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Sport: Ratlos am Rand

Statt um die Meisterschaft spielt Leverkusen gegen den Abstieg – jetzt muss Trainer Toppmöller um seinen Job fürchten

Leverkusen. Schiedsrichter Wolfgang Stark hatte das Spiel Bayer Leverkusen gegen Energie Cottbus noch nicht abgepfiffen, da war die Krisensitzung schon in vollem Gange. Fünf Minuten vor Schluss war Bayers Geschäftsführer Reiner Calmund wutentbrannt in die Katakomben der Bayarena gestürzt, um in der Trainerkabine mit Manager Ilja Kaenzig und Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser über mögliche Konsequenzen zu beraten. Nach dem katastrophalen 0:3 (0:2) gegen den Tabellenletzten war dabei allen Beteiligten sofort klar – der Abstiegskampf wütet spätestens jetzt auch in Leverkusen. Nach 18 Spieltagen rangiert Vizemeister Bayer Leverkusen mit einem Punkt vor Borussia Mönchengladbach auf dem 14. Rang. Gerade einmal drei Punkte vor einem Abstiegsplatz.

Doch nicht nur die Führungsriege, sondern auch die Fans hatten verstanden, dass es jetzt nur noch um den Klassenerhalt für Bayer gehen kann. Während die Entscheidungsträger ihre Ad-hoc-Krisensitzung an diesem feuchtkalten Abend abhielten, skandierten rund einhundert Fans „Calmund raus“ und „Wo sind die Versager?“ Erst als die Ordnungshüter mit ihren Hunden anrückten, kehrten sie dem Stadion den Rücken und verschwanden im Nieselregen. Die Spieler schlichen sich derweil in die Tiefgarage und suchten still und leise das Weite. Schlicht „nicht mehr zu erklären“ sei die Leistung, hatte Rückkehrer Jens Nowotny zuvor noch in die Mikrophone gestammelt, während aus dem Presseraum die ersten Gerüchte eines bevorstehenden Trainerwechsels waberten. Jürgen Röber, der im Februar vorigen Jahres bei Hertha BSC seinen Hut nehmen musste, sei nun heißer Kandidat auf das Traineramt in Leverkusen.

„Es gibt keine Trainerdiskussion. Wir halten an Toppmöller fest und setzen ihm auch keine Frist“, sagte Reiner Calmund am Montag. „An ihm hat es doch nicht alleine gelegen.“ Bayers Geschäftsführer war der einzige, der sich am Tag danach den Journalisten stellte. Mannschaft und Trainer wollten sich selbst nach der morgendlichen Trainingseinheit nicht mehr äußern – zu groß war der Frust.

Calmund beschwerte sich unterdessen, dass es „unfair“ sei, „bei so vielen Verletzten den Trainer als alleinigen Sündenbock abzustempeln“. Immerhin sei Leverkusen ohne Lucio, Thomas Brdaric, Dimitar Berbatow, Zoltan Sebescen, Jurica Vranjes, Yildiray Bastürk und Bernd Schneider angetreten. „Wir müssen alle die Verantwortung tragen“, appellierte Calmund nochmals an die Mannschaft. Selbst ein schneller Spielertransfer könne nicht den Weg aus der Misere ebnen. „Was soll ein neuer Spieler denn bewerkstelligen? Die ganze Kreativabteilung vorne hinkt doch.“

Doch alte Argumente, die noch in der Hinrunde bedient wurden, will er nun auch nicht mehr gelten lassen. „Wir wissen alle, dass Zé Roberto und Ballack weg sind. Das möchte ich nicht mehr hören.“ Für Calmund hat die Zeit der Träumereien definitiv ein Ende gefunden. Vielmehr sei es nun wichtig, dass die Mannschaft begreife, dass „wir uns in einem Horrorszenario und Albtraum befinden. Wir stehen mitten im Abstiegskampf.“

Wie 1996, als die Bayer-Elf den Niedergang in die Zweite Liga erst in letzter Sekunde abwenden konnte, weil sie lange nicht erkannt hatte, dass der Kampf am Tabellenende Realität geworden war. „Bei uns sind momentan wieder Geist und Körper gelähmt“, sagt Calmund klagend. Anders seien Patzer wie der von Torhüter Jörg Butt nicht mehr zu erklären. Einen leichten Distanzschuss Gebhardts hatte Butt ins Tor kullern lassen. „So was ist ein nervlicher Blackout, kein Torwartfehler mehr.“

Wie prekär die Situation mittlerweile ist, zeigt allein der Blick auf den Spielplan. Gleich drei Auswärtsspiele stehen an. Erst geht es zum Meister nach Dortmund, im Pokal nach Unterhaching und dann zu Toppmöllers früheren Klub Bochum. Unklar ist, ob Kapitän Nowotny eingesetzt werden kann. Gestern musste er zur Kernspintomographie. Er war bei seinem Comeback nach 270 Tagen in der 80. Minute umgeknickt.

Christoph Bertling

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