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Sport: Radsport: Menschen, Vögel, Emotionen

Hitchcock fuhr beim Mountainbike ein bisschen mit. Nicht wegen der Spannung - wegen der Vögel.

Hitchcock fuhr beim Mountainbike ein bisschen mit. Nicht wegen der Spannung - wegen der Vögel. Die Magpies (Gymnorhina tibien), australische Verwandte der Elstern, haben Brutzeit und verteidigen aggressiv im Naturreservat "City Farm" ihre Eier und Jungen gegen die Eindringlinge in ihrem Territorium. Den Fahrern wurden Aufkleber mit großen Augen für ihre Helme ausgehändigt, die die Vögel vom Gesicht ablenken würden. Den Zuschauern wurden Verhaltensweisen bei Angriffen der Magpies vermittelt: Ruhig bleiben! Kopf runter! Hut oder Sonnenbrille aufsetzen!

Beim Training waren die Ruhestörer auf dem Mountainbike tatsächlich von den schwarzweißen Magpies angegriffen worden. Der Schwabe Lado Fumic erzählte, er sei mächtig erschrocken, als er auf seinem Helm plötzlich einen gewaltigen Flügelschlag wahrnahm. "Ich dachte, ein Jumbo sei direkt über mir." Schweizer und Holländer berichteten von ähnlichen Erlebnissen. Beim Rennen zogen sich die Vögel, anfangs noch aufgeregt kreischend, bald vor der Masse Mensch, 50 000 Zuschauern, auf ihre Brutstätten zurück. Jedenfalls wurde kein neuer Vogelangriff bekannt, als sich in dem hügeligen Buschland die Mountainbiker um die Medaillen abstrampelten.

Das 49,5 km lange Cross-Country-Rennen über Stock und Stein, durch dicke Staubwolken und über tückische Steigungen endete nach sieben Runden mit dem allseits erwarteten Sieg: Der 24jährige Franzose Miguel Martinez, Querfeldein-Weltmeister 1996, Dritter in Atlanta, Weltmeister 2000 und Sohn des einstigen Tourfahrers und WM-Dritten Mariano Martinez, gewann die Goldmedaille. Martinez hatte nach 2:09:02 Stunden härtester Knochenarbeit einen derart klaren Vorsprung (1:03 Minuten) vor dem Belgier Filip Meirhaeghe, dass er aufgerichtet und freihändig auf die Zielgerade einbog und mit einem Stoffkänguruh als Maskottchen in der erhobenen Hand seinem Triumph entgegenrollte.

Einzeln und ebenso verdreckt folgten die anderen, und jeder, vom Dritten, dem Schweizer Christoph Sauser, bis zum Achten, dem Pfälzer Carsten Bresser, ließ die Freude am Ziel über seine Platzierung auf seine Weise raus, mit wehender Landesfahne oder geballter Faust. Die Ausnahme: Der Schweizer Thomas Frischknecht war maßlos enttäuscht. Der Zweite von Atlanta hatte fünf Runden lang souverän geführt, war dann eingebrochen und wurde nur Sechster.

Noch hinter Lado Fumic. Der Sportsoldat aus Kirchheim-Teck freute sich aber vor allem "über den riesigen Spaß", den dieses Rennen vor der "einzigartigen Wahnsinnskulisse" auf dieser "einmalig schönen Strecke" im Naturpark gemacht habe. Mountainbiker sind noch naturverbundene Romantiker. Dass er schließlich eine großartige Leistung gebracht hatte, wohl die beste seine Karriere, erwähnte der Sohn kroatischer Eltern eher beiläufig. "Fünfter - auch gut." Der Platz verdient schon mehr Beachtung. Carsten Bresser meldete sich denn auch über Handy bei einer "Bike-Party" in seiner Heimat Neustadt an der Weinstraße, um ihren Erfolg richtig zu bewerten: "Lado Fünfter. Ich Achter. Saugeil." Doch auch für ihn übertraf letztlich das Ereignis das Ergebnis: "Nie wieder werden wir vor so einer Kulisse fahren."

Anders als die Straßenprofis freuen sich Bikefahrer, die Aschenputtel des Radsports, noch über die ungewohnte Aufmerksamtkeit. Lado Fumic wollte überhaupt nicht aufhören, mit den Reportern zu reden. "Wollt ihr nicht noch etwas wissen?" In Athen wolle er aufs Treppchen, und im Winter werde er wieder mit dem Telekom-Profi Steffen Wesemann in Australien trainieren, teilte der aufgeweckte Junge mit dem Solarium-Teint noch mit. Hier sei es warm und die Natur so schön. Als "Naturkind" gilt auch Paola Pezzo. Die dralle Italienerin hatte am Vortag ihren Triumph von Atlanta wiederholt und hofft nun, endlich als Olympiasiegerin und nicht als Busenmaid bestaunt zu werden. "In Italien war ich bisher nur wegen meiner Figur bekannt. Ich will aber wegen meiner Goldmedaille populär sein."

Hartmut Scherzer

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